Empörung nach Verstaatlichung katholischer Krankenhäuser in Eritrea
Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass in Eritrea Kirche und Staat aneinandergeraten. Die jüngsten Verstaatlichungen katholischer Krankenhäuser reihen sich ein in eine historische Auseinandersetzung der kleinen katholischen Minderheit mit dem Regime, die bis zur Gründung des ostafrikanischen Landes 1993 zurückreicht. Die Kirche verstand sich schon immer als kritisches Sprachrohr des Volkes in dem kommunistischen Einparteienstaat. Und wird als solches auch trotz regelmäßiger Einschüchterungsversuche nicht aufhören, meint der Missio-Referent für Ostafrika, Hans-Peter Hecking.
Frage: Herr Hecking, inwiefern ist die Beschlagnahmung der katholischen Krankenhäuser eine Rache des eritreischen Staates an dem jüngsten Hirtenbrief der katholischen Bischöfe des Landes, in dem sie sich wieder einmal kritisch zur Politik des Landes geäußert haben?
Hecking: Es kann sein, dass der Pastoralbrief, den die Bischöfe zum Osterfest herausgegeben haben, das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Allerdings muss man sehen, dass die staatlichen Bemühungen, kirchliche Aktivitäten im Land einzuschränken, schon mit Gründung des Staates begonnen haben. Seit der eritreischen Unabhängigkeit 1993 versuchte man die katholische Kirche wie alle anerkannten Religionsgemeinschaften – Orthodoxe, Muslime und Lutheraner – bezüglich ihrer sozialen Aktivitäten an die kurze Leine zu nehmen. 1995 gab es hierzu ein entsprechendes Dekret und die katholische Kirche protestierte dagegen von Anfang an. Auch jetzt hat die Kirche unverzüglich reagiert und nach der jüngsten Beschlagnahmung der Krankenhäuser einen Protestbrief an die Gesundheitsministerin geschrieben. Bereits im ersten Satz erwähnen die Bischöfe das Dekret von 1995 und betonen, dass sie bereits damals deutlich gemacht haben: Die eritreisch-katholische Kirche hat einen ganzheitlichen Auftrag und will sich neben der geistlichen Arbeit sehr wohl auch in die Wohlfahrt, soziale Arbeit, den Aufbau und die Entwicklung des Landes einbringen.
Frage: Hat das Misstrauen des Staates gegenüber der eritreischen Kirche historische Gründe? Schließlich gilt Äthiopien, das ja lange Einfluss auf Eritrea nahm, als tief verwurzelt im Christentum. Will man sich davon in Eritrea abgrenzen, um auch Einfluss von außen möglichst zu vermeiden?
Hecking: Die katholische Kirche ist in Eritrea wie auch in Äthiopien eine verschwindend kleine Minderheit. In Eritrea gibt es rund 120.000 Katholiken, verteilt auf vier katholische Bistümer, wie wir es nennen würden. Nein, die katholische Kirche hat sich, obwohl sie eine so kleine Minderheit ist – und da muss man den Mut der vier eritreischen Bischöfe hervorheben – von Anfang an innerhalb des Landes als kritische Kraft gesehen und das auch nach außen getragen. Etwa in regelmäßig erscheinenden Pastoralbriefen – der letzte war eben besagter von Ostern – und ich könnte mindestens zehn, zwölf Briefe aus den Vorjahren nennen. Darin macht die katholische Kirche als Sprachrohr des Volkes Kritik an den Verhältnissen im Land deutlich.
Linktipp: Auf der Flucht
Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht".Frage: Es ist ja nicht das erste Mal, dass das eritreische Regime kirchliche Krankenhäuser beschlagnahmt – einige sollen bis heute geschlossen sein. War die jüngste Aktion des Staates außergewöhnlich heftig?
