Ex-Ordensfrau Wagner: Papstamt ist "gefährlich"
Anfang des Jahres sorgte ein vom "Bayerischen Rundfunk" ausgestrahltes Gespräch für Schlagzeilen: Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, unter anderem ein wichtiger Berater von Papst Franziskus, und die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner, Opfer sexuellen Missbrauchs, sitzen sich in einem Gespräch gegenüber.
Das ungekürzte vierstündige Gespräch hat nun der Herder-Verlag herausgebracht. Das Buch "Schuld und Verantwortung" geht weit über das hinaus, was im Fernsehbeitrag gesendet werden konnte.
Die ehemalige Ordensfrau ist Expertin in ihrem Bereich, so grausam, wie das klingen mag. Als junge Frau tritt sie in einen Orden ein und macht dort Unvorstellbares durch: Sexueller und spiritueller Missbrauch zerstören die so vom Glauben begeisterte Frau. Sie verlässt den Orden. Mittlerweile, acht Jahre später, ist sie verheiratet und Mutter, heißt nach ihrer Hochzeit eigentlich Reisinger. Sie kennt nicht nur ihre eigene Geschichte: Nach ihrem Austritt schreibt sie ein Buch. Wagner merkt: Sie ist nicht allein; von zahlreichen weiteren Frauen liest sie ähnliche Geschichten. Nicht jeder glaubt ihnen. So war es auch bei Doris Wagner: Weder ihre ehemalige Gemeinschaft noch das Vatikangericht halten ihre Anschuldigungen für wahr.
Schönborn glaubt Wagner
"Ich glaube Ihnen, ja." Das waren die Worte, auf die Doris Wagner so lange gewartet hatte. Denn noch nie habe ihr das jemand in einer kirchlichen Verantwortungsposition gesagt. Kardinal Schönborn tut es. Einer der besonderen Momente im Fernsehbeitrag, der auch im Buch seinen Platz findet.
Doch den Anfang machen biographische Inhalte. So ist der erste Teil des Buches vor allem durch den Werdegang Wagners und Schönborns geprägt. Und obwohl beide sich bereits in jungen Jahren für den Eintritt in einen Orden entschieden, verliefen die Wege daraufhin völlig anders.
Da ist auf der einen Seite Schönborn, der in einen Dominikanerorden eintrat, frei war, sich unter anderem mit Schriften von Thomas von Aquin weiterbildete und mit seinen Mitbrüdern austauschte. Auf der anderen Seite trat Doris Wagner nicht in einen Orden, sondern in die geistliche Gemeinschaft "Das Werk" ein, Sie erzählt davon, dass sie nur Kartoffeln schälen durfte. Lesen war ein Tabu, ihre Eltern oder Freunde treffen durfte sie nicht. Mehrfach hat ein Priester sie vergewaltigt.
Zwei unterschiedliche Wege
Da sitzt also ein Mann, der in der Kirche viel Gutes erfahren hat und mittlerweile zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche weltweit gehört, einer in der Vergangenheit durch die Kirche tief gebrochenen Frau gegenüber. So unterschiedlich der Weg von Schönborn und Wagner gelaufen ist, beide sagen, die Kirche sei für sie Heimat. Ihnen liegt etwas daran, diese nicht zu verlieren und sie irgendwie retten zu können.
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Als Opfer ist es vor allem Wagner, die "anklagt" und die Fragen stellt, warum dieses und jenes überhaupt passieren konnte. Doch sie verschließt sich nicht. Sie ist erschüttert, hätte allen Grund, wütend zu sein. Ihr geht es aber nicht nur um sie selbst, denn sie möchte allen missbrauchten Ordensfrauen Gehör verschaffen. So stellt sie auch die großen Fragen nach der Frauenweihe, der Abschaffung des Zölibats, die Akzeptanz wiederverheirateter Geschiedener oder Homosexueller. Keineswegs wirft sie dabei Provokantes einfach nur in den Raum. Die Theologin Wagner argumentiert klug, ihre Sätze sind gut gewählt.
Kardinal Schönborn sitzt ihr als Gesprächspartner auf Augenhöhe gegenüber. Er hört zu, nimmt sie ernst, merkte der Fernsehzuschauer und jetzt auch der Leser. Für das Leiden Wagners und vieler weiterer missbrauchter Ordensfrauen findet er die richtigen Worte, zeigt authentisch sein Entsetzen und erzählt auch von seinen Erfahrungen, die er unter anderem machte, als er einer Ordensschwester in Südamerika helfen wollte, aber nur auf taube Ohren stieß. Bei bestimmten Fragen, etwa zur Akzeptanz Homosexueller weicht er Wagners Fragen gelegentlich aus oder legt zumindest nicht vollständig seine eigene Position dar. Bei der Frauenweihe betont der sonst als reformfreudig geltende Kardinal jedoch, dass vor allem die Tradition für ihn das tragende Argument gegen die Frauenordination sei. An dieser Stelle erhofft sich der Leser nach den von Wagner hervorgebrachten Argumenten deutlich mehr.
Wagner hält Papstamt für "gefährlich"
Wagner bezieht immer klar Stellung. Auch ist sie der Meinung, dass das Papstamt "gefährlich" sei: "Denn der Papst ist in seiner Stellung nicht angreifbar, weil er einfach der absolute Monarch und der oberste Gesetzesgeber ist, der von keinem anderen Menschen zur Verantwortung gezogen werden könnte." Prägnante Aussagen wie diese beeindrucken den Leser nachhaltig.
Mit seinen mehr als 120 Seiten ist das Buch spannend zu lesen und regt an vielen Stellen zum Nachdenken an – bei Schilderungen beider Parteien. Sowohl Wagner als Opfer als auch Schönborn als Verantwortlicher in der Kirche ist es hoch anzurechnen, sich für ein solches Gespräch mit vielen Erkenntnissen zusammengesetzt zu haben und der Veröffentlichung aller Worte zuzustimmen.