Die Richter-Fenster von Tholey
Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass der weltberühmte Künstler Gerhard Richter drei Fenster der Abteikirche von Tholey gestaltet, die seit 2018 restauriert wird. Am Mittwoch wurden die Entwürfe vorgestellt. Der Kunstexperte des Klosters, Bruder Wendelinus Naumann, spricht im katholisch.de-Interview, über Touristenströme, Richters überraschendes Angebot und Mathematik als Annäherung an göttliche Perfektion.
Frage: Bruder Wendelinus Naumann, wie bekommt man eigentlich einen weltberühmten Künstler dazu, drei Kirchenfenster zu gestalten?
Naumann: Ganz banale Antwort: Man muss den Mut haben, eine Bitte an ihn zu richten. Unsere Bitte war mutig und sie fiel auf fruchtbaren Boden.
Frage: Wie hat sich Gerhard Richter mit dem Raum beschäftigt, in dem sein Werk eine so wichtige Rolle spielen soll?
Naumann: Richter hat uns offiziell nie besucht. Der Musiker Bernhard Leonardy, der Kontakt zu ihm hatte, hat unseren Brief an ihn weitergeleitet. Darin haben wir ihm mitgeteilt, dass unsere Abteikirche saniert wird und dass wir uns freuen würden, wenn er trotz seines hohen Alters ein Fenster gestalten könnte. Uns wurde daraufhin kein "Nein" – womit ich gerechnet hatte – übermittelt, sondern im Gegenteil: Wir wurden über das Büro gebeten, Richter die Maße der Fenster und die weiteren baulichen Details zukommen zu lassen. Daraufhin kam das überraschende Angebot Richters, die drei Hauptchorfenster zu gestalten.
Frage: Der Vorschlag kam von Richter?
Naumann: Richtig. Wir haben uns natürlich gesagt, ein bedeutender Künstler muss auch an einer bedeutenden Stelle platziert werden, aber wir hatten ursprünglich die Sakramentskapelle im nördlichen Seitenschiff im Blick. Der Hauptchor war zwar auch erwähnt, aber das erschien uns sehr unwahrscheinlich, weil die Fläche ja viel größer ist als die der Fenster im Seitenschiff.
Frage: Warum braucht die Abteikirche denn überhaupt neue Fenster?
Naumann: Die letzte umfassende Sanierung hat in den 1960er Jahren stattgefunden und es war bekannt, dass es einen großen Sanierungsstau gab. Im Rahmen einer Erfassung der Schäden ging es dann auch um die Fenster: Durch Glaskorrosion ließen sie nur noch einen Bruchteil des Tageslichts hindurch, was zu einer immensen Verdunkelung des Innenraums führte. Damals meinten wir noch, die Fenster nicht in Gänze erneuern zu müssen. Eine eingehende Untersuchung ergab dann aber ein massives und vielfältiges Schadensbild. Die Frage war dann: Machen wir die Fenster technisch perfekt nach dem alten Entwurf nach oder nutzen wir die Chance auch einen neuen Inhalt hineinzugeben?
Frage: Warum haben Sie sich für neue Gestaltung entschieden?
Naumann: Weil wir gemerkt haben, dass die alten Fenster, die ja sehr symbolisch waren, heute kaum noch verstanden werden.
Frage: Wie sahen die alten Fenster aus?
Naumann: Die Fenster unten bestanden aus verschiedenen Darstellungen mit den Themen Gottes Gegenwart und Unmittelbarkeit in Abstraktionen. Sie wurden von Bonifatius Köck entworfen, einem Mönch aus unserer Abtei. Man muss jedoch gutes katechetisches Wissen haben, um die Bilder deuten zu können. Ein Bild zeigte etwa den Auszug aus Ägypten. Die Türpfosten waren mit den roten Bahnen des Lämmerblutes bestrichen, auch Mond und Nacht wurden abstrakt abgebildet. Da werden alle möglichen Assoziationen gestartet, bloß die spirituelle Bedeutung ist für viele Betrachter so gut wie nicht mehr gegeben.
Frage: Heute braucht man Fenster, die ganz einfach zu verstehen sind?
Naumann: Die verstehbar sind, die berühren und zum Nachdenken anregen, die aber nicht banal sind. Nach einigen Beratungen im Konvent haben wir international ausgeschrieben und einen Wettbewerb gestartet, den die Münchner Glaskünstlerin Mahbuba Elham Maqsoodi gewonnen hat. Maqsoodi arbeitet figürlich. Das passt zur Heilsgeschichte und zu Heiligenlegenden, weil das Bezug zur Gegenständlichkeit hat, weil das in der Welt gespielt hat. Aber wir haben uns schwergetan mit Darstellungen, die das eigentliche Mysterium anbelangen. Gottvater als alter, bärtiger Mann, das kann man nicht bringen. Aus katholischer Sicht ist uns die göttliche Schau – die beata visionis – schließlich erst nach dem Tod möglich.
