Wo Gemeinde schon ökumenisch ist
In der Theorie sind sich der Hannoveraner Landesbischof Ralf Meister und der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer schon einig: auf "rein ökumenische Gemeinden" hatte Meister in einem Interview gehofft, und Wilmer teilt diese Hoffnung: "Wie wir in der Seelsorge gemeinsame Wege gehen können, ist eine richtige und wichtige Frage für die Zukunft." Aber: "Wir sind einfach noch nicht so weit und haben unsere Differenzen", schränkte Meister auch gleich ein. Dabei gibt es schon Gemeinden, die stark ökumenisch ausgerichtet sind und trotz der Differenzen viel gemeinsam haben und tun.
Manchmal wird wird die ökumenische Gemeinschaft bewusst von den beteiligten Kirchen gesucht, wie im Freiburger Stadtteil Rieselfeld, wo sich katholische und evangelische Gemeinde die Maria-Magdalena-Kirche teilen. Anderswo führen dabei historische Zufälle und geschichtliche Wirrungen Regie, so wie im Altenberger Dom im Bergischen Land östlich von Köln, einer von 64 Simultankirchen in Deutschland.
Ökumene auf Geheiß des Königs
In Altenberg teilen sich Katholiken und Protestanten den Dom – die Idee der Kirchen war das nicht. Anfang des 19. Jahrhunderts fiel die Zistierzienserabtei der Säkularisierung zum Opfer, schließlich ging sie an den preußischen Staat. König Friedrich Wilhelm IV. verfügte, dass die Kirche künftig als Simultankirche genutzt werden solle – und zwar ohne räumliche Trennung. Heute noch ist der Altenberger Dom so Heimat zweier Gemeinden, einer evangelischen und einer katholischen. Die katholische Pfarrei ist gerade vakant, der langjährige Pfarrer ist vor kurzem in den Ruhestand gegangen. Claudia Posche ist Pfarrerin der evangelischen Gemeinde. "Wenn das ökumenische Miteinander staatlicherseits verordnet wird, ist das immer ein Suchen nach Kompromissen", berichtet sie von den Herausforderungen der Altenberger Ökumene.
Manches ist eigen in Altenberg. Im Dom gibt es fast alles doppelt: Küster, Kirchenmusiker – und natürlich Tradition und Liturgie. Nur der Kirchenraum ist ein gemeinsamer. Die Zeiten, wann ihn welche Konfession nutzt, sind klar geregelt. "Das ist spannend und herausfordernd zugleich", erzählt Posche. Bevor sie ins Bergische Land kam, war sie in einer Düsseldorfer Gemeinde, in der es zwischen den Gemeinden eine gute ökumenische Zusammenarbeit gab. "Nach den wunderbarsten ökumenischen Veranstaltungen ging aber jeder sozusagen zu sich nach Hause und machte, was er oder sie wollte. Sich ökumenisch am dritten Ort zu begegnen ist leicht, das ist überhaupt kein Problem." In einer gemeinsamen Kirche sei das anders – hier werden Konflikte sichtbar. Dagegen helfe nur Respekt und Vertrauen. "Dann kann man sich auch einfach mal Sachen nachsehen", sagt Posche.
Respekt vor der Tradition der anderen
Die Idee einer ökumenischen Gemeinde findet Pfarrerin Posche gut. Gemeinsame Räumlichkeiten, gemeinsames Personal, gemeinsames Feiern: Das sei alles möglich. Ein gemeinsamer Kirchenraum wie in Altenberg sorgt dabei ganz selbstverständlich für Zusammenarbeit – gerade etwa bei der kostspieligen Anschaffung einer neuen Mikrofonanlage.
"Wenn die handelnden Personen, das Presbyterium und der Pfarrgemeinderat, Pfarrer und Pfarrerinnen, ein vertrauensvolles Miteinander haben, dann gibt es ganz schnell Ideen, was man gemeinsam machen kann", beobachtet Posche.
Besonders wichtig dabei: "Es braucht großen Respekt vor der anderen Tradition und auch eine Anerkennung für das, was die jeweils andere Seite in den Stürmen der Zeit bewahrt hat." Solche Traditionen können sich auch gegenseitig befruchten: Die evangelische Kirche habe den Stellenwert der Schrift und der Predigt betont und damit auch bei Katholiken das Bewusstsein für die Bibel geschärft. Die katholische Kirche dagegen habe viele Schätze der Tradition bewahrt. "Als ich vor vielen Jahren angefangen habe, war die Vorstellung einer Taufkerze in einem evangelischen Gottesdienst fast undenkbar", erinnert sich die Pfarrerin. "Dass wir eine andere, intensivere Taufpraxis in der evangelischen Kirche entdeckt haben und leben, das verdanken wir unseren katholischen Geschwistern."
