Warum auch die Gäste in Stühlingen in der Küche helfen

Von Kürbissen und Klostertee: Mitleben und Mitkochen im Kloster

Veröffentlicht am 06.09.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Seit über 30 Jahren gibt es in Stühlingen das "Kloster zum Mitleben". Fester Bestandteil des Zusammenlebens sind das Zubereiten und Essen der Mahlzeiten. Schon viele Menschen haben an diesem Ort Ruhe gefunden - und beim Abspülen geholfen.

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Zwischen 15 und 17 Uhr läutet es samstags an der Klosterpforte: Um diese Zeit reisen die Gäste an. Bruder Jürgen hat Pfortendienst und weiß noch nicht, wer vor der Tür stehen wird, um eine Woche oder länger im Kapuzinerkloster Stühlingen zu verbringen. Es ist kein gewöhnlicher Konvent in Stühlingen, hier leben Kapuzinerbrüder und Franziskanerinnen gemeinsam ihren Glauben und wollen Menschen daran Teil haben lassen. Über dreißig Jahre gibt es das "Kloster zum Mitleben" schon, und seitdem haben viele Suchende diesen Ort der Ruhe gefunden.

"Ich bin Bruder Jürgen, wir duzen uns hier alle, wenn das recht ist", sagt der ältere Herr im braunen Habit und schließt das Zimmer für den Gast auf. Ein Bett, ein Tisch mit Stuhl, ein Schrank und der Blick in den Teichgarten – mehr braucht es nicht. Oft kommen die Menschen, die  den Weg hierher gefunden haben, aus einem pulsierenden Leben, sind angespannt und immer noch unter Strom, wenn sie im Kloster eintreffen. Jetzt heißt es erst einmal ankommen, sich einlassen auf eine Ruhe, die gleich spürbar wird. Nach dem Abendgebet sitzen Gäste, Brüder und Schwestern bunt gemischt an langen Holztischen und lernen sich bei Käsebrot und Kloster-Tee kennen. Es sind viele Suchende hier, sie suchen nach Ruhe, dem Glauben oder sich selbst. Sie kommen mit Fragen, die in Zwiesprache mit Gott oder dem eigenen Ich beantwortet werden wollen. Jeder bringt das Päckchen eines Lebens mit. Allein gekommen, aber aufgenommen als Teil der Gemeinschaft.

Bruder Laurentius, der Guardian des Konvents, begrüßt mit ruhiger Stimme die Runde und teilt mit den Gästen zusammen den Tischdienst ein – jeder darf für diese Woche eine bestimmte Aufgabe in der Küche übernehmen. Nach dem Essen wird gemeinsam abgeräumt und gespült. Im Kloster mitleben heißt, hier auch seinen Teil für die Gemeinschaft beizutragen, Leben und Arbeit werden geteilt.

Der Brunnen und die Wiese des Klostergartens von Stühlingen.
Bild: ©Jeanette Müller

Blick durch den Garten auf Kloster Stühlingen.

In der großen Küche herrscht reges Treiben und Bruder Christian, für Leib und Wohl verantwortlich, zeigt den Neuankömmlingen, wo alles seinen Platz hat. Der gelernte Bankkaufmann wurde 2008 Kapuziner und ließ sich während der Zeit im Kapuzinerorden Münster zum Koch ausbilden. Er kann sich noch gut an die Arbeit in der Gastronomie erinnern, war sie doch so ganz anders als jetzt im Kloster. Nun sei die Hektik weg, sagt er, die langen Arbeitszeiten und der Stress. Im Kloster ginge man bedachter mit den Gaben der Schöpfung um, sei bewusster im Umgang mit Fleisch und der Nahrung im Allgemeinen. Jetzt darf die Kartoffel aus dem Klostergarten auch krumm sein, während im Restaurant eine der anderen glich, weil nur perfekte Zutaten verwendet wurden.

