Der Auftrag der Kirche: Gott als Freund des Lebens verkünden
Auch das, "was brüchig und dunkel ist", gehört zum Leben. Das betonen die beiden großen Kirchen in ihrer Ankündigung der diesjährigen "Woche für das Leben". Ab Samstag steht das Thema Suizidprävention im Fokus. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt der Bamberger Weihbischof Herwig Gössl, warum sich die Kirchen diesem Thema widmen und was sie sich von der Aktionswoche erhoffen.
Frage: Herr Weihbischof, warum gerade dieser Schwerpunkt?
Weihbischof Herwig Gössl: Wenn tatsächlich jedes Jahr etwa 10.000 Menschen in Deutschland durch Suizid sterben, dann ist das ein dringendes Thema, mit dem wir uns bei der "Woche für das Leben" beschäftigen. Immerhin sagen alle diese Leute Nein zu ihrem Leben. Das kann uns als Gesellschaft und als Kirche in dieser Gesellschaft nicht kalt lassen. Freilich braucht es bei der Behandlung dieses Themas einen sensiblen Umgang, denn einfache Antworten verbieten sich. Es hilft weder eine Skandalisierung noch eine Tabuisierung dieser Taten oder deren Beschwichtigung. Wichtig ist aber, dass in dieser komplexen Frage das "Wort für das Leben" artikuliert wird.
Frage: Viele glauben immer noch, die Kirche verdamme Suizidenten. Wie hat sich der Umgang mit diesem Thema kirchlicherseits verändert?
Gössl: Es war nie und ist auch heute nicht Aufgabe der Kirche, jemanden zu verdammen. Allerdings hat die Kirche sehr wohl die Pflicht, die Weisungen Gottes zu verkünden und zu bezeugen. Gott ist ein Freund des Lebens. Er hat alles geschaffen, und in seiner Hand liegt unser Leben, nicht in unserer eigenen. Daher hat die Kirche den Auftrag, das Leben zu schützen und zu fördern und alles zu tun, damit möglichst niemand sein Leben wegwirft.
Frage: Früher gab es durchaus strenge Regeln.
Gössl: In früheren Zeiten halfen strenge Reglementierungen und Verbote der Kirche vielleicht weiter, ich weiß es nicht. Heute aber würden solche Drohgebärden der Kirche sicher nichts bewirken. Es muss darum gehen, Menschen, die sich mit dem Gedanken an einen Suizid tragen, zu beraten und zu begleiten, damit sie wieder klarer Ja zu ihrem Leben sagen können. Wir wissen durch die heutigen Erkenntnisse der Psychologie, dass Menschen, die in den Suizid gleiten, oft nicht mehr frei sind in ihren Entscheidungen und daher eine wichtige Voraussetzung für eine schwere Sünde nicht gegeben ist, eben die Freiheit.
Frage: Also bewertet die Kirche einen Suizid heute anders?
Gössl: Es wäre fatal, daraus abzuleiten, dass Suizid heute in den Augen der Kirche nicht mehr so schlimm wäre. Natürlich bleibt das ganze Geschehen schlimm – für den Betreffenden selbst, der nicht mehr weiterleben will, aber auch für seine Angehörigen und Freunde, die sich fragen: Was haben wir falsch gemacht? Und auch für Unbeteiligte, die manchmal in die Durchführung eines Suizides verwickelt und dadurch selbst traumatisiert werden. Dies alles gilt es aufzuarbeiten, therapeutisch und auch pastoral. Vor allem aber müssen wir als Kirche Zeugnis für den Sinn und den Wert des Lebens ablegen. Das ist unsere erste und wichtigste Aufgabe als Gesandte des Auferstandenen.
Frage: Welche Gruppen sollen bei der "Woche für das Leben" besonders erreicht werden?
Gössl: Das Thema richtet sich grundsätzlich an alle Menschen in der Gesellschaft, ob gläubig oder nicht. Alle können mit der Problematik des Suizid konfrontiert werden und brauchen eine Sensibilisierung für entsprechende Hinweise und Vorzeichen. Besonders im Blick müssen natürlich Menschen sein, die Suizidgedanken in sich tragen und oft nicht wissen, wohin sie sich wenden können, oder sich einfach nicht trauen. Ich hoffe, dass durch das Aufgreifen dieser Thematik doch manche auf Hilfsangebote aufmerksam werden. Und schließlich sollte die Woche all jenen Mut machen, die sich schon jetzt in der Suizid-Präventionsarbeit oder in der Begleitung von Suizidgefährdeten oder von Angehörigen engagieren. Sie leisten hervorragende, oftmals lebensrettende Arbeit.
Frage: Ist die Gesellschaft aus Ihrer Sicht ausreichend für das Thema sensibilisiert?
Gössl: Ich denke, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft nach wie vor mit einem Tabu belegt ist. Man spricht nicht gerne darüber, und man hört nicht gerne davon, und es fällt schwer, sich dazu zu verhalten. Das ist insofern ein gutes Zeichen, als es deutlich macht: Wir wollen uns in unserer Gesellschaft nicht an den Suizid gewöhnen. Zum anderen aber verhindert diese Scheu eventuell die Wahrnehmung von Signalen, von versteckten Hilferufen, welche die Gefährdeten senden. Insofern ist sicher eine höhere Sensibilisierung wünschenswert. Jeder sollte wissen, wo er im Notfall Hilfe erfährt, rasch und unbürokratisch, wenn gewünscht auch anonym.
Frage: Was wünschen Sie sich für die breite Gesellschaft?
Gössl: Wann eine Gesellschaft ausreichend für dieses Thema sensibilisiert ist, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht wäre es schon ein wichtiger Schritt, wenn wir aus unserer typisch deutschen Neigung zur Problematisierung von allem und jedem herausfänden und uns einfach öfter über das Leben an sich freuen könnten. Mehr Freude am Leben so wie es ist, auch mit seinen Einschränkungen, und mehr wertschätzendes Interesse am Leben der Mitmenschen – das wären starke Signale, die eine positive Lebenseinstellung und ein intensiveres Miteinander fördern könnten. Das wäre eine Art Basisprävention, die allen gut tut.