Benediktinerabtei Fontgombault nimmt verurteilten Serienmörder auf

Falscher Arzt, echter Mörder: Jean-Claude Romand geht ins Kloster

Veröffentlicht am 07.07.2019 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ein Vierteljahrhundert saß er hinter Gittern - wegen fünffachen Mordes. Jetzt will Jean-Claude Romand ins Kloster. Und der Abt von Fontgombault hat nichts dagegen. Es wäre nicht das erste Mal, dass seine Klostermauern einen Mörder beherbergen. Doch es gibt scharfe Kritik.

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Alles begann mit einer kleinen Notlüge. Ja, auch die Geschichte eines der entsetzlichsten Mordfälle der jüngeren Geschichte Frankreichs. Jean-Claude Romand war nämlich durchgefallen. Er hatte die wichtige Prüfung im zweiten Semester einfach nicht geschafft. Doch seine Eltern setzten große Hoffnungen in das Medizinstudium ihres Sohnes. Da log er. Natürlich habe er bestanden. Selbstverständlich könne er sein Studium ohne Probleme fortsetzen.

Das konnte er aber nicht. Denn ohne diese Prüfung absolviert zu haben, konnte er nicht weiterstudieren. Konnte er kein Arzt werden. Deshalb meldete sich Romand im nächsten Jahr noch einmal für die gleiche Prüfung an. Doch er ging nie hin. Im darauffolgenden Jahr wieder. Und wieder erschien er nicht zur Klausur. Das wiederholte sich von da an Jahr für Jahr. Wenn man ihn allerdings fragte, schilderte er eine Studienlaufbahn aus dem Bilderbuch.

Aus der Notlüge wird eine Lebenslüge

Er sagte, er mache sein Examen. Er erzählte von einer Doktorarbeit, von ihrem erfolgreichen Abschluss. Nicht nur seinen Eltern, auch seinen Freunden und der Frau, die er heiratete. Aus der kleinen Notlüge wurde schnell eine Lebenslüge. Er gab vor, für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu arbeiten. Beim Abendessen verriet er, dass er an einem Mittel gegen Arteriosklerose forsche. Doch er wolle nicht mit Details langweilen.

Jeden Morgen fuhr er mit dem Auto los. Aber nicht in die Schweiz. Stattdessen kurvte er an der französisch-schweizerischen Grenze entlang. Von Zeit zu Zeit besuchte er das Informationszentrum der WHO und las dort öffentlich zugängliche Fachzeitschriften. Das angelesene Wissen nutzte er dann, wenn er doch einmal von seiner "Arbeit" erzählen sollte. Auch seine Geschäftsreisen führten ihn nicht zu Konferenzen nach Übersee, sondern in ein Hotel am Genfer Flughafen. Dort las er wissenschaftliche Artikel zu "seinem" Tagungsthema und Reiseführer zu dem jeweiligen Land, in dem er sich aufhielt.

Der Serienmörder Jean-Claude Romand bei Prozessbeginn 1996
Bild: ©picture-alliance / dpa

Der wegen Mordes an seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern angeklagte Franzose Jean-Claude Romand (r) sitzt zu Prozeßbeginn am 25.06.1996 in Bourg-en-Bresse im Gerichtssaal.

Womit bezahlt man solch eine Scharade? Zunächst konnte er seine Lügen aus dem Einkommen seiner Frau und dem Verkauf seiner Studentenwohnung in Lyon finanzieren. Als dieses Geld zur Neige ging, deutete er Bekannten gegenüber an, durch seine Arbeit bei der WHO Zugang zu geheimen Hedgefonds in der Schweiz zu haben. Treuherzig oder gierig auf satte Gewinne liehen sie ihm größere Summen. Die er wiederum für seinen Lebenswandel und für Geschenke an seine Frau oder seine Geliebte aufwendete.

Aus einem Lügner wird ein Mörder

Romand schaffte es, sein Lügengebilde 18 Jahre lang aufrechtzuerhalten. Dann drohte er aufzufliegen. Seine Bekannten fragten immer drängender nach ihrem Geld. Romand kaufte sich eine Pistole mit Schalldämpfer und fuhr "nach der Arbeit" nach Hause. In der Nacht erschlug er seine Frau mit einem Nudelholz. Am nächsten Morgen schaute er, als sei nichts gewesen, mit seinen Kindern Cartoons im Fernsehen. Am frühen Abend brachte er sie ins Bett und erschoss seine siebenjährige Tochter und seinen fünfjährigen Sohn. Danach fuhr er 80 Kilometer zu seinen Eltern und aß mit ihnen zu Abend. Danach erschoss er auch sie und ihren Hund. Der Versuch, seine Geliebte zu töten, scheiterte. Er kehrte nach Hause zurück, legte Feuer um sein Haus und schluckte Schlaftabletten.

