Darum gibt es kaum neue Strafverfolgungen bei Missbrauch in der Kirche
Für die katholischen Bistümer in Deutschland waren die Ergebnisse der Missbrauchsstudie (MHG-Studie) im Jahr 2018 ein Schock: Spätestens damals wurde den Bischöfen klar, dass es sich nicht um Einzelfälle handelte, sondern dass der Missbrauch in der katholischen Kirche offenbar auch strukturelle Ursachen hat und es sich nicht nur um die Schuld einzelner, sondern auch um ein systemisches Versagen handelt. Akten aus ganz Deutschland ab dem Jahr 1946, in denen Fälle ab 1918 zur Sprache kamen, belegten den Umfang des Phänomens. Die Wissenschaftler benannten bestimmte Risikofaktoren wie den Zölibat - die Ehelosigkeit von Priestern - und Machtstrukturen in der Kirche.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sprach nach Veröffentlichung der Studie von Entsetzen, Abscheu und Scham. Er sowie der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, versprachen Konsequenzen. Und sie sicherten nochmals eine Kooperation mit den staatlichen Behörden zu. Nun kommt aus Bayern ein erstes Ergebnis. Danach kommt es nach Auswertung der Akten durch die Staatsanwaltschaften wohl nicht zu strafrechtlichen Ermittlungen, weil fast alle Fälle verjährt sind und in anderen Fällen kein hinreichender Tatverdacht besteht.
Wie konnte es zu diesem Ergebnis kommen? Der Schlüssel ist der Unterschied zwischen historischer Aufarbeitung auf der einen Seite und strafrechtlicher Aufklärung und Verfolgung auf der anderen. Anders als die historische Aufarbeitung ist die juristische Aufklärung an gesetzliche Verjährungsfristen und an strenge rechtliche Kriterien für eine Straftat gebunden.
Die Bistümer hatten die Akten, die zuvor von den Wissenschaftlern der MHG-Studie ausgewertet wurden, den Staatsanwaltschaften übergeben - selbst dann, wenn die mutmaßlichen Täter schon gestorben waren. So geschah es auch in Bayern - mit den am Wochenende bekannt gewordenen Ergebnissen. Fast alle Ermittlungen gegen noch lebende verdächtigte Kirchenvertreter seien eingestellt worden, melden die Medien.
Strafrechtlich ist das sauber: Die Verjährungsfristen für Missbrauchsopfer wurden vom Bundestag zuletzt 2015 nochmals verlängert. Alle Taten vor 2013 - und das sind mehr als 95 Prozent der Fälle aus der MHG-Studie - fallen noch unter das alte, "mildere" Verjährungsgesetz. Erst danach wurde das Lebensalter des Opfers, ab dem die Verjährungsfrist zählt, auf 30 Jahre erhöht. Die Frist selber beträgt heute bei schwerem sexuellen Missbrauch 20 Jahre, so dass heute faktisch die Verjährungsfrist bei 33 bis 50 Jahren liegt. Vor 2013 verjährten Fälle bereits nach 11 bis 28 Jahren.
Scharfe Kritik von Christian Pfeiffer
Der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht ungeachtet dieser Fakten davon, dass die MHG-Studie nur eine "Show" gewesen sei und fordert den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx vom Vorsitz der Bischofskonferenz. Pfeiffers Verhältnis zur Deutschen Bischofskonferenz ist seit langem belastet. Einst sollte er die große Missbrauchsstudie durchführen, doch dann überwarf er sich mit den Bischöfen über die Methoden für eine solche Untersuchung.
Da die Strafverfolgung offensichtlich nicht mehr greift, werden die Wege der Aufarbeitung und der Entschädigung für die Opfer um so wichtiger. So können auch solche Verbrechen benannt und wenigstens ansatzweise gesühnt werden, die der Strafverfolgung entzogen sind. Für die Entschädigung gibt es unterschiedliche Modelle, die nach Medienberichten auf eine Gesamtsumme von bis zu einer Milliarde Euro für die gesamte katholische Kirche in Deutschland hinauslaufen könnten.