Prächtiges Gemüse aus dem eigenen Klostergarten

Das Gemüse für die Klosterküche kommt zum größten Teil aus dem großen Klostergarten mit dem alten Brunnen in der Mitte. Drei Gewächshäuser stehen auf dem Gelände, in denen nicht nur der Salat prächtig gedeiht. Kartoffeln wachsen im Garten und je nach Jahreszeit Rote Beete, Sellerie, Topinambur, Erbsen oder Bohnen. Manches Mal ist die Fülle der Natur fast unerschöpflich, so wie im letzten Jahr, als Bruder Christian 80 Kilogramm Kürbis zu verarbeiten hatte. Für den Vorrat im Winter hat er daraus zwei Varianten im Essigsud eingelegt: Klassisch mit Zimt und Nelke, wie es die Oma machte, und mit Chili und Minze aus dem Klosterkräutergarten.

Von dem Obst im Garten kocht er Marmelade ein und setzt Likör an, welche später auch im Kloster verkauft werden. Von der Küche aus ist der Koch in ein paar Schritten im Kräutergarten, dort wachsen alle Kräuter, die er in der Küche braucht, so auch die vom Namen her so passende Kapuzinerkresse. Die Teekräuter für den hauseigenen Tee, um dessen Zubereitung sich Schwester Hedwig kümmert, wachsen dort ebenso und finden sich in den Teetassen der Gäste am Morgen und am Abend wieder. Erst vor kurzem wurde eine neue Teetrocknungsanlage angeschafft, damit können noch größere Mengen hergestellt werden, sowohl für den eigenen Bedarf als auch zum Verkauf.

Eher vegetarische Kost aus regionalem Anbau

Alles, was sie nicht selbst erzeugen, soll regional und saisonal erworben werden, das ist ein Grundsatz des Klosters. Lieber weniger Fleisch essen, dafür in guter Qualität. Und so kommt das Fleisch aus dem Nachbarort vom Metzger, welcher seine Tiere noch artgerecht hält. Vor kurzem war Bruder Christian ein paar Tage bei der Arbeit dabei, um das Handwerk besser zu verstehen. Die Kartoffeln holt man, wenn nötig, vom Kartoffelbauern, Getreide und Mehl von der Mühle im Nachbarort überm Berg.

Auf einem Tisch stehen angerichtet heiße Bratäpfel in Vanillepudding.
Bild: ©Jeanette Müller

Nicht nur Brot und klare Suppe: Bruder Christian ist gelernter Koch und verwöhnt die Gaumen seiner Gäste auch mal mit heißen Bratäpfeln in Vanillepudding.

Eine Ausnahme bietet die Lieferung vom örtlichen Supermarkt, welche zweimal in der Woche im Kloster ankommt: Alles, was übrig ist oder dort nicht mehr verkauft werden kann, findet in der Klosterküche Verwendung. Da Stühlingen keine Tafel hat, gibt das Kloster einen Teil der Ware auch direkt an Bedürftige weiter. Wenn dienstags um halb elf die Lebensmittel vom Supermarkt kommen, ist der Inhalt der Kisten jedes Mal eine Überraschung für Bruder Christian. Dann schaut er, was zuerst verarbeitet werden muss, und kann manches Mal auch alle vorher gefassten Küchenpläne wieder über den Haufen werfen.

Normalerweise steht er ab neun Uhr morgens in der Küche, aber an besonderen Tagen, wie Ostern, Weihnachten oder den Namenstagen, bereitet er vieles schon am Vorabend zu und lässt sich gerne etwas Besonderes einfallen. An den Namenstagen, die im Kloster eine größere Bedeutung als der Geburtstag haben, darf sich der Feiernde ein Gericht bei ihm wünschen. Die Schwestern aus Schwaben begeistern sich in diesem Fall für das „schwarze Mus“, einen braunen Brei aus Dinkelgetreide. Dafür wird das Getreide geröstet und grob geschrotet, wie ein Brei gekocht und mit Apfelmus, Zimt und Zucker serviert.