Hecking: Es ist interessant, dass die katholische Kirche in ihrer Stellungnahme hierzu auf die äthiopische Zeit unter dem Derg-Regime Bezug genommen hat und die jüngsten Beschlagnahmungen in den Kontext der Äthiopisierung von damals gestellt hat. Damals wurden auch kirchliche Einrichtungen verstaatlicht. Darauf blicken sie heute noch und sagen: "Schaut, das war damals ein ausländischer Diktator, der Kirchen beschlagnahmte. Doch damals gab es noch Hoffnung auf Befreiung. Was ist jetzt? In einem Rechtsstaat kann so etwas nicht passieren", sagen sie.
Frage: Aber Eritrea hat ja keinen Rechtsstaat; es gibt ja auch keine Verfassung.
Hecking: Es ist interessant, wie die Bischöfe hier sozusagen zwischen den Zeilen ihre Kritik deutlich machen: In einem Rechtsstaat sind derartige Taten, wie sie jetzt durch die Regierung geschehen sind, unmöglich. Die Bischöfe haben in all ihren Briefen – auch in dem jüngsten – ihre Kritik deutlich gemacht, dass es in Eritrea keine rechtsstaatlichen Verhältnisse gibt. Es gibt keine Gewaltenteilung in diesem Land. Es gibt kein funktionierendes Parlament, keine Judikative, keine Legislative oder Exekutive. Alles ist dem Diktat des Einparteienstaates untergeben – mit Isayas Afewerki an der Spitze.
Frage: Bei den Beschlagnahmungen der kirchlichen Krankenhäuser wurden Ärzte nach Hause geschickt, Patienten mussten ihre Betten verlassen. Haben diese Menschen nun keinerlei rechtliche Handhabe, um sich zu wehren?
Hecking: Diese Möglichkeit besteht kaum. Wo keine Rechtsstaatlichkeit herrscht – was wollen sie da machen? Sie können nur deutlich protestieren, wie es die Bischöfe tun.
Frage: Von außen hat sich die UN-Sonderbotschafterin für Menschenrechte, Daniela Kravetz, gemeldet und von Christenverfolgung in Eritrea gesprochen. Würden Sie das so unterschreiben?
Hecking: Da wäre ich etwas vorsichtig, weil die Regierung derlei Maßnahmen seit Jahren sowohl gegen Christen als auch gegen andere Religionsgemeinschaften anwendet. Auch Muslime waren in den vergangenen Jahren immer wieder von Repressionen betroffen. Wenn man es auf einen Punkt bringen will, handelt es sich hier nicht lediglich um Christenverfolgung, sondern um eine Verfolgung und Unterdrückung des ganzen eritreischen Volkes.
Frage: Wie viele politische Häftlinge gibt es Ihrer Einschätzung nach in Eritrea?
Hecking: Aus Äthiopien weiß man, dass mit dem neuen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed politische Gefangene freigelassen worden sind. Entsprechende Meldungen aus Eritrea sind mir nicht bekannt. Die Zahlen der politischen Gefangenen dort gehen in die Zehntausende. Und das unter unmenschlichsten Haftbedingungen. In den zurückliegenden Jahren hat es Berichte von Folter gegeben, auf Basis von dokumentierten Zeugenaussagen von Geflüchteten etwa. Das ist ein brutales System. Nach außen war man voller Hoffnung, was die Grenzöffnung zu Äthiopien im Zuge des Friedensabkommens angeht. Aber nach Innen hat sich in Eritrea praktisch nichts geändert.
Frage: Wird in Eritrea im Zweifel sogar noch restriktiver vorgegangen, weil man befürchtet, dass nun liberale Kräfte von außen das System stören könnten?
Hecking: Die restriktiven Maßnahmen waren in den letzten Jahren kaum zu überbieten. Ich wüsste nicht, wie da noch eine Steigerung denkbar wäre. Es hat sich schlicht seit Jahren nichts geändert. Das zeigt sich auch an den jüngsten Handlungen gegen die katholische Kirche. Diese Art Steinzeit-Kommunismus, die Maßnahmen der Diktatur gehen weiter und man versucht alles unter Kontrolle zu halten.
