Einmal Entfremdung vom Glauben und zurück: Lara wurde gefirmt
Es ist Viertel vor sechs an diesem Montagabend im Advent. Um den mächtigen Xantener Dom pfeift der kalte Wind, als die 19-jährige Lara und ihre Familie am Bischofshaus gegenüber anklingeln. Hier werden gleich zehn Firmkandidaten, die sich noch nie zuvor gesehen haben, vom Münsteraner Weihbischof Rolf Lohmann empfangen. Warm, hell und ziemlich still ist es in dem herrschaftlichen Gebäude mit den hohen Stuckdecken, denn noch fehlen der Gastgeber und die meisten Gäste.
Etwas unsicher sitzen die ersten Ankömmlinge im Empfangsraum zusammen, wagen nur zu flüstern und lassen die bereitgestellten Spekulatius links liegen. "Aufgeregt bin ich eigentlich nicht", sagt Lara leise, "aber gespannt, was jetzt kommt." Für sie ist die Firmung ein wichtiger Meilenstein auf ihrem Glaubensweg, den sie nun als junge Erwachsene ganz bewusst geht. Nicht immer hat sie sich im Glauben aufgehoben gefühlt, so wie noch zu Zeiten ihrer Erstkommunion. "Damals war mein Leben unbeschwert und ich habe mich Gott nahe gefühlt", sagt sie.
"Ich habe gar nicht bemerkt, wann genau es mir entglitten ist"
In ihrer Jugend ändern sich die Dinge. "Die Schule wurde für mich sehr anstrengend, teilweise überfordernd. Ein Mensch, der mir nahestand ist plötzlich verstorben, mein Opa erkrankte schwer. Auch die Beziehungen zu meinen Freunden haben sich in dieser Zeit verändert..." Es ist eine Phase, in der Lara viel mit sich selbst beschäftigt ist. Kirche und Glaube rücken in die Ferne. "Es war ein schleichender Prozess und ich habe gar nicht bemerkt, wann genau es mir entglitten ist", sagt sie.
Dafür erinnert sie sich noch genau an den Tag, als die Wende kam. Lara hatte zur Erstkommunion eine Kette mit drei Anhängern bekommen: ein Kreuz für den Glauben, ein Herz für Liebe und ein Anker für die Hoffnung. "Ich hatte sie jahrelang nicht getragen, bis meine Mutter sie beim Aufräumen wiedergefunden hat. Danach legte ich sie immer öfter an. Und wenn ich die Kette trug, habe ich oft über den Glauben und die Kirche nachgedacht", erzählt Lara und blickt zur Tür. Dort erhebt sich ein Stimmengewirr. Die anderen Firmlinge samt Familien und der Bischof kommen gerade an.
Bei der Vorstellungsrunde wird klar: Das hier ist keine typische Firmgruppe. Jeder hier hat seinen eigenen individuellen Glaubensweg. Es sind Menschen mehrerer Generationen aus unterschiedlichen Lebenswelten. Ein junges Geschwisterpaar mit polnischen Wurzeln ist dabei, eine Krankenschwester und ein Mann im Seniorenalter. Eine Familie mit drei Kindern hat am Tisch Platz genommen. Die älteste Tochter könnte im richtigen Alter für eine Firmung sein, tatsächlich aber sind es ihre Eltern, die das Sakrament empfangen.
Bischof Lohmann beginnt mit einer kleinen Einführung. Er erklärt, dass das Sakrament der Firmung den Glauben stärken soll und ruft dazu auf, die frohe Botschaft zu verbreiten und christlich zu leben. Durch die Firmung komme der Heilige Geist in besonderer Weise auf die Firmlinge herab. "Er gibt Ihnen die Kraft, sich zu Ihrem Glauben zu bekennen und im Sinne Christi zu handeln."
