Vom Senfmacher des Papstes zum gefüllten Esel vom Grill

Was Mönche und Bischöfe zur Esskultur Frankreichs beigetragen haben

Veröffentlicht am 15.06.2019 um 12:54 Uhr – Lesedauer: 

München/Paris ‐ 2010 erkannte die Unesco die französische Küche als immaterielles Weltkulturerbe an. Ihre Vielfalt haben nicht nur Könige und Adlige begründet, sondern auch Mönche und Bischöfe. Ein kleiner Blick über den Tellerrand.

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Der normannische Philosoph Wilhelm von Conches (1090-1154) spottete einst: "Die meisten unserer Bischöfe durchforschen das Universum nur, um Köche zu finden, die fähig sind, gepfefferte Saucen zu komponieren." Tatsächlich haben Kirchenleute – Mönche und Bischöfe – eine Menge zur einmaligen Vielfalt der französischen Küche beigetragen, die die Unesco 2010 als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt hat. Wie viel, das hat der Salzburger Autor Peter Peter in seinem neuesten Buch "Vive la cuisine! Kulturgeschichte der französischen Küche" zusammengetragen.

Die Vielfalt der Regionalküchen, die handwerkliche Qualität der Weine und Lebensmittel: Frankreichs Kochkunst ist weltberühmt. Zwar entsteht der Hype darum erst mit Ludwig XIV., der in Versailles den Adel aus allen Landesteilen anzieht. Doch der "Speiseluxus" des Sonnenkönigs hat eine Vorgeschichte in den Klöstern.

Autor Peter bezeichnet Frankreichs Klöster als "kulinarische Kompetenzzentren innovativer und zugleich therapeutisch abgeklopfter Rezepte". Wie konnte es dazu kommen? Die Mönche waren zumeist von höherem Stand; sie waren gebildet und schreibfähig, pflegten eine arbeitsteilige Wirtschaft: gute Voraussetzungen für die Pflege von Überlieferungen und eine Vielzahl vorgehaltener Produkte.

Kreuzzüge brachten orientalisches Wissen nach Europa

Über die Kreuzzüge gelangte unendliches Wissen des Orients nach Westen: Diätetik, Gewürzgärten - die Klöster sammelten es ein. Damaszenerpflaumen, Schalotten und Chardonnay-Trauben - mit Anklängen an "schahar adonai", hebräisch für "Pforten des Herrn"- sollen aus dieser Zeit stammen. Neben der Kultur des Weinbaus ist auch die wichtige Gattung der französischen Klösterliköre nicht zu vergessen, allen voran der hochprozentige Chartreuse aus der Großen Kartause von Grenoble.

Die Statuetten die Allegorien der Todsünden von Peter Dell d. Ä.
Bild: ©Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Foto: J. Musolf

Völlerei ist eine der sieben Todsünden.

Bis zu einer systematischeren Pflege in Sachen Kulinarik war es freilich ein weiter Weg. Lange Jahrhunderte seit dem Urchristentum galt Schlemmen als ein Verstoß gegen das Gebot der Mäßigung. 785 erließ Karl der Große während der Sachsenkriege etwa ein drakonisches Gesetz, das für Fastenbrechen die Todesstrafe vorsah. Allerdings kollidierte für die Herrschenden die gebotene Askese mit dem christlichen Ideal der "amicitia" (Freundschaft), das zu den Regierungspflichten gehörte und zu üppigen Gelagen nötigte.

Einen Akt "christlicher Ernährungspolitik" nennt Autor Peter das um 800 verfasste sogenannte Capitulare de villis Karls des Großen. Diese Agrarverordnung ist eine Art Ausführungsbestimmung zu den christlichen Fastengesetzen für die königlichen Güter. Sie ermuntert neben Geflügelzucht auch zum Anbau von Kräutern, von Obst wie Kirschen, Mandeln, Pfirsichen, Pomeranzen, Maulbeeren und Quitten und Gemüsesorten wie Kohlrabi, Pastinaken, Endivien, Bärwurz und Wildkürbissen. Manche Sorten freilich konnten nur im Süden des Reiches gedeihen.

Askese: Ein Stoppschild für aufwendige Rezepte

Bis weit ins hohe Mittelalter geboten immerhin noch Askese und Pietät, aufwändigere Rezepte nicht aufzuschreiben. Eine der wenigen Spezialitäten, die auf uns gekommen sind, stammt vom Hof König Dagoberts II. (676-679) und beschreibt einen staunenswerten, mit Singvögeln und Aalen gefüllten Esel vom Grill. Später – die Wiederkunft des Herrn am Jüngsten Tag verzögerte sich – geriet das Mäßigungsgebot immer mehr ins Hintertreffen. Legendär und oft beschrieben ist die überbordende Einkaufsliste zur Amtseinführung von Papst Clemens V. 1342 im provenzalischen Avignon: 914 Zicklein, 1.023 Hammel, 69 Zentner Speck und 7.428 Hühnchen sind nur einige wenige Posten.

Bild: ©Verlag St. Benno

In Sachewn Fastenspeise wurde man kreativ: Alles, was im Wasser lebt, war in Ordnung – darunter natürlich Fisch.

Findig wurden die Mönche auch in der Umgehung der Fastenvorschriften: Tiere, die im Wasser leben, wurden als Fastenspeise eingepreist: Biber etwa oder Frösche. Froschschenkel waren einst ein Arme-Leute-Essen, so Peter. Vom Konzil von Konstanz (1414-1418) gebe es schöne Malereien, die Verkaufsstände mit Fröschen zeigten. Aus Savoyen ist von 1403 ein Fasten-Bankett mit Delfin-Risotto und Hecht auf dreierlei Art überliefert, zusammengestellt von einem Hofkoch von Herzog Amadeus VIII. Letzterer wurde später zum Gegenpapst Felix V. gewählt.

Zubereitet wurden die Speisen in immer professionelleren Klosterküchen. Eine der pittoresken Exemplare hat in der Zisterzienserabtei Fontevraud an der Loire überlebt, der Grablege von König Richard Löwenherz und Eleonore von Aquitanien. Hatte nicht der Ordensgründer der Zisterzienser, der magenkranke Asket Bernhard von Clairvaux (1090-1153), förmlich aufgejault ob der "100 Arten", Eier zuzubereiten: "Man wendet sie, wendet sie wieder zurück, verrührt sie, hackt sie, brät sie, röstet sie; man serviert sie bald allein, bald mit anderen Lebensmitteln vermengt."

Tatsächlich haben auch unendlich viele Redensarten ihren Weg von Kochtopf und Küche in die französische Sprache gefunden. Besonders charmant: Einen Hinterbänkler mit einem unwichtigen Versorgungspöstchen nennt man auf Französisch bis heute auch "moutardier du pape" – "den Senfmacher des Papstes".

Von Alexander Brüggemann (KNA)