An der Basis, bei den Gemeindegliedern, ist die Ökumene ohnehin oft selbstverständlich. In Altenberg wird das für Posche vor allem an Heiligabend deutlich: Wenn sie um 15 Uhr den Gottesdienst eröffnet, dann bekreuzigen sich von den 1.500 Mitfeiernden etwa ein Drittel, schätzt sie. Das Kreuzzeichen ist in der evangelischen Tradition nicht üblich. "Und es wird um 17 Uhr in der katholischen Messe nicht anders sein: Ein Drittel wird sich da nicht bekreuzigen", vermutet die Pfarrerin.
„Wer lädt zur Eucharistie ein? Nicht Pfarrerin Meier oder Pfarrer Schmitz, sondern Jesus Christus.“
Umso schmerzhafter ist es, wenn die Gemeinsamkeit nicht so selbstverständlich gelebt werden kann. Gerade bei konfessionsverbindenden Familien komme das oft vor. "Da hat der Enkel Erstkommunion, die ganze Familie empfängt die Kommunion, und nur der evangelische Opa muss in der Bank sitzen bleiben? Das ist doch komisch", findet Posche. Hier sieht sie den größten Veränderungsbedarf. "Wir sollten uns vergegenwärtigen: Wer lädt ein? Das ist nicht Pfarrerin Meier oder Pfarrer Schmitz, das ist Jesus Christus, der Herr der Kirche."
Eine Kirche für den neuen Stadtteil
In Freiburger Westen ist die ökumenische Ausgangslage eine ganz andere als im Altenberger Dom. In der Maria-Magdalena-Gemeinde ist Ökumene ein besonderer Schwerpunkt – bewusst und aus eigenem Antrieb. Fast alles wird dort gemeinsam gemacht. Fast. "Da müssen Sie Pfarrer Huber fragen, ob er das in der katholischen Cloud hat", sagt Sarah-Louise Müller, die evangelische Pfarrerin der Freiburger Maria-Magdalena-Kirche, auf die Frage nach einem ökumenischen Teamfoto. Die Clouds sind also noch konfessionell getrennt, auch in der Gemeinde, die für ihre ökumenische Zusammenarbeit deutschlandweit bekannt ist. Als in den 1990er Jahren der neue Freiburger Stadtteil Rieselfeld entstand, entschieden sich die evangelische Landeskirche Baden und das Erzbistum Freiburg, nicht zwei Kirchen zu bauen, sondern eine gemeinsame, im Zentrum des neuen Viertels. Gemeinsam treten die Gemeinden als "Kirche im Rieselfeld" an die Öffentlichkeit.
Trotz des in der Landeskirche eigentlich verordneten Kirchenbaustopps beteiligte sie sich an dem Neubau. Die evangelische Seite trägt 30 Prozent, die katholische 70 Prozent – so, wie die Konfessionen zahlenmäßig im Viertel verteilt sind. "Wir arbeiten aber, als wäre es fünfzig/fünfzig", sagt die Pfarrerin, und ihr katholischer Kollege, Pfarrer Siegfried Huber, ergänzt: "Es gibt keinen Junior- und Seniorpartner. Wir vertrauen uns und wissen, dass keine Seite die andere über den Tisch ziehen will."
Klare Absprachen erleichtern den Alltag
Dass es in der Gemeinde Maria Magdalena so gut läuft, liegt auch – da sind sich der Pfarrer und die Pfarrerin einig – an den guten Absprachen. 2004, bei der Gründung der Gemeinden, wurde von dem damaligen Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch und seinem evangelischen Amtsbruder, Landesbischof Ulrich Fischer, eigens eine Rahmenvereinbarung für ökumenische Partnerschaften unterzeichnet, die Gremien der Gemeinden haben detailliert vereinbart, wo es Zusammenarbeit geben soll: Bei Gottesdiensten, beim Kirchenchor, in der Jugendarbeit, mit einem Kirchenladen und sozialen Einrichtungen. Der katholische Pfarrgemeinderat und der evangelische Ältestenrat sind zwar weiterhin eigenständige Gremien, da aber oft die gleichen Fragen besprochen werden, tagen sie regelmäßig gemeinsam.
„Für viele Leute ist es egal, ob wir katholisch oder evangelisch sind – Hauptsache, die Kirche ist vor Ort.“
"Das Prinzip der Gemeinde ist: So viel wie möglich ökumenisch machen. Im Alltag machen wir ohnehin vieles gemeinsam, so dass die konfessionellen Grenzen nicht so wichtig sind", sagt Müller. "Für viele Leute ist es egal, ob wir katholisch oder evangelisch sind – Hauptsache, die Kirche ist vor Ort." Von manchen Gemeindemitgliedern, gerade aus konfessionsverbindenden Ehen, wisse er auch gar nicht, ob sie jetzt katholisch oder evangelisch sind, erzählt Pfarrer Huber. Das merkt er gerade auch bei der Kandidatensuche für den Pfarrgemeinderat: "Ich spreche Leute an, ob sie nicht kandidieren wollen, und dann sagen die mir: Aber ich bin doch evangelisch!"
