Abteikirche St. Philibert wurde vor 900 Jahren vom Papst geweiht

Tournus – eine der wichtigsten romanischen Kirchen Frankreichs

Veröffentlicht am 11.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Tournus ‐ Es gibt Gebäude, an denen lässt sich die Geschichte der Architektur besonders gut ablesen. Dazu gehört etwa die Abteikirche St. Philibert im französischen Burgund. Dort kann man dieser Tage gleich doppelt feiern.

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Das kleine Städtchen an der Saone kommt gar nicht aus dem Feiern heraus: Tournus mit seinen nur rund 5.600 Einwohnern konnte 2019 auf 1.000 Jahre Chorweihe der Abteikirche St. Philibert zurückblicken. An diesem Dienstag steht nun der 900. Jahrestag der Kirchweihe an. Am 11. Februar 1120 kam Papst Calixt II. höchstpersönlich, der selbst aus dem burgundischen Adel stammte, um den fertiggestellten Bau zu segnen. Saint-Philibert gehört zu den wichtigsten frühromanischen Kirchen in ganz Mitteleuropa. Dank ihrer innovativen Ideen wurde sie als ein "Inkunabel der europäischen Architektur" bezeichnet.

Die heutige Stadt Tournus ging – wie viele andere Städte auch – aus einer Ansiedlung hervor, die sich rund um das Kloster bildete. Ursprünglich war Tournus (lat. Trenorchium) ein gallorömisches Lager. Bezeugt ist für das Jahr 177 das Martyrium des heiligen Valerianus, zu dessen Ehren im Frühmittelalter ein erstes Kloster gegründet wurde. Schutzpatron der Kirche ist allerdings der heilige Philibert, dessen Reliquien im Jahr 875, der Zeit der Normannen-Überfälle, von der Abtei Noirmoutier an der Loire-Mündung hierher in Sicherheit gebracht wurden. Mitte des 10. Jahrhunderts wurde auch Tournus im Zuge der Ungarn-Einfälle zerstört.

Ein in vielerlei Hinsicht stilbildender Neubau

Der Neubau, der um das Jahr 1000 begann, war in vielerlei Hinsicht stilbildend, beeinflusste den Kirchenbau in ganz Burgund und weit darüber hinaus. Saint-Philibert besitzt wohl das älteste Tonnengewölbe so großen Ausmaßes. Die Überwölbung großer Spannweiten brachte technische Risiken mit sich. Die meisten Baumeister der Zeit zogen daher Holzdecken vor – die freilich stark brandgefährdet waren. Die Baumeister von Tournus richteten ihre Anstrengungen auf die Gewölbe, mit gewagter Experimentierfreude und offenbar hervorragenden Kenntnissen der Statik. Vier verschiedene Gewölbearten kommen hier buchstäblich zum Tragen – ein fast neugieriges Ausprobieren, das den überraschend hellen Bau bis heute lebendig erscheinen lässt.

Bild: ©stock.adobe.com/lamio

Blick in das Innere der der romanischen Kirche von Tournus.

Die geniale Lösung für das Mittelschiff: quer eingebaute Tonnen zwischen gemauerten Bögen. Sie boten eine bessere Statik und machten dafür im entlasteten oberen Wandbereich Fensteröffnungen möglich, die viel Licht hereinbringen. Dennoch ist das frühreife Bauprinzip von Tournus ohne Nachahmer geblieben. St. Philibert ist auch die älteste erhaltene Pilgerkirche mit einem Chorumgang und Chorkapellen, die den immer zahlreicheren Wallfahrern ermöglichten, an den verehrten Reliquien vorbeizuziehen. Dasselbe Prinzip findet sich auch in der darunterliegenden Krypta aus dem 9. Jahrhundert, die später modernisiert und der Konstruktion des Chors angepasst wurde.

Eine sinnhafte Architektur – gegründet auf Wohlstand

Eine weitere Besonderheit ist die beeindruckend archaische Michaelskapelle in der sogenannten Galiläa, einem Obergeschoss der Vorhalle. Nach Meinung von Kunsthistorikern handelt es sich um eine geistliche Erfindung von Cluny, wo die Zahl der Totenmessen unter Abt Odilo (994-1049) stark vermehrt wurde. Diese Totenmessen wurden in der Galiläa gelesen, einer Art spirituellem Filter oder eine "Stätte des Durchgangs" zwischen Außenwelt und Klosterkirche, mit direktem Blick in die Kirche, das "himmlische Jerusalem".

St. Philibert ist eine sinnhafte Architektur, gegründet auf Wohlstand. Wie bei vielen anderen Kirchen aus der Zeit vor 1100 hat die Fassade einen massiven, wehrhaften Charakter. Die Abtei hatte große Ländereien, Münz- und Fischereirechte; sie kontrollierte die Handelsstraßen entlang der Saone und profitierte vom regen Pilgerverkehr. Mitte des 13. Jahrhunderts jedoch fiel sie unter die Herrschaft der französische Krone, was ihren Niedergang einläutete. 1802 wurde sie zur Pfarrkirche – viel zu riesig für eine so kleine Stadt.

Von Alexander Brüggemann (KNA)