Frage: Deshalb Richters abstrakte Kunst?
Naumann: Die Hauptfenster, die Richter gestaltet, sind ja der Hintergrund vor dem die Eucharistie stattfindet. Richter geht es um Symmetrien, die immer wieder gebrochen werden. Wir Mönche finden das sehr interessant, weil die Symmetrien angewandte Mathematik sind. Und Mathematik ist eine Form, Wahrheit oder Perfektion zu beschreiben. Genauso die starke Farbigkeit der Fenster: Das an sich unsichtbare Licht wird – nach der Farbenlehre – durch ein Prisma in verschiedene Farben zerlegt und alle Farben zusammen ergeben wieder ein neutrales Licht. Das sind für uns Metaphern, mit denen man aus religiöser Sicht der Beschreibung von Vollkommenheit sehr nahekommt.
Frage: Inwiefern sind Richters abstrakte Fenster jetzt sprachfähiger als die von Bonifatius Köck?
Naumann: Das ist eben der scharfe Kontrast zu den bildlichen Fenstern. Man wird sich ja fragen: Was ist das? Aufgrund ihrer Symmetrie werden sie faszinieren, ohne dass sie sich direkt erschließen. Das letzte Mysterium des Glaubens wird in diesen Fenstern widergespiegelt. Wir haben in den Psalmen, die wir als Mönche sehr oft lesen, eine Stelle an der es heißt: Gott, der in undurchdringlichem Lichte wohnt. Und wir können nur versuchen, uns etwa über diese Physik der Farben und der Mathematik der göttlichen Perfektion anzunähern. Das haben Kirche und Kirchenräume über Jahrhunderte getan. Mit Malerei, Bildhauerei, Architektur, Musik geben sie den Menschen einen Vorgeschmack.
Frage: Und Richter ist dafür der Richtige?
Naumann: Richter ist zwar aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Er hat sich aber selbst als "Suchenden" bezeichnet und findet gut, dass es Räume und Gebäude gibt, die Menschen Trost spenden. Auch wir wollen mit unserer Kirche die Menschen wieder ansprechen. In der heutigen grellen und lauten Welt müssen wir uns deshalb überlegen, wie man Signale setzt, die zum Nachdenken führen. Wir sind hier zwar im ländlichen Raum und haben keinen so starken Rückgang an Gläubigen wie in den Städten, aber ich finde die Frage der Suchenden hochinteressant. Viele Leute bezeichnen sich heute so. Und die große Herausforderung für uns als Kirche ist die Frage, wie wir mit diesen Menschen umgehen.
Frage: Ab Juni 2020 ist die Kirche für die suchenden Menschen wieder geöffnet. Aber kommen dann die Kunst-Suchenden oder die Glauben-Suchenden?
Naumann: Wir fragen uns selbst, ob das noch das Publikum sein wird, das wir kannten. Was macht das Label "Richter-Fenster"? Da gibt es mehrere Aspekte, die man beachten muss, auch problematische. Wie wird man die Besucheranfragen bearbeiten, reichen die Parkplätze, wo können die Menschen zur Toilette gehen? Was bedeutet all das für unser monastisches Leben? Wir brauchen ja eine gewisse Abgeschiedenheit. Wir sind aber auch nicht blind. Wir wissen was Richters Werk in der ehemaligen Dominikanerkirche in Münster für Besucherströme ausgelöst hat. Wir sehen es jedoch auch als Chance. Wir können die Begegnung nutzen, um unsere Botschaft mitzuteilen.
Frage: Aus Kunstfans sollen Gläubige werden?
Naumann: Ich glaube, man braucht gar nicht so stark zwischen Gläubigen, Suchenden und Kunstfans zu unterscheiden. Da gibt es Schnittmengen. Wenn jemand ein gefestigtes atheistisches Weltbild hat, aber Richter toll findet, glaube ich nicht, dass wir ihn als Kloster im Normalfall erreichen könnten. Die Illusion mache ich mir nicht. Wenn er jetzt aber wegen der Richter-Fenster in unsere Kirche kommt, kann er neben der Kunst zumindest auch etwas von dem mitbekommen, was wir für wichtig erachten.