Neuzelle – Ein wahrer Leuchtturm des Glaubens
Wer nach Neuzelle kommt, sieht sie schon von weitem – die Klosterkirche St. Mariä Himmelfahrt. Das im frühen 18. Jahrhundert im Barockstil errichtete Gotteshaus mit dem filigranen Glockenturm und dem auffälligen roten Ziegeldach ist der Mittelpunkt der kleinen Gemeinde an der deutsch-polnischen Grenze und die prägende Landmarke der Oder-Neiße-Region. Doch die Kirche ist nicht nur architektonisch, geografisch oder historisch von Bedeutung – auch aus religiöser Perspektive ist sie ein wahrer Leuchtturm des Glaubens.
Seit genau einem Jahr nämlich beheimatet das Gotteshaus das neue Zisterzienserpriorat Neuzelle. Am 2. September 2018 wurde das Kloster, das an die Tradition des 1817 säkularisierten ursprünglichen Konvents anknüpft, im Rahmen eines feierlichen Hochamts als Tochterkloster des österreichischen Stifts Heiligenkreuz neu errichtet. Während andernorts in Deutschland reihenweise Klöster geschlossen werden, startete – maßgeblich initiiert vom Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt – ausgerechnet im "gottlosen" Brandenburg damit eines der wohl spannendsten Experimente in der jüngeren Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland.
Wenn man zum ersten Jahrestag der Gründung bei Pater Kilian, dem Subprior der sechsköpfigen Klostergemeinschaft, nach den Erfahrungen der ersten zwölf Monate fragt, antwortet er zunächst mit dem 69. Psalm: "Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt." Ausführlicher beschreibt der großgewachsene Mann mit dem kahlrasierten Kopf und der markanten Brille das erste Jahr des Priorats anschließend als "ein Jahr des Einlebens, der Vertiefung und Stärkung der Gemeinschaft". Dies gelte nach außen, im Kontakt mit der Bevölkerung der Umgebung und den Besuchern auf dem Klostergelände, aber auch nach innen – vor allem was die "Stärkung" angeht. Denn das junge Priorat ist bereits gewachsen: Nachdem schon im Dezember Pater Konrad Teil der Gemeinschaft geworden war, ist seit wenigen Tagen auch Frater Alberich offiziell nach Neuzelle gezogen.
Die räumliche Situation des Priorats bleibt problematisch
Mittelpunkt des klösterlichen Lebens der Gemeinschaft ist jeden Tag die gemeinsame Feier des Chorgebets in der Klosterkirche, das morgens um 5 Uhr mit den Vigilien beginnt und nach Laudes, Terz, Sext, Non und Vesper mit der Komplet um 19.45 Uhr endet. Daneben hat jeder der Mönche zudem weitere Aufgaben übernommen. Unter anderem sind die Zisterzienser ab diesem Monat – nach der Verabschiedung des langjährigen Pfarrers Ansgar Florian – auch für die Pfarrseelsorge in Neuzelle und Eisenhüttenstadt zuständig. Pater Kilian betont mit Blick auf den Alltag der Mönche: "Einiges spielt sich ein, anderes bleibt eine Herausforderung." Es sei offensichtlich, dass Gott im Blick auf die Klostergründung von den Mönchen immer wieder verlange, den Eigenwillen loszulassen und sich von seinem Willen führen zu lassen.
Problematisch, das verhehlt der Zisterziensermönch nicht, bleibt die räumliche Situation der Gemeinschaft. Denn in Neuzelle steht rund um die Klosterkirche zwar ein mit viel Geld und Liebe zum Detail sanierter Klosterkomplex – doch die Gebäude gehören seit der Säkularisation des ursprünglichen Klosters dem Staat und sind überwiegend von anderen Einrichtungen belegt. Die Mönche sind deshalb bei ihrer Ankunft in Neuzelle zunächst in das katholische Pfarrhaus auf dem Klostergelände gezogen. Der Platz dort ist jedoch eng begrenzt und die räumliche Trennung zur Klosterkirche alles andere als optimal. Schmerzlich sei zudem, so Pater Kilian, dass das Priorat über keinen Gästebereich verfüge und man Anfragen nach Kloster-auf-Zeit-Aufenthalten deshalb immer wieder ablehnen und Interessenten auf die Zukunft vertrösten müsse.
