Bischöfe beraten über Höhe der Entschädigung für Missbrauchsopfer
5.000 Euro, in Einzelfällen auch mehr – das ist im Moment die gängige Entschädigung von Missbrauchsopfern der katholischen Kirche in Deutschland. Das Wort Entschädigung wurde dabei bislang allerdings möglichst vermieden. Stattdessen ist von einer "materiellen Anerkennung erlittenen Leids" die Rede. Doch das könnte sich bald ändern – ebenso wie die Höhe der Zahlung.
Ende Mai hatte die Deutsche Bischofskonferenz zu einem Workshop geladen, in dem 28 Expertinnen und Experten – darunter die frühere NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter und der Bayreuther Jurist Stephan Rixen – eine neue Entschädigungslösung entwickeln sollten. Auch acht Betroffene waren Teil der Arbeitsgruppe. Über den Sommer erarbeitete ein kleines Redaktionsteam daraus eine Handlungsempfehlung für die Bischöfe. Über dieses Papier beriet dann wiederum die 28-köpfige Expertenrunde Anfang September und verabschiedete schließlich eine finale Fassung. Der Titel: "Empfehlungen der Unabhängigen Arbeitsgruppe – Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids". Die Empfehlung liegt den Bischöfen seit zwei Wochen vor.
"Es geht bei der Frage der Entschädigung nicht um die Anerkennung des Leids der Opfer", stellt Matthias Katsch klar. Er ist Sprecher der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch" und hat an dem Papier mitgeschrieben. Es gehe vielmehr um die Übernahme von institutioneller Verantwortung für das geschehene Unrecht. Katsch spricht aus, was im vergangenen Jahr auch die von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene MHG-Studie festgestellt hatte: Systemische Faktoren haben den Missbrauch in der katholischen Kirche begünstigt.
Nicht Taten entschädigen, sondern Folgen
Es sollen "nicht ausschließlich Taten entschädigt werden, sondern die Folgen für die Opfer, für ihr Leben sollen in Betracht kommen und berücksichtigt werden", führt Katsch weiter aus. Denn Missbrauchsopfer litten an einem Bündel von Belastungen und Einschränkungen. Dazu gehörten psychische Probleme und Erkrankungen, zum Teil auch Suchtkrankheiten. Außerdem hätten sie oft familiäre Probleme: "Überproportional scheitern Beziehungen von Betroffenen", heißt es dazu in einem Papier der Betroffenenorganisation. Auch Probleme im Berufsleben gehören demnach zu den Spätfolgen von Missbrauch. Denn durch die genannten Probleme fänden Betroffene oft nicht den Platz im Berufsleben, "den sie aller Voraussicht nach hätten ausfüllen können, wenn Ihnen der Missbrauch erspart geblieben wäre."
Im von der Arbeitsgruppe beschlossenen Papier ist nun von zunächst 10.000 Euro als Grundschmerzensgeld die Rede, das "allein an das Faktum des erlittenen Unrechts anknüpft". Damit sind dann weniger schwere Fälle wie etwa sexuelle Belästigung erfasst. Zu den Zahlungen, die darüber hinausgehen, schlägt die Arbeitsgruppe zwei Modelle vor. So wäre ein Pauschalbetrag von 300.000 Euro möglich. Damit würde keine "Leidenskonkurrenz" zwischen den Betroffenen entstehen und die Entschädigung wäre recht schnell umzusetzen.
Möglich wäre auch ein gestuftes Modell, bei dem je nach Schwere des erlittenen Unrechts zwischen 40.000 und 400.000 gezahlt werden. Dieses Vorgehen hätte laut der Arbeitsgruppe den Vorteil, dass Einzelfälle stärker berücksichtigt werden könnten. Außerdem könne bei den Betroffenen der Eindruck verhindert werden, "die ihnen zugesprochene Entschädigungssumme sei dem erlittenen Unrecht nicht adäquat".
Zur Abwicklung der Zahlungen empfiehlt das Papier die Einrichtung eines unabhängigen "Entschädigungsfonds", der von allen Diözesen und Orden gleichermaßen verantwortet wird, dessen Mitglieder aber nicht an deren Weisungen gebunden sind. Die sehr unterschiedliche Finanzkraft der deutschen Bistümer und Orden soll dabei berücksichtigt werden. Aber es sollte "außer Streit stehen, dass der Einwand, es fehle an Geld, nicht überzeugen kann und die Glaubwürdigkeit aller Versuche, Verantwortung für die Folgen von Schuld und Versagen zu übernehmen, von vornherein in Frage stellt". Wichtig ist den Verfassern, dass der Fonds mit anderen Gremien der Aufarbeitung zwar zusammenarbeitet, von ihnen organisatorisch und personell jedoch getrennt ist. Den Fonds soll ein Beirat beaufsichtigen, in dem auch Betroffene sitzen. Speziell eingerichtete Kommissionen sollen über die Anträge Betroffener entscheiden.
In der Regel keine Anhörungen
Anhörungen der Betroffenen soll es in der Regel nicht geben. Ein schriftlicher Antrag reiche aus, der auf seine Plausibilität geprüft werde. Es genüge, "dass die Angaben zum Tathergang glaubhaft sind". Anspruch auf Entschädigung hätten alle, die durch Kirchenbeschäftigte aus heutiger Sicht strafrechtlich relevantes Unrecht erfahren haben. Außerdem sollen sexualbezogene Handlungen gelten, "die die Schutzbedürftigkeit insbesondere von Kindern und Jugendlichen missachten". Damit wäre der Kreis der möglichen Zahlungsempfänger relativ groß.
Zusätzlich zu den finanziellen Leistungen empfehlen die Experten, dass neben seelsorglichen und therapeutischen Formaten die Bischöfe den Betroffenen auch persönliche Gespräche anbieten sollen. Dadurch könnten die Opfer als Personen gewürdigt werden. "'Anerkennung des Leids' erschöpft sich nicht in der Erbringung finanzieller Leistungen, so wichtig diese auch sind." Zusätzlich sollen eine Beratungs-Hotline eingerichtet und Ansprechpartner für die Betroffenen benannt werden.
An Dienstag wurde der Entwurf nun bei der Vollversammlung in Fulda vorgestellt und beraten. Katsch berichtet von einer intensiven und guten Diskussion. Eine Entscheidung gibt es allerdings noch nicht. Die Beratungen der Bischöfe dauerten nach Angaben der Bischofskonferenz noch bis in den späten Dienstagabend an. Kein Wunder: Bei geschätzt 3.000 Betroffenen käme eine Milliardenforderung auf die katholische Kirche in Deutschland zu.