Menschen wie du und ich

Ruhe, leise Musik und ein Text zum Leben. Ehrfurcht und Gelassenheit ist im Raum. Das Mittagsgebet lässt innehalten und still werden. Danach steht kein karges Mahl aus Suppe und Brot auf dem Tisch, sondern ein frisch gekochtes Mittagessen. Es gibt Käsespätzle, selbstgemachte Pizza oder Pfannkuchen und sonntags auch mal ein Schweinefilet in der Kräuterkruste mit einem Glas Wein dazu. Gäste und Konventsmitglieder sitzen zusammen am Tisch und berichten lebhaft von ihren Erfahrungen im Kloster. Bruder Stefan erzählt von der letzten Konferenz, die über Skype abgewickelt wurde, Schwester Hedwig muss noch dringend ihrer Mitschwester mailen, was in den Urlaub mitzunehmen ist, und Bruder Laurentius unterhält alle mit den amüsanten Anekdoten aus seiner Missionarszeit in Mexiko. Die oft von Vorurteilen und Klischees gespickte Vorstellung eines Klosterlebens wird in Stühlingen widerlegt. Da gibt es Menschen wie Du und ich. Die sieben Mitglieder des Konvents leben ihren Glauben, lachen mit- und übereinander und kommen auch mal „in Zivil“ zum Gebet. Packen an, wo Not am Mann ist, haben Aufgaben, Pflichten, Urlaub und Hobbys. Eben wie Menschen, die nicht in einer anderen Welt, aber anders in dieser Welt leben. Kümmern sich um jeden Einzelnen, fragen nach und hören zu. Sie haben sich nur auf den Glauben, die Stille, das Wesentliche reduziert und das, was jeder Mensch gern hätte: Mit sich eins zu sein.

Im Kloster hat die Arbeit eine große Bedeutung. Die Schwestern sorgen selbst für ihren Unterhalt.
Bild: ©Viktoria van Evert, Luma Photography (Symbolbild)

Im Kloster Stühlingen hat das gemeinsame Kochen und Arbeiten große Bedeutung: Gäste schälen gemeinsam mit Bruder Christian Möhren, spülen dreckiges Geschirr ab oder sammeln mit Schwester Hedwig Kräuter für den Klostertee.

Der Nachmittag steht zur freien Verfügung, zum Spazierengehen oder Lesen. Zweimal in der Woche gibt es ein Gruppengespräch und an bestimmten Tagen die Möglichkeit, an der Heiligen Messe teilzunehmen. Donnerstags findet der große Hausputz statt, da wird gemeinsam poliert und gewienert, das Kloster soll für den Sonntag in neuem Glanz erstrahlen. Freitags wird während der Mahlzeiten geschwiegen, das soll helfen, noch einmal zu sich zu kommen und die gelebte Zeit hier Revue passieren zu lassen.

Morgens um 7.30 Uhr läutet die Glocke zum Morgengebet, und der neue Tag wird mit einem Lobgesang begrüßt. Beim gemeinsamen Frühstück werden die Aufgaben für die Arbeitszeit am Vormittag verteilt. Die Mithilfe der Gäste bei der Arbeit im Kloster ist für beide Seiten eine Bereicherung.

Manche stehen Bruder Christian beim Gemüseschneiden oder Plätzchen backen in der Küche zur Seite. Er gibt den Menschen gerne weiter, warum ein bewusster Umgang mit den Gaben der Schöpfung so wichtig ist. Da sich oft mehrere Gäste einen Dienst teilen, kommt man schnell miteinander ins Gespräch. Da ist Viktoria, die ein Hotel leitet und eine anstrengende Zeit hinter und noch vor sich hat. Sie möchte hier zu sich kommen und Kraft tanken. Bernhard aus der Schweiz war bei einem großen Logistikunternehmen angestellt und geht nun in Rente. Muss nach einem turbulenten Berufsleben erst einmal runterfahren und sich neu orientieren. Die Heilerzieherin Bettina erzählt, dass sie hier ganz nah bei Gott ist, diese Quelle braucht und daher auch öfter im Jahr hierher kommt. So unterschiedlich doch die Beweggründe sind, eines ist immer gleich: Jeder, der diesen Ort der Ruhe einmal gefunden hat, geht gestärkt wieder in sein Leben zurück.       

Von Jeanette Müller

Das Magazin "der pilger"

Viele interessante Tipps rund ums Kloster finden Sie in der aktuellen Herbst-Ausgabe des Magazins "der pilger – Magazin für die Reise durchs Leben", das bundesweit am Kiosk erhältlich ist. Weitere Themen im Magazin sind unter anderem: Achtsam leben – gelassen bleiben und jeden Moment bewusst genießen, Meditationsweg in Bayern, Leben mit der Einsamkeit, zu Besuch beim Wetter-Bauern und Schwester Birgit aus dem Franziskanerinnen-Kloster Reute verrät, welche Pflanze gegen Stress hilft.