Die Zukunft – das soll nach dem Willen der Mönche ein neues Kloster in der näheren Umgebung von Neuzelle sein. Mit der Entscheidung für einen Neubau hatten die Zisterzienser kurz vor der Gründung des Priorats überrascht sowie in der örtlichen Bevölkerung viele Irritationen und Fragen ausgelöst. Inzwischen ist es in der Öffentlichkeit um dieses Thema zwar ruhiger geworden, die Mönche verfolgen ihre Pläne aber weiter mit Hochdruck. Gebaut werden soll das neue Kloster auf dem Gelände des ehemaligen Forsthauses im Neuzeller Ortsteil Treppeln. "Der Prozess des Eigentumserwerbs gestaltet sich aber nicht so leicht", erzählt Pater Kilian. Hinzu komme, dass das anvisierte Gelände aufgrund seiner Lage und seiner Vergangenheit als ehemalige Stasi-Liegenschaft nicht ganz unproblematisch sei. "Vieles musste und muss noch überprüft und begutachtet werden, und das dauert", sagt der Pater und nennt als Beispiel ein Umweltverträglichkeitsgutachten, das derzeit erstellt werde und eine ganze Vegetationsperiode umfasse.
"Wir sind schon sechs, und wir haben letztes Jahr erst angefangen"
Wann tatsächlich mit dem Bau begonnen werden kann, ist deshalb noch unklar. Pater Kilian bleibt aber optimistisch: "Es gibt ein deutliches und ja auch glaubensunabhängig durchaus vernünftiges Interesse, diese wirtschaftlich und kulturell bedeutende Investition hier in Ostbrandenburg zu ermöglichen", sagt der Subprior. Er und seine Mitbrüder seien jedenfalls aus Heiligenkreuz nach Brandenburg gekommen, um "als Dienende hier zu sein und niemandem die Tür zu verschließen".
Den Kontakt zur Neuzeller Bevölkerung, die wie fast überall in Ostdeutschland mehrheitlich nicht katholisch ist, beschreibt Pater Kilian nach einem Jahr positiv: "Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung in Neuzelle und Eisenhüttenstadt gehören wir, meine ich, inzwischen einfach dazu." Inzwischen wüssten wohl die meisten Menschen in der Region "die Männer im schwarz-weißen Gewand" zuzuordnen. Anders sehe es dagegen bei den Touristen aus, die in großer Zahl nach Neuzelle kommen. "Da erntet man schon noch oft ziemlich erstaunte Blicke oder die leicht mitleidige Frage: 'Wie viele sind Sie denn hier noch?', auf die ich dann immer antworte: 'Wir sind schon sechs, und wir haben letztes Jahr erst angefangen'", so der Ordensmann. In der Regel erlebten er und seine Mitbrüder jedoch schöne und unkomplizierte Begegnungen.
Nicht konkret festlegen will sich Pater Kilian bei der Frage, welche Auswirkungen das junge Priorat im ersten Jahr seines Bestehens auf das Glaubensleben in der Region gehabt hat. Eine wirkliche Einschätzung diesbezüglich sei schwer, da vieles im Verborgenen wachse und sich nicht messen lasse. Allerdings hätten er und seine Mitbrüder in Neuzelle ein "pastoral bestens bestelltes Feld" mit einer aktiven Pfarrgemeinde vorgefunden. Und weiter: "Eine besondere Freude ist es, dass wir in der nächsten Osternacht eine Erwachsenentaufe haben werden, dass die Jugendarbeit sehr gut läuft und Pater Isaak nun auf diözesaner Ebene für die Berufungspastoral zuständig ist."
Unterstützung auch durch Benedikt XVI. und Erzbischof Gänswein
Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang zudem die Gebetsgemeinschaft der Josefsfreunde, die am 1. Mai gegründet wurde. Das Netzwerk, das an die Neuzeller St.-Josefs-Bruderschaft aus dem 17. Jahrhundert anknüpft, hat das Ziel, das Zisterzienserpriorat durch Gebete zu unterstützen und die Tradition der Verehrung des heiligen Josef als Schutzpatron der Kirche, der Familien und der Arbeiter neu zu beleben und zu fördern. Laut Pater Kilian gehören der Gebetsgemeinschaft bereits fast 170 Mitglieder an – darunter seit Ende Juni als prominenteste Mitglieder der emeritierte Papst Benedikt XVI. (2005-2013) und sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein.
Es ist also viel passiert im ersten Jahr des Priorats – und Pater Kilian ist in dieser Zeit wohl fast schon zu einem echten Brandenburger geworden. Schon im vergangenen Jahr hatte er in einem katholisch.de-Interview mit Blick auf Neuzelle gesagt: "Hier ist jetzt mein Platz, meine Aufgabe." Daran hat sich bis heute nichts geändert: "Immer wenn ich in Heiligenkreuz bin, bin ich gerne dort, und zugleich freue ich mich schon wieder auf Neuzelle. Dafür bin ich überaus dankbar, denn wir sind ja mit dem Segen, aber auch im Gehorsam gegenüber dem Auftrag von Abt und Gemeinschaft zu dieser Neugründung ausgesandt worden." Manchmal, so der Subprior, sei der Gehorsam zum Glück sehr einfach zu erfüllen.