Sonne, Strand und Segen
Über der Urlauberkapelle in Cuxhaven-Duhnen wölbt sich ein blauer Himmel, der an diesem Tag nicht strahlender sein könnte. Am Fuß des Glockenturms fiebert die Hochzeitsgesellschaft dem Moment entgegen, den Braut und Bräutigam bestimmen. Dann geben Nathalie Kulmsee und Ulrich Wellmann das Zeichen – über den Köpfen steigen weiße Ballons in den Himmel, begleitet von einem roten Herzen. Kurz zuvor hat sich das Urlauberpaar das Ja-Wort gegeben. Sie mit einem Brautstrauß aus Muscheln, er mit einem Seestern am Revers. Und ganz bewusst in der Urlauberkapelle, die an der Nordseeküste einzigartig ist.
"Ich kenne Cuxhaven von Kindesbeinen an, ich habe hier oft Urlaub gemacht", sagt Nathalie Kulmsee. "Die Weite über dem Wasser, die Wellen, der Horizont, die Natur – das passt zu uns", schwärmt sie von dem Nordseeheilbad, das die Erzieherin aus Unna mit ihrem nun frisch angetrauten Ehemann seit vielen Jahren besucht.
Ein Ort der Stille im Trubel der Hochsaison
Und die Urlauberkapelle steht eben nur ein paar Schritte vom Duhner Strand entfernt, der den Blick freigibt auf Wattenmeer und Ozeanriesen, die von und nach Hamburg kommend Cuxhaven passieren – mit jährlich rund 3,8 Millionen Übernachtungen einer der touristischen Hotspots an der Küste. Die Kapelle ist gleichzeitig das älteste Gebäude im Ort, 1860 als Scheune erbaut.
Das sieht man dem Haus auch an, denn der Gottesdienstraum erinnert an eine Bauerndiele. 1952 wurde das Gebäude von der evangelischen Kirche gekauft und ist mittlerweile ohne Ortsgemeinde ganz und gar der Urlauberseelsorge gewidmet – als einzige Kirche an der Nordsee zwischen den Niederlanden und Dänemark. Sie ist ganzjährig von 10 bis 18 Uhr geöffnet und bietet auch im größten Trubel der Hochsaison einen Ort der Stille. In nächster Zeit soll sie saniert und erweitert werden.
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Nicht immer bleiben die Ferien konfliktfrei. Hilfestellung bei Sorgen und Nöten bietet die Urlaubsseelsorge. Im Ostseebad Damp kümmert sich Georg Hillenkamp um die Feriengäste. Im Interview spricht er über seine Aufgaben. (Interview von Juli 2013)"Die Kapelle ist ein Magnet für Touristen", hat die evangelische Urlauberseelsorgerin Maike Selmayr erfahren. "Draußen tobt das Leben, drinnen öffnet sich ein Ruheraum", beschreibt die Pastorin den Ort, an dem sie seit sechs Jahren arbeitet. Sie führt zwar kein Buch über die Zahl der Gäste, die in die Kapelle kommen. Doch die Kerzen, die Besucher im vergangenen Jahr in ein hölzernes Segens-Schiffchen namens "Hoffnung" gestellt haben, gibt einen Hinweis: "Es waren 20.000 – und auch in diesem Jahr werden es wieder viele."
Oft kommen Besucher zu Beginn ihres Urlaubs in die Kapelle und zünden eine Kerze nach einer guten Anreise an, am Ende des Urlaubs nicht selten verbunden mit einem Dank für eine erholsame Zeit. Dazwischen können Gäste in der Kapelle an Gottesdiensten, Vorträgen, Konzerten und geistlichen Lesungen teilnehmen, die im Programm unter anderem als "Kraftquelle" oder als "Nahrung für Herz und Hirn" auftauchen. "Besonders beliebt sind allabendlich die Gute-Nacht-Geschichten für Kinder, Eltern und Großeltern", ergänzt Selmayr.
Die Kapelle als "Zufluchtsort für die Seele"
Teils seitenweise vertrauen sich Besucher dem Gästebuch an, bitten Gott unter dem Dach der Kapelle um Gesundheit, einen Arbeitsplatz, danken für langjähriges Eheglück, formulieren sogar Liebesbriefe. Mehrfach wird die Kapelle als "Zufluchtsort für die Seele" beschrieben.
"Wenn ich diesen Raum betrete, fallen alle Sorgen von mir ab", hat Stefanie notiert. Jesse dankt, "dass man in der Urlaubshektik hier Luft holen kann". Ohne einen Namen steht ein paar Seiten weiter der Satz: "Gott, lass diesen Urlaub gut werden, gib, dass ich Ruhe finden kann und Frieden." Ein anderer hat offensichtlich in höchster Not geschrieben: "Hilf mir Gott – oder ich mache Schluss."
"Wenn der Alltag in den Hintergrund rückt, bleibt Zeit zum Nachdenken, die Gedanken kreisen", meint Selmayr. "Dann können Dankbarkeit hochkommen, aber auch Trauer, Ängste und Sorgen – die Kapelle ist der richtige Ort, dies alles vor Gott zu bringen", betont die Seelsorgerin. Eine ähnliche Erfahrung macht ihr katholischer Kollege Lars-Jörg Bratke in der "Kirche am Meer" in Schillig, zu der anders als in Duhnen eine Ortsgemeinde gehört. Er spricht von "Seelenproviant", den die Urlauberkirchen bereit hielten.
Segnungen, die Hand verbunden mit einem biblischen Wort auflegen – sie spielen nach den Erfahrungen von Maike Selmayr dabei eine zentrale Rolle. Das gilt für einzelne Besucher genauso wie für Paare und Familien wie Friedhelm, Silke und Lea Heinemann, die an diesem Nachmittag zusammen mit den Brautleuten in einem Segenskreis stehen.
Meine Seele hat Flügel bekommen. Es war wunderschön"
"Segen bedeutet für uns Stärkung", sagt Vater Heinemann, der mit seiner Familie aus dem Oberbergischen Land angereist ist – wie schon seit 15 Jahren. Er sieht eine direkte Verbindung zur Kapelle als Raum: "Hier kann man abgeben, hier weht der Geist Gottes." Und Silke Heinemann bekräftigt: "Wenn ich in die Kapelle komme, habe ich das Gefühl, ich komme nach Hause."
Manchmal bitten Gottesdienstbesucher Selmayr noch am Ausgang, dass sie spontan einen Segen spendet. Vielleicht war es ein solcher Segen, verbunden mit Sonne und Strand, der eine Urlauberin später ins Gästebuch schreiben ließ: "Meine Seele hat Flügel bekommen. Es war wunderschön."