Sonntags erst getrennt, dann zusammen
Die Sonntagsgottesdienste feiern die beiden Gemeinden getrennt, aber gleichzeitig und nebeneinander. Das Kirchengebäude hat zwei Gottesdiensträume, einen katholischen, einen evangelischen. In der Kooperationsvereinbarung ist festgehalten, dass die Gottesdienste zur selben Zeit stattfinden sollen, so dass man sich danach als ganze Gemeinde treffen kann. Für ökumenische Feiern lässt sich der Kirchenraum durch große Tore in einen gemeinsamen verwandeln.
Huber spricht von der konfessionellen Prägung und Kultur, die beide Seiten mitbringen und pflegen wollen. "Es ist ein Reifezeugnis für alle Beteiligten, dass wir völlig entspannt nebeneinander feiern können, ohne zu denken, die anderen grenzen sich ab." Es gebe aber auch viele Anlässe, wo man gerne ökumenisch Abendmahl oder Eucharistie feiern würde. "Wir würden das oft tun, wenn es möglich wäre. Aber das geht nicht. Da spüre ich schon einen Schmerz", bedauert Huber. Die Sehnsucht nach der Abendmahlsgemeinschaft sei durch die Arbeit in einer so ökumenischen Pfarrei größer geworden, erzählt auch Pfarrerin Müller. "Wir wollen unsere jeweilige Konfession nicht aufgeben. Aber auf Dauer sollten katholische und evangelische Christen doch zumindest das gemeinsame Mahl erreichen."
Die gemeinsame Taufe verbindet die Kirchen
Bei der Taufe ist man schon weiter – auch architektonisch: Trotz getrennter Kirchenräume gibt es ein gemeinsames Taufbecken in der Mitte der Kirche. Seit kurzem wird dort auch in ökumenischen Feiern getauft. Anlass waren Anfragen aus Familien, in denen die Eltern verschiedenenen Konfessionen angehören, und die Kinder teils katholisch, teils evangelisch taufen lassen wollten, erzählt Huber. "Wir haben uns zusammengesetzt und den evangelischen und den katholischen Taufritus angeschaut und überlegt, was das verbindende ist, und wie wir eine gemeinsame Feier gestalten können."
„Man gehört in erster Linie zu einer Kirche, nicht zu einer bestimmten Konfession.“
Pfarrer Huber tauft dann in die katholische Kirche, Pfarrerin Müller in die evangelische. "Es ist schön, dass wir das jetzt gemeinsam feiern können", sagt Huber. "Aber es ist schon schräg, zu sagen, die Taufe ist unser gemeinsames Fundament, und dann müssen wir doch dabei trennen." Am schönsten fände er eine wirklich ökumenische Taufe: "Man gehört in erster Linie zu einer Kirche, nicht zu einer bestimmten Konfession."
Erfolgsfaktoren für ökumenische Gemeinden
Der Weg zur gemeinsamen Tauffeier ist typisch für das Modell Maria Magdalena: Von den Seelsorgern oder aus der Gemeinde geht eine Idee aus, und dann schaut man, was möglich ist, was die Kirchen jetzt schon verbindet. Kürzlich haben die Gremien der Gemeinden über Kooperationen in der Kar- und Osterzeit beraten. "Wir haben die Liturgien nebeneinander gelegt und geschaut, was uns jeweils wichtig ist", erzählt Huber. Das Ergebnis: Die drei österlichen Tage sind für beide Konfessionen klar geprägt und stiften Identität. Hier feiern die Gemeinden weiterhin nebeneinander in ihrer eigenen Tradition. An Palmsonntag und Ostersonntag dagegen wird die Kooperation verstärkt. "Dieser gegenseitige Respekt gefällt mir", sagt Huber. Kein Partner dränge den anderen, jeder könne sein eigenes Tempo einbringen: "Und das ist erstaunlich oft das gleiche Tempo."
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sei das gemeinsame Gotteshaus. Der katholische Pfarrer und seine evangelische Amtsschwester sind beide nicht nur für die Gemeinde an der Maria-Magdalena-Kirche zuständig. Dort, wo es getrennt gewachsene Kirchengebäude gibt, geht die Ökumene nicht so leicht von der Hand. "In den anderen Gemeinden der Seelsorgeeinheit sind wir immer 'bei euch' oder 'bei uns'", beschreibt es Huber. "Im Rieselfeld dagegen sind wir immer daheim." Das macht es auch schwierig, das Rieselfelder Modell auf bestehende Gemeinden zu übertragen, womöglich eine bestehende Kirche gemeinsam zu nutzen, eine andere aufzugeben. "Wenn bei einem Ehepaar ein Partner bei dem anderen einzieht, ist das etwas anderes, als wenn man sich eine gemeinsame Wohnung sucht", vergleicht Huber. Jede ökumenische Gemeindegründung sollte daher von Anfang an mit einem gemeinsamen Standort beginnen, findet er.
Viel wichtiger als die Standortfrage sei aber etwas anderes, ergänzt Pfarrerin Müller: Ein Impuls von oben, von den Kirchenleitungen, genüge nicht, wenn die Ökumene gelingen soll. "Ob es vorangeht, hängt viel von den Menschen in den Gemeinden ab. Wenn die sich stark machen und gemeinsam Kirche sein wollen, dann kann es gelingen."