Meditationsangebote im Alltag

Pallottiner in Konstanz: Zwischen geistlicher Oase und Gewächshaus

Veröffentlicht am 26.05.2019 um 13:10 Uhr – Lesedauer: 

Konstanz ‐ Pater Reinhold Maise ist ein Mann mit zwei Berufungen: Als Gärtner pflegt er die Orchideen auf der Bodenseeinsel Mainau. Auf dem Festland in Konstanz arbeitet der Pallottinerpater in der Seelsorge. Damit das geht, machte sein Orden extra eine Ausnahme.

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Wenn Pater Reinhold Maise mittwochs am frühen Abend die Gläubigen zum Gottesdienst in der Konstanzer Paradieskapelle begrüßt, ist es keine zwei Stunden her, dass er statt des liturgischen Gewandes eine grüne Gärtnerkluft trug. So konzentriert und gesammelt er nun mit den Menschen die Eucharistie feiert, so gewissenhaft kümmerte er sich in den Stunden zuvor um die Orchideen auf der Insel Mainau. Reinhold Maise lebt im Alltag eng verzahnt beide Berufungen: Als Pallottinerpater ist er Seelsorger innerhalb der katholischen Altstadtpfarreien von Konstanz, und als ausgebildeter Gärtner arbeitet er auf der Mainau in einem Team, das die Orchideen sowie die Pflanzen im Schmetterlingshaus pflegt.

"Dieser Wechsel fällt mir nicht schwer", erklärt Reinhold Maise, "es ist eine gute Balance von Tätigkeiten, die mir wertvoll sind. Um all das tun zu können, ist es für mich wichtig, an der Quelle zu leben und Zeit mit Gott zu verbringen." Diese Zeit mit Gott findet der 47-Jährige in Meditation und Gebet in der Stille, aber nicht immer ist er dabei allein. Seit Anfang 2018 verwirklicht er mit seinem Mitbruder Pater Fritz Kretz im Auftrag des Pallottinerordens ein neues Projekt: das "Haus der Stille und des Gebetes". Es soll eine geistliche Oase mit Schwerpunkt auf dem kontemplativen Leben sein und befindet sich mitten in der quirligen und belebten Altstadt von Konstanz unweit des Münsters Unserer Lieben Frau. Jeder, der mit den Patres in der Stille beten möchte, kann mit ihnen Kontakt aufnehmen und zu bestimmten Zeiten teilnehmen. Wer sich erst einmal mit dem Meditieren in Stille vertraut machen möchte, erhält eine Einführung, montags gibt es eine meditative Eucharistiefeier. "Es ist kein Angebot im üblichen Sinn, und wir sind auch keine Veranstalter", so Pater Kretz, "wir wohnen gemeinsam mit Pater Alois Hofmann zu dritt in diesem Haus, beten hier und laden die Menschen ein, daran teilzunehmen." Darüber hinaus bietet ein Gästezimmer im Haus die Möglichkeit, sich für einige Tage zurückzuziehen und mit den Patres das Leben zu teilen.

Mit den Händen schöpferisch tätig sein

Rückblickend ist seine Berufung zum Gärtner bereits in der Kindheit zu erkennen. "In der Nähe von Markdorf am Bodensee bin ich groß geworden in der Nebenerwerbslandwirtschaft meiner Eltern, und das Arbeiten auf dem Acker bei Hitze und bei Kälte, das Unkrauthacken und das Ernten waren mir vertraut", erzählt Reinhold Maise, "schon als Kind habe ich aus den Blumen in unserem Garten gerne Sträuße gebunden und sie verschenkt."

Ein Schild an der Niederlassung der Pallottiner in Konstanz
Bild: ©Bernhild Hagemeister/der pilger

Seit 1919 gibt es die Pallottiner in Konstanz. Das "Haus der Stille und des Gebetes" gibt es aber erst seit 2018.

Doch zunächst trat er in die Ordensgemeinschaft der Pallottiner ein und wurde Priester. "Das hat mich erfüllt. Sowohl die Feier der Sakramente als verdichtetes Leben, als auch in der Seelsorge mit Menschen existenziell unterwegs zu sein, sie auf ihrem geistlichen Weg zu begleiten." Zunehmend fehlte ihm jedoch die schöpferische Arbeit mit den Händen, und er begann als Theologe und Priester eine handwerkliche Ausbildung. Ein eher ungewöhnlicher Weg, wie er sagt. Im Orden komme eher der umgekehrte Fall vor.

Die Gemeinschaft der Pallottiner, gegründet von Vinzenz Pallotti (+ 1850), zeichnet seit jeher die Verbindung von Kontemplation und Aktion aus. Etliche Pallottiner, die keinen priesterlichen Auftrag haben, arbeiten in zivilen Berufen. Ebenso wichtig für den Einzelnen sind Gebet und Stille. Das Dasein in der Welt, das aktive Gestalten, aber auch der Rückzug, die Ruhe, das Nachdenken und Beten sollen den Tagesablauf bestimmen. Als Reinhold Maise während seiner dreijährigen Ausbildung auf der Insel Mainau in der Fachrichtung Zierpflanzenbau vieles aus den Bereichen Gärtnern und Floristik lernte, lag die seelsorgliche Arbeit zu seinem Bedauern so gut wie brach. Seit er ausgebildeter Gärtner ist, praktiziert er nun beide Berufungen.

