Ex-Seminarist wirft Breslauer Kardinal Gulbinowicz Missbrauch vor
Der polnische Kardinal Henryk Gulbinowicz (95) wird von einem ehemaligen Priesterseminaristen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Der Dichter Karol Chum sagte in einem Interview des Online-Portals "Onet" (Mittwochabend), Gulbinowicz habe ihn im Januar 1990 kurz nach seinem 16. Geburtstag in Breslau (Wroclaw) missbraucht. Das Erzbistum Breslau nimmt den Vorwurf nach Angaben seines Sprechers ernst und prüft ihn.
Chum, der mit bürgerlichen Namen Przemyslaw Kowalczyk heißt, betonte, er habe den Missbrauch durch den Kardinal bereits 1996 öffentlich gemacht. Damals habe sich dafür aber kaum jemand interessiert. Er hoffe, dass sich jetzt die Staatsanwaltschaft um den den Fall kümmere. Gulbinowicz war von 1976 bis 2004 Erzbischof von Breslau. Nach Angaben des Bistumssprechers Rafal Kowalski befindet er sich aktuell zur Beobachtung im Krankenhaus, weil sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe.
Der Franziskanerorden bestätigte, dass Chum von September 1989 bis Januar 1990 im Vorseminar im schlesischen Legnica (Liegnitz) unterrichtet worden sei. Von dessen Rektor war Chum nach eigenen Worten zu Gulbinowicz geschickt worden, um dessen Korrespondenz abzuholen. Als er in der Kurie in einem Zimmer übernachten sollte, habe ihn der Kardinal besucht und ihn mit der Hand missbraucht. Chum hatte bereits vor einigen Tagen auf Facebook Gulbinowicz des sexuellen Übergriffs bezichtigt.
Polens Bischöfe haben unterdessen Mängel beim Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch eingeräumt. "Wir gestehen, dass wir als Hirten der Kirche nicht alles getan haben, um Leid zu verhindern", erklärte der Ständige Rat der Polnischen Bischofskonferenz in einer am Mittwoch veröffentlichten Botschaft an die Gläubigen, die am kommenden Sonntag in den Gottesdiensten verlesen werden soll. Für viele Gläubige würden die "sexuellen Skandale mit Beteiligung von Geistlichen eine schwere Glaubensprüfung und ein großes Ärgernis" darstellen, heißt es darin.
Angesichts des von einem Dokumentarfilm ausgelösten landesweiten Entsetzen über sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Priester und die Vertuschung dieser Verbrechen durch die Kirche kam der Ständige Rat der Bischofskonferenz in Warschau zu einer Sondersitzung zusammen. Die Bischöfe sprechen sich in ihrer Erklärung für "harte Konsequenzen für die Verbrecher und diejenigen aus, die solche Taten verborgen haben". Es gebe kein Wort, "dass unsere Scham für die sexuellen Skandale mit Beteiligung von Geistlichen zum Ausdruck bringen kann".
Jeder zweite erwachsene Pole sah Missbrauchs-Doku
Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Erzbischof Stanislaw Gadecki betonte seine Traurigkeit über den Kindesmissbrauch. Im Namen der Bischöfe entschuldigte er sich erneut bei "allen, die diese Sünde und gleichzeitig Straftat berührte".
Die Erklärung der Bischöfe mit dem Titel "Sensibilität und Verantwortung" zeigt laut dem Sprecher des kirchlichen Kinderschutzzentrums, Piotr Studnicki, den "Ausweg aus der Krise". So solle etwa den Opfern besser geholfen werden. Eine Expertengruppe werde sich um eine intensivere Prävention gegen sexuelle Gewalt kümmern.
Die Bischöfe bedanken sich in ihrer Botschaft bei "allen, die den Mut haben, von ihrem Leid zu berichten". Sie zitieren auch eine 39-jährige Frau aus der Doku "Nur sag es niemandem", die als Kind von einem Priester missbraucht worden war. Den auf der Videoplattform YouTube und im Fernsehen gezeigten Film sah laut einer Umfrage bereits rund jeder zweite erwachsene Pole. Eine Mehrheit von 54 Prozent sprach sich demnach für den Rücktritt der ganzen Bischofskonferenz aus. Als Reaktion auf den Film kündigte die Regierung die Einsetzung einer Kommission an, die sexuellen Kindesmissbrauch in der Kirche, im Sport und anderen Bereichen untersuchen soll. (tmg/KNA)