Moralische Erwartung und eigenes Handeln klaffen bei Kirche auseinander
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Ein Skandal ist jede Tat für sich genommen. Dass aber die Öffentlichkeit vom flächendeckenden Missbrauch hinter deutschen Kirchenmauern erfuhr und die Opfer eine neue Perspektive erhielten oder zumindest erhalten sollten, jährt sich in diesen Tagen zum zehnten Mal. Seitdem ist die Kirche in diesem Land nicht mehr zur Ruhe gekommen. Sprach- und Hilflosigkeit wechseln sich ab; parallel dazu verstärkt sich – quantitativ darstellbar – der Protest durch Austritt ebenso wie die – qualitativ spürbare – innere Kündigung vieler bisher eng an die Kirche gebundener und dort aktiver Menschen.
Dass es am Ende in Lingen von allen Bischöfen keine Gegenstimme zum Synodalen Weg gab, ist wahrscheinlich auch Ausdruck der in allen Landesteilen offenliegenden Wahrnehmung. Keiner weiß, wie dieser Prozess ausgehen wird, die Warnungen nehmen von allen Seiten zu, dass die Ergebnisse spürbar hinter den Erwartungen zurückbleiben werden. Zu wichtig sind die dort aufgeworfenen Themen, um damit nur einzuüben, wie man künftig miteinander in der Kirche konsensual das "Werkzeug Gottes" aktualisieren kann. Zu groß ist die Differenz zwischen moralischer Erwartung an andere Teile der Gesellschaft, eigenen Strukturen und gelebtem, zu oft verschwiegenem institutionellen Handeln. Jede Entscheidung in den kommenden zwei Jahren muss im Angesicht der Opfer im Blick haben, diese riesige Lücke zu schließen. Das ist eine entscheidende Grundlage, um glaubwürdig über die Gottesfrage neu sprechen zu können.
Andererseits, und auch das gehört zur Wahrheit dazu, bleibt es nur das Fundament, nicht aber schon das fertige Haus. Die Kirche muss aufpassen, ihren eigentlichen Auftrag, nämlich die Gottesfrage, im Bewusstsein der Gesellschaft zu halten. Dies geht über eine Sprachfähigkeit hinaus, weil es die Relevanzfrage stellt. Der Osten der Republik kann hiervon ein Lied mit mehreren Strophen singen. Wir müssen lernen, die Sensibilität für diese Frage nicht auf später zu vertagen, sondern schon mitzudenken.