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Gemeinsam sollten Frauen und Männer den Glauben unter Katholiken vertiefen und den Menschen Gott nahebringen: Das war die Vision von Vinzenz Pallotti. Erst 150 Jahre nach seinem Tod konnte die Vereinigung nach seinen Wünschen entstehen.

Menschen, die Reinhold Maise von Gottesdiensten oder aus geistlicher Begleitung kennen, reagieren häufig erstaunt und sind fasziniert, wenn sie von seiner Tätigkeit als Gärtner erfahren. Umgekehrt wussten seine Kollegen auf der Mainau von Anfang an, dass er katholischer Priester ist und zur Gemeinschaft der Pallottiner gehört. Für sie ist er in erster Linie ein Gärtner, der auch Priester ist, und sie akzeptieren und respektieren ihn. Bisweilen ergeben sich ohne Absicht Gespräche über das Leben und über Sinnfragen. Häufig entwickelt sich ein solcher Gedankenaustausch auch mit Menschen, die ins Haus der Stille kommen. "Mit meinem Berufungsweg vermittle ich eine neue und andere Form von Kirche. Es ist auch ein neuer Blickwinkel für diejenigen, die schwierige Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben."

Stille zu finden, ist nicht immer leicht

Pater Maise nimmt eine Schale zur Hand und legt einige Papierbögen hinein. Darauf stehen Gebetsanliegen, die Menschen den Patres online oder handschriftlich anvertraut haben. Die Schale stellt er unter den Tabernakel, der zusammen mit einem Kreuz und einem alten, steinernen Mühlstein die Ausstattung des Meditationsraums im Haus der Stille bildet. Dieser Raum erleichtert in seiner Schlichtheit das Finden zu Konzentration und Ruhe. Hier meditieren die Patres allein, zu dritt oder mit allen, die für eine kurze Zeit an ihrer Lebensform der Kontemplation teilhaben möchten. Decken, Hocker und Stühle stehen bereit, damit jeder eine Position finden kann, die ihm angenehm ist. Wer hier oben im zweiten Stock angekommen ist und seine Schuhe ausgezogen hat, ist bereit, sich der inneren Stille zu öffnen. "Das ist gar nicht so leicht", erläutert Pater Kretz, "wir sind mitten in der Stadt, und manchmal hört man Lärm von draußen. Doch die Kunst ist, damit umzugehen. Der Lärm draußen kann ein Spiegelbild für den Lärm in mir sein, und vieles wird in der Stille in mir wach. Hier wird dem Raum gegeben."

Kunstwerke aus Holz. Auf einem stehen die Worte Aufbruch, Anbetung, Coenaculum und Meditation.
Bild: ©Bernhild Hagemeister/der pilger

Holzkunst im Haus der Stille in Konstanz. Die Arbeiten des Holzbildhauers Peter Klein aus Stühlingen sollen die unruhige Alltagsgedanken beruhigen.

Für ihre eigenen Gebetszeiten und die gemeinsamen Zeiten der Stille mit Menschen aus der Umgebung wurde den Patres eine Sonderstellung innerhalb der Ordensprovinz eingeräumt. Sie dürfen wertvolle Arbeitszeit ausschließlich für das Gebet nutzen. Das Haus der Stille wurde bewusst mitten in der Stadt eingerichtet und nicht in ländlicher Umgebung, so wie viele andere kirchliche Häuser. Mitten unter den Menschen soll es sein, verbunden mit kurzen Wegen. Die Patres haben vor dem Hintergrund des pallottinischen Verständnisses von Aktion und Kontemplation die Stille als geistliche Lebenshaltung gewählt. "In Stille zu leben, bedeutet nicht, die Stille um ihrer selbst willen zu suchen", gibt Pater Maise zu bedenken, "es geht darum, bei Gott zu sein und wertvolle Zeit mit ihm zu verbringen. Nah an Gott zu sein, dem ich mein Leben versprochen habe."

Nicht immer kommt man sofort in den kontemplativen Zustand, das gilt für die Patres ebenso wie für die Mitmeditierenden. Aber man kann es üben und eine hilfreiche Umgebung dafür schaffen.

Im Haus der Stille legt der Besucher vom Eingang bis zum Meditationsraum zwei Stockwerke und einige Treppenstufen zurück. Im Eingang sowie auf dem weiteren Weg nach oben sind Arbeiten des Holzbildhauers Peter Klein aus Stühlingen zu sehen, die unruhige Alltagsgedanken beruhigen sollen. Eine Kerze brennt im Fenster, kleine Wegweiser sorgen für Orientierung in Ruhe. Und ganz dezent ist hier und da ein kleines Blumenarrangement zu sehen: Die Handschrift des Paters, der ebenso Gärtner ist.

Von Bernhild Hagemeister

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