Die Erstkommunion-Kette als Begleiter
Heute fällt Lara das leicht, aber es war ein langer, teils mühsamer Weg bis dahin. "Damals, als Schülerin habe ich begonnen, vorsichtig wieder mit Gott in Kontakt zu treten. Später bin ich dann auch wieder in den Gottesdienst gegangen und habe gelernt, den Rosenkranz zu beten", erinnert sie sich. Ihre Kette hat Lara, die heute Deutsch und Englisch studiert und außerdem in einem Gospelchor singt, seit der zehnten Klasse nicht mehr abgelegt. Natürlich blitzt sie auch am Tag ihrer Firmung unter ihrem Kragen hervor.
Gegen 19 Uhr wird es Zeit, sich in der Kirche zu versammeln. Über 70 Meter hoch ragen die beiden Türme des beeindruckenden Baus in den Xantener Abendhimmel. Auch wenn die Stiftskirche Sankt Viktor niemals Bischofssitz gewesen ist, wird deutlich, warum sie landläufig Xantener Dom genannt wird. Warmes Kerzenlicht empfängt die kleine Gemeinde an diesem Abend im Inneren. Der Blick fällt auf den ungewöhnlichen Gemeindealtar des Bildhauers Gernot Rumpf, der bronzene Weinranken, Tauben, einen Igel und eine Schnecke zeigt.
Hinter dem Altarraum ragt eine kunstvoll verzierte Mauer mit vielen Öffnungen und Durchgängen auf. Dieser Lettner befindet sich hier seit dem 14. Jahrhundert und wurde anders als in vielen anderen Kirchen belassen. Einst als Schranke zwischen Angehörigen des Klerus und den Laien gedacht, steht er an diesem Abend eher schützend hinter dem Altar und sorgt dafür, dass sich die zehn Firmlinge und ihre Gäste in dem großen Gotteshaus nicht verloren fühlen.
"Schon immer habe ich mich in der Kirche ein wenig seltsam gefühlt, ehrfürchtig trifft es wohl am besten", sagt Lara, als sie in der ersten Reihe Platz nimmt und sich umschaut. "Auch heute habe ich immer das Gefühl, von einer höheren Macht umgeben zu sein, beobachtet und unterstützt zu werden. Ich wüsste nicht, wie ich mit schwierigen Phasen im Leben umgehen sollte, wenn ich den Glauben an Gott nicht hätte. Der Gedanke daran, dass jemand einen Plan, beziehungsweise einen Weg für uns hat, macht mir Mut und baut mich auf, wenn ich es brauche."
Lara wird selbst bald Taufpatin
Eine Glocke läutet und Orgelspiel kündigt den Einzug des Bischofs an. "Macht hoch die Tür" singt die Firmgemeinde, während über ihren Köpfen die Kerzen am mächtigen Adventskranz leuchten. "Heute feiern wir das hohe Fest Maria Empfängnis", sagt Bischof Lohmann und schlägt gleich den Bogen zum Anlass der Messe. "So wie Maria mit ihrem ‚Ja‘ zum Kind eine Entscheidung getroffen hat, so treffen Sie heute die Entscheidung, auf den Heiligen Geist zu bauen."
Für Lara gibt es noch einen besonderen Grund, sich firmen zu lassen. "Im Januar werde ich Taufpatin eines achtjährigen Mädchens, das im April zur Erstkommunion gehen wird." Die Firmung ist Voraussetzung für das Patenamt und gibt Lara die Legitimation, Malia auf ihrem Lebens- und Glaubensweg zu begleiten. "Es ist eine große Ehre für mich. Ich habe mich schon sehr lange nicht mehr so sehr über etwas gefreut, denn es schafft eine Verbindung, die für das ganze Leben gemacht ist."
Die Firmlinge stellen sich nun vor den Stufen zum Altarraum auf. Hinter ihnen stehen die Firmpaten und legen ihre Hand auf die rechte Schulter ihrer Schützlinge, als ein Zeichen der Bestärkung. Mit geweihtem Chrisamöl, einem Gemisch aus Olivenöl und Balsam, zeichnet der Bischof den Firmlingen ein Kreuz auf die Stirn und spricht: "Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist. Der Friede sei mit dir." Für jeden findet er noch ein paar persönliche Worte: "Ich freue mich, dass Sie diesen Weg gehen", sagt er zu Lara. "Danke, das tue ich auch", antwortet sie lächelnd.