Nazareth – Auf Tour durch die Heimatstadt des Herrn
"In jener Stadt sind die hebräischen Frauen so reizend, dass es in jenem Land keine schöneren Hebräerinnen gibt. Sie sagen, die heilige Maria habe ihnen das verliehen (…)." Das behauptet der anonyme Pilger aus dem italienischen Piacenza über die Jüdinnen Nazareths um 570 nach Christus. Er meint damit wohl Judenchristinnen, die sich zur Gottesmutter als ihrer Verwandten bekennen. Pater Gregor Geiger, ein Franziskaner, der seit 20 Jahren in Jerusalem lebt, forscht und lehrt, erläutert den Hintergrund: "Die Judenchristen mögen die Heidenchristen nicht, aber in Nazareth scheint das Eis gebrochen." Das erkläre, versichert der Autor des Pilgerführers "Im Land des Herrn", "dass wir vorher nur geringe Nachrichten über Nazareth haben." Im Alten oder Ersten Testament wird die 'Perle Galiläas', wie frühe Pilger die Stadt nannten, kein einziges Mal erwähnt.
Heutige Pilger nehmen sich meist nur zwei Stunden Zeit, um die 75.000-Einwohner-Stadt zu besuchen; in Ober-Nazareth (hebräisch Nazeret Illit, das seit kurzem Nof HaGalil heißt) leben weitere 40.000 Menschen. Dieser Kurzbesuch beginnt bei der griechisch-orthodoxen Gabrielskirche mit Marienbrunnen, worauf man von dort wenige Hundert Meter durch Altstadt und Basar zur Verkündigungsbasilika geht. Diese, von 1960 bis 1969 nach Plänen des Mailänder Architekten Muzio erbaut, begeht in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum ihrer Weihe.
Die Kirche auf drei Etagen wurde über der Verkündigungsgrotte errichtet, unter deren Altar "Verbum caro hic factum est" ("Das Wort ist hier Fleisch geworden") zu lesen ist. "In die Tiefe gehen" – dieses Bild kommt Pfarrer Gerd Greier aus Bad Kissingen in den Sinn, wenn er an seine Nazareth-Besuche und die Stufen hinunter zur Grotte zurückdenkt. An diesem Ort, der für ihn Ruhe und Frieden ausstrahlte, kamen ihm manche Bilder, Assoziationen, Gedanken. Einer davon: "Wie eine Glucke hütet sie ganz tief unten den Ursprungsort unseres Glaubens – dort hat alles angefangen und Gottes Wort konnte durch das Ja Marias Fleisch werden", ist sich der Priester der Diözese Würzburg sicher. Ganz nach unten müsse man steigen, in die Tiefe, um sich hinein zu denken und hinein zu fühlen in Marias Zwiegespräch mit dem Engel, meint Gerd Greier. Noch eine Einsicht hat der 45-Jährige aus Nazareth mit in die fränkische Heimat genommen: "Ganz leise wird Gott Mensch."
Die Kirche beherbergt – durchaus üblich für das Heilige Land – Überreste früherer Kirchen: darunter byzantinische Mosaiken aus dem frühen 5. Jahrhundert, Kreuzfahrergemäuer sowie Säulen der Barockkirche. Das kontrastiert mit den Dutzenden zeitgenössischer Mariendarstellungen von Künstlern der ganzen Welt, die im Innenhof und in der Kirche angebracht wurden. Damit vereinen sich am Ort des Jawortes Mariens afrikanische, nord- und lateinamerikanische, europäische und asiatische Sichtweisen auf die Mutter Jesu.
Orgeln aus Österreich, Fenster aus der Schweiz und die "Patrona Germaniae"
Das vom Coesfelder Künstler Egon Lichte geschaffene Keramikbild "Patrona Germaniae" zeigt unter Marias Schutzmantel zwei Kinder, die sich unter der deutschen Mauer hindurch die Hände reichen. Erst im Oktober 1989 wurde das Bild im Arkadengang neben der Kirche angebracht – wenige Wochen später fiel dann tatsächlich die Mauer.
Aus Österreich stammen nicht nur die drei Orgeln der Kirche, sondern auch die Fenster der Unterkirche, die Lydia Roppolt aus Wien gestaltete. Die Fenster der Kuppel dagegen stammen vom Schweizer Künstler Yoki Emile Aebischer und stellen die Apostel, die Eltern Mariens sowie die Marienverehrer Ephrem den Syrer und Bernhard von Clairvaux dar.
Die Oberkirche mit dem Apsismosaik eines sizilianischen Künstlers dient als Pfarrkirche der römisch-katholischen Christen Nazareths. Auch wenn manche Internetseiten behaupten, die Hälfte der Einwohner seien Christen, so ist laut Kennern der Lage nur noch jeder Dritte ein "Masihi" (arab. Messianer = Christ) oder "Nozri" (hebr. Nazarener = Christ). Diese freuen sich aufrichtig, wenn Pilger und Touristen nicht nur die "toten", sondern auch die "lebendigen" Steine besuchen, wie sie sich selbst verstehen und neuerdings auch nennen. Dafür bieten sich Dutzende von christlichen Einrichtungen an, darunter allein zehn christliche Schulen.
