Arnold Angenendt feiert 85. Geburtstag

Der Kirchenhistoriker, der Vorurteile gegen das Christentum ausräumte

Veröffentlicht am 12.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Professor Angenendt
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Bonn ‐ Seine Vorfahren pflügten Äcker um, er tat das Gleiche mit der Forschung. Mit Akribie und Leidenschaft wurde der Bauernsohn Arnold Angenendt zu einem der renommiertesten Kirchenhistoriker. Dabei überraschte vieles, was er ans Tageslicht brachte.

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Auch auf kleinen niederrheinischen Kartoffeläckern können große Denker ihren Anfang nehmen. Arnold Angenendt ist so einer. Mit seiner schwächlichen Statur tauge er nicht zur Landwirtschaft, urteilten die Eltern. Also radelte die Mutter kurzentschlossen nach Kriegsende 1945 ins acht Kilometer entfernte bischöfliche Internat Gaesdonck und meldete den Filius an. Ein Fahrradausflug mit beträchtlichen Folgen für die kirchengeschichtliche Forschung in Deutschland: Aus dem schmächtigen Asperdener Bauernsohn entwickelte sich einer der renommiertesten Kirchenhistoriker der Gegenwart. Am Montag wird Arnold Angenendt 85 Jahre alt.

Zwei Dinge zeichnen Angenendt in besonderem Maße aus: Da war zum einen sein enormer Fleiß. Mit unnachgiebiger Akribie ging er Quellen nach, brachte verschüttete Fakten ans Tageslicht. Es ist der Fleiß desjenigen, der sich alles selbst erarbeiten musste – als erster Akademiker in einer alten Bauersfamilie. Hineingeboren 1934 in eine, wie er selber sagt, "volkskatholische und doch schon angefragte Dorfwelt".

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Münster – hier mit der St.-Lamberti-Kirche und dem Dom – ist Angenendts Basisstation: Hier wurde er zum Priester geweiht und lehrte 16 Jahre lang Kirchengeschichte.

Zugleich war es dieses dörflich-bäuerliche Umfeld, das zum Zweiten führte, das Angenendt kennzeichnet: seine klare Sprache und Gedankenführung. Selbst kleinteilige Spezialforschung kann er allgemeinverständlich erklären und in größere Zusammenhänge stellen. Angenendts mitreißende, humorvolle Rhetorik füllte Hörsäle wie Kirchenbänke gleichermaßen. Angenendt war Kult und als Lehrer unnachgiebiger Antreiber zum selbstständigen Denken.

Münster ist Angenendts Basisstation: Dort wurde er 1963 zum Priester geweiht und hatte an der Universität von 1983 bis zu seiner Emeritierung 1999 den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte inne. Dort hat er im Anschluss am Exzellenzcluster "Religion und Politik" weiter geforscht. Angenendts Hauptthema sowie lebenslange Leidenschaft ist die Geschichte der Religiosität im Mittelalter – so auch der gleichnamige Titel seines 1997 erschienenen Hauptwerks.

Kirchengeschichte als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe

Die größte wissenschaftliche Leistung Angenendts ist es, mentalitäts- und sozialgeschichtliche Ansätze, wie sie von der französischen "Annales-Schule" und der "Nouvelle histoire" entwickelt wurden, für die kirchengeschichtliche Forschung fruchtbar zu machen. Wenn die Kirchengeschichte als Disziplin heute anschlussfähig für die Allgemeingeschichtsschreibung ist, Gesprächspartnerin auf Augenhöhe, dann sei das wesentlich Angenendts Verdienst, erklärt die Bonner Kirchenhistorikerin Gisela Muschiol, die bei ihm habilitierte.

Angenendt fragt nach dem Christentum als einer Organisationsform des Geistes, wie Frömmigkeit entstand und welchen Einfluss Religion auf die Entwicklung der Gesellschaft nahm. 2007 erschien sein viel beachtetes Buch "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert." Das Werk räumte ebenso gründlich wie überzeugend mit prominenten Vorurteilen gegen das Christentum auf. Es legt dar, dass die Inquisition de facto ein Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit war und in den 317 Jahren ihres Bestehens lediglich 97 Todesurteile fällte. Selbst die der kirchlichen Lobhudelei unverdächtige Berliner Tageszeitung "taz" zollte der Publikation hohe Anerkennung.

Tridentinische Messe
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In Debatten um die Tridentinische Messe und den alten Ritus betonte Angenendt, die Liturgie sei nicht vom Himmel gefallen, als solche nie der Zeit enthoben und keinesfalls unabänderlich.

In Debatten um die Tridentinische Messe und den alten Ritus war Angenendt durch seine Studien zur Messe im Mittelalter ein gefragter Gesprächspartner. Gegenüber konservativen Vertretern vertrat er die liberale Linie: Die Liturgie sei nicht vom Himmel gefallen, als solche nie der Zeit enthoben und keinesfalls unabänderlich. 2015 erschien von Angenendt "Ehe, Liebe und Sexualität im Christentum"; darin fordert er unter anderem, die Sinnhaftigkeit des Pflichtzölibats ebenso auf den Prüfstand zu stellen wie die katholische Sexuallehre.

Angenendt, der seit einigen Jahren an Parkinson leidet, hat seine Grabplatte bereits zu Lebzeiten anfertigen lassen. Die Inschrift lautet: "Hier ruht einer, der fortwährend gutachten musste. Mögest du, oh Herr, ihn nicht schlecht achten."

Von Karin Wollschläger (KNA)