Verschollen geglaubter Cimabue ist Millionen wert

"Verspottung Christi": Meisterwerk hing jahrzehntelang über Herdplatte

Veröffentlicht am 28.09.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Senlis ‐ Die Familie der älteren Dame hielt das Bild einfach für eine alte Ikone. Erst als eine Auktionatorin es untersuchte, kam heraus was es wirklich ist: ein verloren geglaubtes Werk des italienischen Meisters Cimabue – und Millionen wert.

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Manchmal ist eine Auktionatorin nicht nur Geschäftsfrau, manchmal ist sie auch eine Schatzsucherin. Und im Falle von Philomène Wolf ist sie eine Schatzfinderin: Kaum hat sie das Haus aus den 1960er Jahren in einem kleinen Dorf nahe der nordfranzösischen Stadt Compiègne betreten, bleibt sie im Durchgang von der Küche zum Wohnzimmer wie angewurzelt stehen. An der Wand über dem Herd hängt ein unscheinbares, kleines Bild. "Ach, das ist eine alte russische Ikone", sagt ihr die Familie. Doch Wolf ist anderer Meinung: "Wir sehen selten eine solche Qualität. Ich vermutete sofort, dass es das Werk eines primitiven italienischen Malers sei." Nach eingehender Prüfung hat sich herausgestellt, es ist nicht irgendein Künstler der Vorrenaissance. Es ist der Vater der westlichen Kunst: Cenni di Pepo genannt Cimabue, der im 13. Jahrhundert in Florenz lebte.

Obwohl es so lange in den Dämpfen der Küche gehangen hatte, ist das Bild erstaunlich gut erhalten. Auf einem Goldgrund, der noch deutlich die Verwandtschaft von Cimabues Werk zur byzantinischen Ikonenmalerei zeigt, sieht man einen hochgewachsenen Christus, dicht umringt von einer Menschenmenge. Die Leute greifen nach ihm, schlagen ihn, gucken grimmig und voller Abscheu. Man kann den Spott und die Beleidigungen beinahe hören. Und das ist der große Unterschied zur Kunst der Ostkirche: Im Italien des 13. Jahrhunderts ist Cimabue der erste Künstler, der sich bewusst vom strengen Formalismus und den durch Dogmen festgelegten Bildwelten des Ostens löst. Er versucht, Bewegung darzustellen, Emotionen und – wie die schiefen Dächer im Hintergrund verraten – auch Perspektive.

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Stil und Technik lassen keinen Zweifel aufkommen, sagt Kunstexperte Eric Turquin, es muss sich um einen echten Cimabue handeln. Doch nicht nur das macht ihn so sicher. Einen wichtigen Beweis liefert ausgerechnet der größte Feind aller Gemälde auf Holzgrund: der Holzwurm. Denn das Bild war Teil eines großen Diptychons, das in ursprünglich acht Szenen den Leidensweg und die Auferstehung Christi darstellte. Ein Besitzer hat es irgendwann einmal zersägt, wahrscheinlich um es besser verkaufen zu können. Bisher galten die Szenen "Die Geißelung Christi" in der Sammlung Frick in New York und "Madonna mit Kind und zwei Engeln" in der National Gallery in London als einzige Überlebende dieses Altarbildes.

Jetzt kommt eine dritte Szene hinzu, denn "man kann den Tunneln der Holzwürmer folgen", so Turquin. Durch das Auseinandersägen der Holzplatte sind die jahrhundertealten Spuren der holzfressenden Larven sichtbar geworden. Und wenn man nun Fotos der zwei weiteren bekannten Teile mit dem bei Compiègne entdeckten vergleicht, stimmen sie überein. "Es ist die gleiche Pappelholzplatte", sagt Turquin. "Wir haben also den Beweis, dass dieses Werk aus der Hand Cimabues stammt."

Damit ist es das zwölfte Stück weltweit, dass dem Künstler zweifelsfrei zugewiesen werden kann. Das macht es natürlich sehr wertvoll: Das Bild misst kaum 25 mal 20 Zentimeter, trotzdem rechnen Experten mit einem Erlös von vier bis sechs Millionen Euro. Es wird das erste Werk des Künstlers seit Jahrzehnten sein, das auf den Kunstmarkt kommt. "Ich bin so glücklich", sagt Auktionatorin Philomène Wolf. "Ich stehe noch am Anfang meiner Karriere und normalerweise kann man ein ganzes Leben vergeblich auf einen solchen Fund warten." Ihr Auktionshaus versteigert die "Verspottung Christi" am 27. Oktober.

Von Cornelius Stiegemann