Linktipp: Der historische Jesus
Es ist strittig, wieviel Historisches man von Jesus gesichert weiß. Bei der kritischen Prüfung der historischen Quellen sind die vier Evangelien die wichtigsten Quellen - aber nicht die einzigen.In der Trägerschaft der Salvatorianerinnen befindet sich die Salvatorschule, in deren Verwaltung Schwester Klara Berchtold aus Memmingen seit Jahrzehnten tätig ist. Circa 100 Lehrkräfte unterrichten 1.500 Schüler, Christen wie Muslime, vom Kindergarten bis zum israelischen Abitur "Bagrut". Zum Personal gehören auch zwei Psychologen, eine Krankenschwester, drei Sonderpädagogen sowie ein Lehrer für Hochbegabte. Zum gemeinsamen Lernen von Muslimen und Christen erklärt die 80-jährige Ordensfrau: "In der ganzheitlichen Erziehung geht es uns um den Menschen, darum, dass die Kinder und Jugendlichen im gemeinsamen, positiven Miteinander heranwachsen. Dafür spielen unsere christlichen Werte wie Toleranz, Akzeptanz, Liebe, Vergebung eine große Rolle. Das ist eine Erziehung, die wir allen anbieten können."
Die Schulen sind das Fundament christlichen Lebens in Israel
Bildungsarbeit ist für sie gleich Friedensarbeit. Ohne Vorauswahl werden die Kinder mit vier Jahren aufgenommen, sie entstammen allen Schichten. Stolz verweist die Nonne auf die Abitur-Quote von 94 Prozent. Und über 30 Prozent der Abiturienten schließen mit Auszeichnung ab. Auf noch etwas ist Schwester Klara stolz: dass man die Klassenstärke verkleinert hat. Doch sei man noch nicht am Ziel – 35 Kinder pro Klasse – angelangt. Die Schuluniform hält sie übrigens für "ein Geschenk Gottes", das die Unterschiede zwischen Arm und Reich wegwische.
Nie waren christliche Privatschulen in Israel bei Fördermitteln den staatlichen Schulen gleichgestellt. Derzeit erhalten die 47 christlichen Schulen des Landes jedoch nur etwa die Hälfte der ihnen rechtlich zustehenden Regierungsgelder, erklärte der Generaldirektor der christlichen Schulen, Abdel-Masih Fahim Anfang des Jahres. Kein Wunder, dass Schwester Klara schlussfolgert, die israelische Regierung möchte die christlichen Schulen am liebsten abschaffen. Wenn es aber keine christlichen Schulen mehr gäbe, "dann ist die Gefahr, dass die Christen auswandern, sehr groß", versichert die Nonne. "Die christlichen Schulen sind in Israel unverzichtbar. Sie sind das stabile Fundament, wenn christliches Leben und christliche Präsenz in diesem Land eine Zukunft haben sollen."
Nach einem Besuch der Schule könnte man in der 400 Meter hoch gelegenen Stadt noch einmal bis zum Ursprung zurückgehen und im "Nazareth Village" in die Zeit Jesu eintauchen, in der die Stadt ein unbedeutender Weiler mit wenigen Hundert Bewohnern war. Das im Jahr 2000 eröffnete Freilichtmuseum veranschaulicht in einem 90-minütigen Rundgang Beten und Arbeiten vor 2000 Jahren. Bauer, Hirte, Weinbergwächter, Schreiner und Weberin demonstrieren ebenso ihre Arbeitsweise wie ein Esel die seine in einer nachgebauten Ölpresse. Repliken von Felsengrab samt Rollstein und antiker Synagoge verdeutlichen so manche Passage des Neuen Testaments und führen zu hörbaren Aha-Momenten bei Besuchern. Diese erhalten am Ende der Tour vom Museumsführer ein kleines Öllämpchen und damit den Auftrag, Licht der Welt zu sein.
Ein umgedrehter Lilienkelch
Zum Abschluss des Nazareth-Tages ist es ratsam, die Pilger in einer Messfeier zur Ruhe kommen, die Impulse und Anregungen des Tages bedenken und sortieren zu lassen. Beim Brotbrechen erleben sie eucharistische Tischgemeinschaft und erfahren Stärkung im Glauben. Als Gottesdienstorte bieten sich mindestens drei Möglichkeiten an: die Josefskirche neben der Basilika, die wunderschöne Ikonenkapelle im fünften Stock des gegenüberliegenden Marienzentrums oder das von der Basilika zehn Gehminuten entfernte Anwesen der "Kleinen Brüder von Charles de Foucauld" mit idyllischem Garten und Hauskapelle.
Für Pfarrer Pinzl war der Schulbesuch an seinem Nazareth-Tag das Eindrücklichste, stellte sich doch überraschenderweise heraus, dass Schwester Klara die Schwester seines Studienkollegen der 1960er Jahre ist. Für Johannes Oswald war das Freilichtmuseum der Höhepunkt, Martha hingegen wurde tief berührt von der Messe im "Centre International Marie de Nazareth" berührt – mit bestem Blick auf die Kuppel der Verkündigungskirche. Die stellt einen Lilienkelch dar, der sich von oben zur Grotte hin öffnet, um in der Menschwerdung Gottes Reichtum und Gnade über alle auszugießen. Das hat Martha an diesem Tag ein wenig spüren dürfen.