Frage: Auch in Äthiopien gibt es Spannungen zwischen ethnischen Gruppen. Wie friedlich ist es mit dem Friedensabkommen wirklich geworden in den beiden Ländern?
Hecking: Man muss einfach sehen, Äthiopien ist ein Riesenland mit hundert Millionen Menschen, dagegen ist Eritrea klein mit knapp fünf Millionen Einwohnern. In Eritrea gibt es neun unterschiedliche Ethnien, in Äthiopien 80. All die Regionen des Landes verlaufen entlang ethnischer Grenzen. Ziel ist es, Äthiopien zu einer Nation zu machen mit all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Es gibt allein in Äthiopien viele Nationalismen bezogen auf die verschiedenen Ethnien.
„Das ist nicht einfach nur Christenverfolgung, sondern Verfolgung des ganzen eritreischen Volkes.“
Frage: Ein großes Problem, das die eritreischen Bischöfe auch angesprochen haben, ist die Flucht Hunderttausender Menschen aus dem Land. Haben die Fluchtbewegungen nach Äthiopien mit der Grenzöffnung noch zugenommen?
Hecking: Äthiopien hat schon immer die meisten eritreischen Flüchtlinge aufgenommen. Mit dem Friedensabkommen wurde der Handel zwischen beiden Ländern wiederaufgenommen, Eritreer gehen über die Grenze, um für sich und ihre Familien einzukaufen. Aber einige werden die Gelegenheit auch nutzen, um für immer nach Äthiopien auszuwandern. Die Bischöfe sprechen nicht umsonst auch in ihrem jüngsten Papier wieder von "Massenflucht".
Frage: Was bedeutet das jetzt für die Versöhnungsarbeit zwischen den Ländern, wenn sich die Situation in Eritrea nicht verbessert und die Menschen weiter leiden und fliehen?
Hecking: Die Bischöfe begrüßen in ihrem Schreiben die Friedensinitiative zwischen Eritrea und Äthiopien, verweisen aber trotzdem auf die vielen Eritreer, die im Exil leben, im Gefängnis sind, die Fluchthelfern in die Hände geraten. Wir kennen die Geschichten der Grausamkeiten gegen eritreische Flüchtlinge auf dem Sinai oder durch Tod und Verderben auf der Mittelmeer-Route. Die Bischöfe schlagen eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission vor, durch die die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte in Dialog treten können. Dieser Dialog sollte nach dem Wunsch der Kirche transparent sein und medial begleitet werden – eine deutliche Forderung auch der Pressefreiheit im Land. Sie formulieren es so, dass eine Sprache der Gewalt und Rache durch die des Friedens ersetzt werden sollte.
Frage: Wenn der Staat auf diese Forderungen mit Beschlagnahmungen kirchlicher Einrichtungen reagiert, scheint auf dessen Seite aber nicht viel Dialogbereitschaft zu herrschen?
Hecking: Die Kirche versucht seit Jahren, den Finger in die Wunden zu legen. Und das wird sie auch nicht aufgeben. Umgekehrt ist staatlicherseits wenig Wille, an den innenpolitischen Verhältnissen etwas zu ändern, nämlich rechtsstaatliche Verhältnisse aufzubauen, für zivilgesellschaftliche Mitwirkung zu sorgen oder dafür, dass Menschen- und Bürgerrechte eingehalten werden. Das ist noch ein langer Weg und die Kirche sorgt sich, ob dieser Weg auf Dauer friedlich bleibt.
Frage: Was tut sich denn im Volk? Ist dort nicht Bewegung hineingekommen mit dem Friedensabkommen und der Grenzöffnung nach Äthiopien?
Hecking: Der Druck, den das Regime auf die Bevölkerung ausübt, ist nach wie vor sehr groß. Innerhalb des Landes gibt es keine Opposition, die Opposition im Exil ist in sich sehr zersplittert. Von daher ist es schwer, zu sagen, ob sich hier etwas bewegen wird.