"Die Kluft zwischen Armen und Reichen muss kleiner werden"

Erzbischof Kaigama: Nigeria braucht einen Mentalitätswandel

Veröffentlicht am 08.09.2019 um 14:58 Uhr – Lesedauer: 

Abuja ‐ Erzbischof Ignatius Kaigama ist im März zum Koadjutor der nigerianischen Hauptstadt Abuja ernannt worden. Im Interview berichtet der 61-Jährige von der aktuellen Situation in Nigeria und erklärt, in welchen Bereichen sich das Land verändern muss.

  • Teilen:

Ignatius Kaigama (61), bisheriger Erzbischof von Jos und Koadjutorerzbischof von Abuja, hat die nigerianische Regierung aufgefordert, mehr für die Armutsbekämpfung zu tun und Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Im Interview mahnt er zu einem Mentalitätswandel im Land. Viele Menschen kümmerten sich nur um sich selbst oder um ihre Gruppe.

Frage: Herr Erzbischof, in Nigeria hat Präsident Muhammadu Buhari bekanntgegeben, wer seinem neuen Kabinett angehören wird. Was sind die größten Herausforderungen für die neue Regierung?

Kaigama: Nigeria muss zurück auf den richtigen Weg kommen. Die Herausforderungen von der schlechten Sicherheitslage bis hin zur Armut sind enorm. Ich hoffe sehr, dass die neuen Minister einen Fokus darauf legen, dass es den Nigerianern wieder besser geht. Die immense Kluft zwischen den sehr Armen und extrem Reichen muss kleiner werden. Ressourcen gibt es doch genug, wenn sie ernsthaft und ehrlich eingesetzt werden.

Frage: Und was muss gegen die herrschende Unsicherheit im Land getan werden? In einigen Regionen werden täglich Menschen entführt und mitunter auch ermordet. Unter den Opfern sind auch Priester.

Kaigama: Das ist die Aufgabe des Präsidenten und von jenen, die an oberster Stelle für Sicherheit verantwortlich sind. Wir haben einen Anspruch darauf, dass sich die Sicherheitslage verbessert. Wir müssen uns frei innerhalb unseres Landes bewegen können. Viele Menschen sind Vertriebene und können seit Jahren nicht zurück in ihre Dörfer. Die Regierung ist für die Menschen da, und diese müssen an erster Stelle stehen. Ich hoffe also, dass die neuen Minister für Sicherheit in Nigeria sorgen und die sozioökonomischen Bedingungen verbessern.

Frage: Wie bewerten Sie aktuell die Lage im Bundesstaat Plateau, der in den vergangenen Jahrzehnten mehrere schwere Krisen erlebt hat?

Kaigama: Sie ist ziemlich gut. Schon eine ganze Zeit hat es hier kein Chaos mehr gegeben. Auch der Konflikt zwischen Farmern und Viehhirten hat sich abgeschwächt. Das heißt aber nicht, dass alles funktioniert. Für Spannungen sind politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren verantwortlich. Doch mitunter beschönigt man diese oder bekämpft sie mit falschen Mitteln. Da nicht die Ursachen bekämpft werden, treten die Probleme immer wieder auf.

Bild: ©KNA/Katrin Gänsler

Ignatius Kaigama ist Koadjutorerzbischof von Abuja, der Hauptstadt Nigerias.

Frage: In Nigeria hat die Idee der Ruga-Settlements, spezielle Siedlungen für Viehhirten, für viel Aufregung gesorgt. Vorerst hat die Regierung die Pläne nun gestoppt. Was halten Sie davon?

Kaigama: Es ist gut, dass die Regierung Pläne für die Viehhirten macht. Sie muss aber auch welche für die Bauern machen. Es ist ein Wettbewerb zwischen den beiden Gruppen. Die Bauern möchten ihr Getreide wachsen sehen, die Viehhalter sorgen sich um das Wohlbefinden ihrer Tiere. Das bringt Streitigkeiten. Würden die Ruga-Settlements eingeführt - mit guter Ausstattung -, wäre das eine einseitige Unterstützung der Hirten. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz nötig. Beide Gruppen müssen gleichermaßen profitieren.

Frage: Sie haben bereits zahlreiche Probleme in Nigeria aufgezählt. Vor allem in sozialen Medien wird seit einigen Wochen eine Revolution gefordert. Was halten Sie davon?

Kaigama: Es hängt davon ab, welche Art von Revolution gemeint ist. Wenn man die aktuelle Regierung absetzen möchte, muss man die Frage stellen, wer folgen soll. Die Mentalität bleibt doch die gleiche. Deswegen müssen wir unseren Leuten richtiges Verhalten und ordentliches Benehmen beibringen. Davon sind wir weit entfernt. Korruption blüht beispielsweise, weil die Menschen falsche Prioritäten haben. Es gibt keinen Patriotismus, weil man sich nur um sich selbst kümmert oder die eigene Region oder Religion in den Mittelpunkt stellt. Es geht ihnen nicht um das große Ganze. Deshalb muss eine Revolution spirituell, moralisch, auch politisch sein. Ein System durch ein anderes zu ersetzen, reicht nicht aus.

Frage: Sie sind Anfang des Jahres zum Koadjutorerzbischof von Abuja ernannt worden. Freuen Sie sich auf die neue Aufgabe?

Kaigama: Wir sind wie Soldaten und gehen dorthin, wohin man uns schickt. Beworben habe ich mich nicht. Es gab aber die Notwendigkeit, da der Erzbischof von Abuja [Kardinal John Onaiyekan] in den Ruhestand gehen wird. Wenn das geschieht, werde ich offiziell als Erzbischof von Abuja eingeführt. Für mich ist das eine neue Dimension. Aber ich bin bereit, das zu tun, was ich tun kann.

Frage: Sie wurden vor mehr als 19 Jahren zum Erzbischof von Jos ernannt. Was werden Sie vermissen, wenn Sie künftig in Abuja leben und arbeiten?

Kaigama: Wenn ich bei einer Reise gesagt habe, dass ich nach Hause fahre, habe ich stets Jos gemeint und nicht Taraba, woher ich ursprünglich stamme. Jetzt gehen einige Menschen davon aus, dass ich von Abuja spreche. Aber ich meine Jos. Ich bin mit der Umgebung sehr vertraut. Ich finde mit geschlossenen Augen den Weg. Ich erkenne Menschen an ihren Stimmen. Das zeigt, wie integriert ich bin. Das wird mir sicherlich fehlen. Jetzt muss ich die Menschen in Abuja, die Situation vor Ort und die Stadt kennenlernen. Das ist ein Neustart, vor dem ich wie Abraham in der Bibel stehe.

Von Katrin Gänsler (KNA)