Vorwürfe wurden durch vieldiskutierte "Arte"-Dokumentation publik

Missbrauch: Ordensgemeinschaft sagt sich vollständig von Gründer los

Veröffentlicht am 06.11.2019 um 13:15 Uhr – Lesedauer: 

Saint-Jodard/Paris ‐ Noch im Mai klangen die Brüder vom Heiligen Johannes deutlich vorsichtiger, wenn es um Pater Marie-Dominique Philippe oder eine Neugründung der Gemeinschaft ging. Das hat sich jetzt geändert – auch durch Akten aus den Archiven des Dominikanerordens.

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Die Brüder vom Heiligen Johannes haben auf dem zweiten Generalkapitel des Jahres 2019 eine Neugründung der Gemeinschaft beschlossen und sich deutlich von ihrem Gründer distanziert. "Wir wollen Pater Marie-Dominique Philippe nicht länger als Bezugsperson für unsere Gründung sehen. Wir können ihn nicht mehr als einen Lehrmeister für das spirituelle Leben anerkennen", heißt es in der am Mittwoch auf der Internetseite der Gemeinschaft veröffentlichten Abschlusserklärung. Die Anfang März ausgestrahlte "Arte"-Dokumentation "Gottes missbrauchte Dienerinnen" hatte die Missbrauchsvorwürfe mehrerer Ordensfrauen gegen Pater Marie-Dominique publik gemacht.

"Neun Jahre lang haben wir versucht, Krebs in homöopathischen Dosen zu behandeln, heute mussten wir eine Amputation durchführen, um den Körper zu retten", sagte einer der Teilnehmer des Generalkapitels, Pater Barthélémy Port, am Dienstag gegenüber der französischen katholischen Tageszeitung "La Croix". Eine in der Folge der 2013 bekannt gewordenen Missbrauchsfälle durch den Gründer eingeleitete Untersuchung machte fast 30 weitere Brüder ausfindig, die das Missbrauchssystem von Philippes für eigene Taten reproduziert hatten.

Das Generalkapitel bewertete die Fälle nicht als "vorübergehende Schwäche, sondern als ein seit der Gründung der Gemeinschaft eingerichtetes Missbrauchssystem", so "La Croix". Deshalb unterziehe man Philippes Lehre einer eingehenden Prüfung. Weiterhin soll eine interdisziplinäre Kommission sowohl die Fälle Pater Marie-Dominiques als auch die der anderen Brüder vollständig aufklären. Außerdem beschloss die in vielen Ländern der Welt agierende Gemeinschaft eine Dezentralisierung ihrer bisher stark auf den Generalprior ausgerichteten Struktur.

Der Gründer der Gemeinschaft vom Heiligen Johannes, Pater Marie-Dominique Philippe, gehörte wie sein Bruder, Pater Thomas Philippe, dem Dominikanerorden an. Um die Fälle der Brüder genauer untersuchen zu können, bekam das Generalkapitel Einsicht in das Archiv des Ordens. Bereits bekannt war, dass es Pater Thomas aufgrund von mehrfachem sexuellen Missbrauchs an Frauen seit 1956 verboten war, sein priesterliches Amt auszuüben. Neu ist die Erkenntnis, dass Pater Marie-Dominique ein Jahr später ebenfalls bestraft wurde: Weil er die Taten seines Bruders vertuscht hatte, durfte er für zwei Jahre das Sakrament der Beichte nicht spenden, keine geistliche Gemeinschaft leiten und sich nicht in Klöstern aufhalten. Laut "La Croix" hielt sich keiner der beiden Brüder an seine Strafe – warum weitere Sanktionen vonseiten des Vatikans ausblieben, konnte nicht geklärt werden. (cst)

Abschlussdokument des Generalkapitels der Brüder vom Heiligen Johannes

Lesen Sie hier das Abschlussdokument des zweiten Generalkapitels der Brüder vom Heiligen Johannes, das vom 22. Oktober bis 1. November 2019 in Saint-Jodard stattfand. Der Text liegt in französischer Sprache vor.