Evangelische Kirche berät über Konsequenzen nach Missbrauchsfällen

EKD richtet Betroffenenbeirat ein – Keine pauschale Entschädigung

Veröffentlicht am 12.11.2019 um 12:34 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Die EKD-Synode in Dresden hat am Dienstag über Konsequenzen aus den Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche beraten. Dabei kam erstmals auch eine Betroffene vor dem Kirchenparlament zu Wort.

  • Teilen:

Zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch richtet die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen Betroffenenbeirat ein. Das kündigte die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die auch Sprecherin des Beauftragtenrates der EKD ist, am Dienstag auf der EKD-Synode in Dresden an. Das Konzept für den Betroffenenbeirat sei auf der Grundlage der Erfahrungen des Betroffenenrats des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, gemeinsam erarbeitet und vom Rat der EKD im September beschlossen worden.

Der Beirat solle als kritisches Gegenüber zur EKD die Betroffenenperspektive in den Aufarbeitungsprozess einbringen und eigene Positionen formulieren. "Ab sofort ist es Betroffenen aus dem Bereich der evangelischen Kirche und der Diakonie möglich, sich für diesen Beirat zu bewerben", erklärte Fehrs. Gesucht würden zwölf Personen für die Dauer einer Amtszeit von vier Jahren. Die Bewerbungsfrist gehe bis zum Januar 2020, damit der Betroffenenbeirat sich im Frühjahr 2020 konstituieren könne, so die Bischöfin weiter. Ausgewählt würden die Mitglieder durch ein Gremium aus Mitgliedern des Betroffenenrates von Rörigs Dienststelle, Mitarbeitern von externen Fachberatungsstellen und dem Beauftragtenrat der EKD. Sie legten dem Rat der EKD dann eine Vorschlagsliste vor, der anschließend die Mitglieder des Betroffenenbeirats berufe.

EKD lehnt pauschale Entschädigung von Opfern ab

Nikolaus Blum aus dem Beauftragtenrat teilte in Dresden mit, dass der EKD bislang 770 Missbrauchsfälle bekannt seien; vor einem Jahr waren es noch 479 Fälle. Der Anteil der Fälle aus der Diakonie liege bei knapp 60 Prozent. Dabei sind vor allem Heimkinder betroffen. Der Anteil der Fälle aus der verfassten Kirche liegt bei gut 40 Prozent. Erfasst seien auch alle Fälle sexualisierter Gewalt zwischen Erwachsenen, zwischen Teilnehmenden von Freizeiten sowie alle Berufsgruppen in der Kirche, betonte Blum.

Der Kirchenjurist erklärte weiter, dass die evangelische Kirche den Plänen zur pauschalen Entschädigung von Missbrauchsopfern in der katholischen Kirche nicht folgen wolle. Die EKD halte das für eine Verkürzung der Problematik. "Entschädigung ist genau nicht, was wir als Institution leisten können", sagte Blum. Die katholischen Bischöfe hatten im September über eine Neuregelung der Entschädigungszahlungen beraten. Grundlage war der Bericht einer Kommission, die zwei Modelle vorschlägt: eine pauschale Entschädigungsleistung in Höhe von 300.000 Euro oder ein Stufen-Modell mit Beträgen zwischen 40.000 und 400.000 Euro, das jeden Einzelfall betrachtet. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, betonte kürzlich allerdings, dass über die Höhe noch längst nicht entschieden und eine Regelung ohne Plausibilitätsprüfung schwer vorstellbar sei.

Kirsten Fehrs, Bischöfin der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland
Bild: ©KNA/Matthias Greve

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ist Sprecherin des Beauftragtenrates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der als Teil der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Kirche eingerichtet wurde.

Blum sagte, die Forderung nach Zahlungen in diesen Größenordnungen führe zwangsläufig zu Auseinandersetzungen über die Beweisbarkeit. Das seien genau die Verfahren, "die die Betroffenen über lange Zeit stark belasten und retraumatisieren würden". Der Jurist unterstrich, man wolle der Forderung nach individueller Aufarbeitung nachkommen. Statt von Entschädigung spricht die evangelische Kirche von Anerkennungs- oder Unterstützungsleistungen, über die man sich mit den Betroffenen im Einzelfall verständigen will. "Es geht doch auch darum, sich als Institution auseinanderzusetzen, ins Gespräch zu gehen", sagte Blum.

Erstmals sprach am Dienstag zudem eine Betroffene sexuellen Missbrauchs vor der EKD-Synode. "Betroffene müssen über jeden einzelnen Schritt mitbestimmen", sagte Kerstin Claus in Dresden. Sie forderte, dass die Bedürfnisse der Opfer sexualisierter Gewalt in den Mittelpunkt der Aufklärung gestellt werden müssten. Zu oft konzentriere sich die Kirche nach der Anzeige einer Tat auf Täter und Beweise und erhebe die Opfer in den Status eines Zeugen, kritisierte sie.

Missbrauchsopfer: "Aufarbeitung ist kein Sprint, sie ist ein Marathon."

Aufarbeitung brauche Zeit, so Claus weiter: "Aufarbeitung ist kein Sprint, kein 100-Meter-Lauf, sie ist ein Marathon." Taten und ermöglichende Strukturen müssten offengelegt werden, Kirche dürfe die Täter nicht schützen. Claus berichtete über ihre eigene Erfahrung mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Der Pfarrer, der sie in ihrer Jugend sexuell missbraucht hatte, hatte den Missbrauch zugegeben. Nach Aussage von Claus' ist er noch immer Pfarrdienst tätig. Die Missbrauchsfälle passierten in der bayerischen Landeskirche, der heute der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm als Landesbischof vorsteht. Claus erinnerte Bedford-Strohm an seinen ein Jahr alten Satz: "Keine Toleranz mit Tätern und Mitwissern." Sie forderte eine klare Haltung der Kirche im Umgang mit Opfern des Missbrauchs.

Zu Beginn ihrer Rede betonte Claus, es sei keine Selbstverständlichkeit, dass sie vor der Synode spreche. "Ich kann nicht verhehlen, dass es kein leichter Schritt ist, hier zu sein", sagte sie. Sie sprach der Synode Lob für die geleistete Arbeit aus. Die Synode der EKD hatte im vergangenen Jahr in Würzburg einen Elf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt verabschiedet, der unter anderem die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle vorsah. "Sie haben die elf Punkte ernstgenommen", sagte Claus. Sie lobte zudem die Arbeit von Bischöfin Fehrs als Vorsitzende des Beauftragtenrates der EKD. Sie sei eine "hervorragende Kämpferin". (stz/epd/KNA)

Linktipp

Unter dem folgenden Link können Sie den Bericht des Beauftragtenrates zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, der am Dienstag bei der EKD-Synode vorgelegt wurde, nachlesen.