"Junge Menschen haben vom synodalen Prozess noch nichts mitbekommen"
Gut ein halbes Jahr nach der großen Jugendsynode gibt es jetzt ein neues Treffen im Vatikan - diesmal tagen nicht die Bischöfe, sondern die Jugendlichen selbst. Sie wollen die Diskussionen der Oberhirten und das Schreiben "Christus Vivit" von Papst Franziskus nachbereiten. Im Interview erklären zwei deutsche Teilnehmer, ob das gelingt.
Frage: Herr Andonie, Frau Ordowski, Sie sind gerade auf der Nachsynode zum Thema Jugend in Rom. Worum geht’s da?
Thomas Andonie: Wir diskutieren darüber, wie die Ergebnisse der Jugendsynode und das nachsynodale Schreiben des Papstes "Christus Vivit" umgesetzt werden können, wie also eine synodale, partizipative Kirche gestaltet werden kann.
Frage: Wozu braucht es dieses Forum, mehr als ein halbes Jahr nach der Jugendsynode? Ist nicht alles gesagt?
Andonie: Die Synode war ja kein abgeschlossenes Ereignis. Sie ist ein Prozess. Hier wird immer wieder von "synodal journey" – synodaler Reise – gesprochen. Man kann das mit dem geplanten synodalen Weg in Deutschland vergleichen. Es ist wichtig, dass wir uns jetzt vergewissern, dass wir dasselbe meinen, wenn wir über die Zukunft der Kirche sprechen. Und dass die Kirche jungen Menschen Raum einräumt, in dem sie sich auf Augenhöhe einbringen.
Frage: Was waren bisher die ausschlaggebenden Themen in den Diskussionen?
Daniela Ordowski: Bisher ist deutlich geworden, dass wir mehr auf die Realitäten in den verschiedenen Ländern achten müssen. Es gibt viele Länder, in denen "Christus Vivit" noch nicht einmal in der Landesprache erhältlich ist. Außerdem wird deutlich, dass die Beteiligung der Frauen in der Kirche in vielen Ländern eine unglaublich große Bedeutung hat.
Andonie: Mir ist aufgefallen, dass es in vielen Ländern anscheinend keinen richtigen Raum zur Aussprache gibt. Eine Delegierte aus Uganda hat gesagt, dass sie mit dem Fragebogen im Vorfeld der Jugendsynode zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, sich direkt an den Papst zu wenden, ohne, dass die Bischöfen vorgefiltert haben. Junge Menschen haben den Wunsch, gehört zu werden, aber ihnen wird dafür keine Möglichkeit gegeben. Das muss sich ändern.
Frage: Ein Programmpunkt der Nachsynode war der Austausch in 18 Sprachgruppen. Was konnten sie dort erfahren, was sich durch die Jugendsynode in den unterschiedlichen Ländern verändert hat?
Ordowski: In fast allen Ländern haben die jungen Menschen noch nichts vom synodalen Prozess mitbekommen. Da ist viel zu tun. In meiner Sprachgruppe wurde außerdem klar, dass wir trotz aller Unterschiede uns bei vielen Dingen unglaublich einig sind: Wir brauchen mehr Transparenz in der Kirche, mehr Frauen in der Kirche, eine authentische Kirche. Außerdem wollen wir sehen, dass sich etwas in der Kirche tut. Alle Länder warten darauf.
Andonie: Mir wurde deutlich, dass es eine neue Sprachkultur in der Kirche braucht. Wir erleben, dass Delegierte in der Synodenaula ganz anders reden als außerhalb. Auch da haben wir noch ein großes Stück Arbeit vor uns, wenn junge Menschen weltweit mit Kirchenvertretern auf Augenhöhe sprechen sollen. In Deutschland funktioniert das ja schon ganz gut.
Frage: Was meinen sie mit anders sprechen?
Andonie: Man hat Scheu davor, Kritik zu äußern. Wenn wir abends bei einem Gläschen Wasser zusammensitzen, werden da viele feministische Themen ausgepackt: Da geht es um die Frage: Wie geht man mit LGBTIQ um? Wie kann jeder Mensch in der Kirche einen Raum haben? Von denselben Menschen werden dann in der Synodenaula ganz andere Themen weit weg davon angesprochen, weil man anscheinend Angst hat.
Ordowski: Das zeigt, dass die Machtstrukturen von Land zu Land noch sehr unterschiedlich sind.
Frage: Wie bewerten Sie denn die Machstrukturen in Deutschland?
Andonie: Wir sind auf einem guten Weg. Der synodale Weg in Deutschland läuft bewusst auf Augenhöhe zwischen Laien und Bischöfen - um die Kirche zu entwickeln, Macht abzugeben und nicht nur Symptome zu behandeln, sondern den Systemfehler anzugehen. Es war ein großer Schritt der Bischofskonferenz, zu erkennen: Der Fehler liegt im System.
Frage: Der synodale Prozess in Deutschland wird aber auch kritisiert, weil nicht klar ist, wie er tatsächlich aussehen soll…
Andonie: Den synodalen Weg zeichnet ja aus, dass nicht die Bischöfe sagen, wie es geht und dann alle loslaufen. Die Bischofskonferenz spricht gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und beschließt Leitlinien. Im September werden sie Ergebnisse bekanntgeben – und dann hoffentlich damit ein Signal setzen, dass die Kirche die Leitung zurück an das ganze Volk Jesu Christi gibt. Das würde ich mir übrigens auch für die Weltkirche wünschen.
Frage: Zurück zur Nachsynode – Wie verbindlich ist das, was sie dort diskutieren?
Andonie: Die Nachsynode war eher als Forum für den Austausch gedacht. Der Vatikan sollte ernstnehmen, wie viele junge Menschen Lust haben, Kirche auf der Ebene der Weltkirche zu verändern. Das könnte sie tun, indem sie Jugendverbände dabei mitnimmt, wenn künftige Synoden und Konferenzen vorbereitet werden. Ich würde mir wünschen, dass es eine Selbstverständlichkeit wird, dass Kirche nur gemeinsam gestaltet werden kann.
Frage: Es wird also kein Abschlussdokument geben?
Andonie: Das Ziel war der Austausch. Die Dokumente, die in den Kleingruppen entstanden sind, werden gesammelt. Wir werden nachfragen und überprüfen, wie es damit weitergeht. Ob es ein Abschlussdokument gibt, wurde uns nicht mitgeteilt. Das ist ein Punkt, an dem der Vatikan noch lernen muss, transparent zu sein und seine Prozesse offenzulegen.