Overbeck: Dürfen nicht zulassen, dass auch der Rest der Christen geht
Militärbischof Franz-Josef Overbeck war vor kurzem zu einem dreitägigen Truppenbesuch in Erbil im Nordirak. Im Interview berichtet er von den Sorgen der Soldaten, Christen und Kurden in der Region und von der aktuellen Lage nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien.
Frage: Bischof Overbeck, Sie hatten zuvor aus Sicherheitsgründen drei Mal Ihre Reise ins Kurdengebiet im Nordirak absagen müssen. Wie war die Lage jetzt?
Overbeck: Die drei Tage vor Ort waren gefahrlos möglich auf Grund der recht stabilen Sicherheitslage im Nordirak. Die beginnende Offensive der Türkei in Nordsyrien war ja bei den Planungen nicht absehbar. Wer weiß, was sonst aus der Reise geworden wäre
Frage: War das denn ein großes Thema?
Overbeck: Natürlich war das zu spüren. Und es hat für eine gewisse Unruhe gesorgt. Aber konkret hat es keine Auswirkungen gehabt.
Frage: Im Trainingszentrum, das Sie auch besucht haben, bilden die deutschen Soldaten als eine ihrer Hauptaufgaben kurdische Peschmerga-Kämpfer aus. Die sind doch emotional sicher ganz nah dran am Schicksal der Kurden in Syrien?
Overbeck: Sicherlich. Jedoch konnte ich selbst nicht mit den kurdischen Peschmerga sprechen. Die deutschen Ausbilder erleben natürlich hautnah mit, dass die Kurden sehr bewegt und beunruhigt sind. Die Kurden wissen genau um die Gefahren für die ganze Region.
Frage: Inwiefern?
Overbeck: Die Ausbilder haben mir sehr anschaulich berichtet von dem ungeheuren Leid, das viele der Kurden erlitten haben - gerade im Kampf gegen den IS. Ich habe gehört von vielen sehr traumatisierten Männern, die in den Kämpfen nicht nur selbst viel Leid erlebt, sondern auch ganz oft Familienangehörige verloren haben.
Frage: Wie schätzen denn die Menschen im Nordirak die aktuelle Lage ein mit Blick auf Nordsyrien?
Overbeck: Es ist schon die Sorge zu spüren, dass ein größerer Flächenbrand daraus werden könnte, verbunden mit der großen Hoffnung, dass die politisch Verantwortlichen entsprechend klug versuchen, weitere Eskalationen zu vermeiden. Ich habe schon gemerkt, dass es viele Fragen und auch Sorgen bei den Soldaten gibt angesichts der doch sehr komplizierten Lage.
Frage: Was ist das Wichtigste, was die Militärseelsorger für die Soldaten dort tun können?
Overbeck: Kurz gesagt: Ihren normalen Job und Dienst. Immer ein offenes Ohr haben für die Anliegen der Soldaten, Zeit haben für Gespräche und Begleitung. Und natürlich die weiteren Angebote über Gottesdienste, Seelsorgegespräche und die Zusammenarbeit mit anderen Partnern im "Psychosozialen Netzwerk" der Bundeswehr. Ich denke, das kann auch in unruhigeren Zeiten Hilfe bieten
Frage: Sie haben auch den chaldäisch-katholischen Erzbischof Bashar Warda besucht. Wie geht es den Christen vor Ort?
Overbeck: Die Gefahr ist groß, dass der Auszug der Christen aus einem der großen Ursprungsgebiete des Christentums und der Kirche immer weiter voranschreitet. Irgendwann fragt auch der "Rest": Sollen wir wirklich noch bleiben? Ich finde, wir müssen in Kirche, Politik und Gesellschaft alles dafür tun, dass die Christen in der Region bleiben und gut leben können. Sie sind auch trotz ihrer kleinen Zahl ungeheuer wichtig für alle Menschen im Land - ganz unabhängig von der Religion. Denken Sie an die christlichen Schulen und Krankenhäuser oder an die neue Universität, die errichtet wird.
Frage: Wie kann man sonst helfen - als Kirche in Deutschland?
Overbeck: Wir müssen mit dafür sorgen, dass es für alle menschenwürdige Lebensumstände gibt, etwa was Wohnung und Unterstützung im Alltag angeht. Und wir müssen den Christen vor Ort immer wieder zeigen: Wir lassen Euch nicht allein und unterstützen Eure Arbeit, so gut wir das können. Und wir beten weiter für Euch.
Frage: Bei Ihnen im Bistum Essen leben viele chaldäisch-katholische Familien. Wie geht es denen fern der Heimat?
Overbeck: Insgesamt sind es etwa 1.000 Familien in unserem Bistum - unter anderem auch Familienangehörige von Erzbischof Warda. Ich glaube, kein Mensch kann, wenn er so weit weg ist und fliehen musste, ohne Sehnsucht nach Zuhause leben. Das spüren wir natürlich bei vielen. Es gab verschiedene Wellen, in denen chaldäische Christen aus dem Irak zu uns gekommen sind, viele schon 1991 bei einem der ersten Irakkriege. Und die haben sich in der Regel sehr schnell und gut integriert, haben Arbeit gefunden und zeichnen sich auch durch ein sehr lebendiges Glaubensleben aus. Aber natürlich ist auch bei ihnen die Sorge groß, was die Zukunft der Christen im Irak angeht, auch mit Blick auf die aktuelle Großwetterlage in der Region.