Das Haltbarkeitsdatum der Tabletten war abgelaufen. Sie wirkten kaum. Dabei hätte Romand stärkere Medikamente im Haus gehabt. Vielleicht wollte er gar nicht wirklich sterben. Die örtliche Feuerwehr fand ihn nur bewusstlos. Der Prozess erregte in Frankreich sehr großes Aufsehen. Romand wurde des mehrfachen Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Gesicht beherrschte noch wochenlang die Titelseiten der großen Tageszeitungen, während er längst hinter den Mauern eines Hochsicherheitstraktes verschwunden war.

An den steinigen Ufern der Creuse, 50 Kilometer von Poitiers entfernt, erheben sich seit über 900 Jahren andere Mauern; die der Abtei Fontgombault. Nach einer wechselvollen Geschichte erklingen hier seit 1949 jeden Tag um zehn Uhr wieder gregorianische Gesänge. Durch Mönche der Kongregation von Solesme neu besiedelt, leben hier heute 60 Mönche nach den strengen Regeln des heiligen Benedikt. Sie beten und arbeiten. Und sie heißen bald einen verurteilten Mörder in ihrer Gemeinschaft willkommen.

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Denn während seiner Haft soll Romand sich verändert haben. Das behauptet zumindest der für ihn zuständige Gefängniskaplan. Deshalb hat er auch zu seinen Gunsten ausgesagt: Aus dem Serienmörder sei ein wahrer Musterhäftling geworden. Und fromm, sehr fromm soll er sein. Romand habe sich eine Unterbringung in einem geistlichen Haus gewünscht, sagt der Kaplan. Deshalb fragte der Geistliche mehrere Klöster an – der Abt von Fontgombault sagte zu. Nach einer 26-jährigen Haft verließ Romand Ende Juni das Gefängnis und ging sofort nach Fontgombault.

Mörder hinter Klostermauern

Die malerisch gelegene Benediktinerabtei hat schon einmal einen Mörder beherbergt. Paul Touvier tauchte hier in den 1970er Jahren unter. Der Kollaborateur war in Vichy-Frankreich Milizenführer gewesen und hatte Partisanen der französischen Résistance und Juden verfolgt. Der fromme Katholik hatte schon während des Krieges gute Verbindungen in rechtsnationale Kreise des katholischen Klerus geknüpft. 1947 wurde ein Todesurteil gegen ihn verhängt. Daraufhin versteckten ihn die Äbte mehrerer Klöster, darunter auch Fontgombault.

Nach über 40 Jahren in einer ganzen Reihe von Klöstern wurde Touvier schließlich in einer Priorei der Piusbruderschaft in Nizza entdeckt. Die religiöse Gemeinschaft gab an, den unter einem Decknamen lebenden Touvier "aus Barmherzigkeit gegenüber einem Obdachlosen" aufgenommen zu haben. Mit 76 Jahren wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Seine Beerdigung fünf Jahre später wurde von Geistlichen der Piusbruderschaft durchgeführt.

Nun will ein anderer Abt einen anderen Mörder in den gleichen Klostermauern beherbergen. "Warum hast du dem zugestimmt und uns damit in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gestoßen? Was ist mit den vielen Nachteilen die das für unser Leben in Gebet und Stille mit sich bringt?", fragen seine Mitbrüder. Wie kannst du nur einen Mörder aufnehmen, fragen die Angehörigen von Romands Frau, fragt ganz Frankreich. Durch seine Taten habe Romand all sein Mensch-Sein verloren und eine Chance auf Freiheit verloren, sagte ein Angehöriger. Die Antwort auf diese berechtigten Fragen sei einfach, sagt der Abt: das Evangelium.

"Erinnern wir uns an den Blick Christi auf den guten Dieb und auf die Sünderin Maria Magdalena. Es ist ein Wort, an das Papst Franziskus nicht müde wird uns zu erinnern: Gnade." Das Kloster sei ein Ort der Suche nach Gott. Romand ist nach Einschätzung des Abtes ein Suchender. Man wolle auch einem verurteilten Serienmörder mit Barmherzigkeit begegnen, wenn er seine Sünden bereue. Romand muss eine elektronische Fußfessel tragen. Er darf das Klostergelände nur zu bestimmten Zeiten und die Klostergebäude nachts gar nicht mehr verlassen. Man nehme ihn zunächst für zwei Jahre auf, sagt der Abt.

Von Cornelius Stiegemann