Die Lyrikerin Nora Gomringer: Mit Ironie ins Auge des Glaubenssturms
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"Jesus ist wie Schrödingers Katze" – also tot und doch nicht tot. Das fällt Nora Gomringer beim Blick auf das leere Grab Christi mit dem zur Seite gerollten Stein ein. Dieser Satz steht geradezu prototypisch für das Schreiben der 40-Jährigen Lyrikerin: Die katholische Verwurzelung scheint durch, die spirituelle Auseinandersetzung lässt sich erahnen – und gleichzeitig verleiht sie dem scheinbar schweren Thema Religion durch intertextuelle Bezüge und einen gehörigen Schuss Ironie eine vor allem von Autoren deutscher Sprache selten gekannte Leichtigkeit.
In ihrem neuen Band "Gottesanbieterin" versammelt Gomringer Texte, die das Übernatürliche berühren. Neben Leben, Tod und Familie projiziert die Autorin auch Erinnerungen an religiöse Rituale oder einen Besuch der Bruder-Klaus-Kapelle in Wachendorf auf die innere Netzhaut des Lesers. Es ist nach zahlreichen Gedichtbänden ihr erstes Buch, dass sich dezidiert mit dem Glauben befasst.
Die 40-Jährige ist ein introvertierter Mensch. Wer mit ihr spricht, sieht ihre Augen oft in die Ferne schweifen oder ein kaum wahrzunehmendes Lächeln kurz über ihre Gesichtszüge gleiten. Wenn es um den Glauben geht, merkt man ihr an, dass es ernst wird – schließlich ist sie bekennende Christin: "Ich glaube an Riten, die Geschichte der Kirche und kann viel Gutes in ihr finden." Eine regelmäßige Kirchgängerin oder engagierte Pfarreikatholikin ist sie allerdings nicht. Sie bezeichnet ihre Religiosität eher als "dem Alltag angepasst": Wer 180 Tage im Jahr auf Reisen sei, habe oft nur am Sonntag Zeit, mal zu sich zu kommen. Da habe der Gottesdienst nicht immer Platz. "Ich muss mir meine Religiosität nach meinem Gewissen machen und nach dem, wer ich bin."
"Wandeln" und "Wundern"
Diese Spiritualität merkt man ihren Texten an. Da spricht sie beim Gang über einen Friedhof von der "stillsten aller Feiern" unter den dort Begrabenen. In der Bruder-Klaus-Feldkapelle spürt sie, Teil eines "Wandelns" und "Wunderns" zu werden – "über dich hinaus". An anderer Stelle gibt sie auch dem Zweifel Raum:
"Es war ein Russe, der nach Gott befragt, einst sagte:
Ich war im All und hab da keinen alten Bart gesehen.
Unglücklich im Herzen, sage ich:
Ich war im Haus der Liebe, sie muss mich haben kommen sehen
und ist darum sehr schnell verschwunden."
So unumwunden von Religion zu reden, kommt nicht von ungefähr. Nach der Trennung ihrer Eltern lebt die Tochter des Lyriker Eugen Gomringer bei ihrer nun alleinerziehenden Mutter Nortrud – einer tiefgläubigen Katholikin, die sich aber wegen ihrer Lebenssituation aus der Kirche ausgeschlossen fühlt. Sie sei bei einer Trauernden aufgewachsen, beschreibt es Nora Gomringer. Sie hat bis heute zu ihren mittlerweile wieder zusammenlebenden Eltern Kontakt, das bekannte und umstrittene Gedicht "avenidas" ihre Vaters persifliert sie – und nutzt dafür die Worte "Gott", "Toast" und "Butter". Doch mit Blick auf ihre Familie hält sie auch fest:
"Man hat Familie und weiß nicht, wie nach allem fragen,
weil alles längst erklärt, einmal schon nicht verstanden wurde."
Aufgewachsen ist die gebürtige Saarländerin in der fränkischen Provinz bei Hof. In der Diaspora wird sie "selbstgemacht katholisch" und kämpft sich gegen einige Widerstände zum Dienst am Altar. Zudem liest sie in ihrer Kindheit laut aus der Bibel, um einen Sprachfehler zu beheben. Zum Buch der Bücher habe sie in der Hoffnung gegriffen, dass diese Lektüre von Gott wohl nicht sabotiert werden würde. Mit Erfolg, der Sprachfehler verschwindet. "Seitdem glaube ich auch ein bisschen an Wunder", gibt sie mit einem großen Schmunzeln zu.
Jede Lesung eine Kommunionveranstaltung
Dass man als Christin anders schreibt, glaubt sie zwar nicht. Doch sie macht ihren Glauben bewusst zum Thema, denn er sei eine "mitteilsame und mitteilbare Qualität meines Lebens". Deshalb will sie auch jede ihrer Lesungen "zu einer Kommunionveranstaltung werden lassen" – allerdings nicht in einem missionarischen Sinn. Sie möchte erreichen, dass sich die Anwesenden durch ihre Texte alle gemeinsam in einem Moment mit einer Sache beschäftigen – einer größeren Sache als sie selbst: "Fast wie im Kino."
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Dieses performative Verständnis von Texten und Literatur bringt Gomringer von den Bühnen Deutschlands mit. Im Alter von Anfang bis Mitte 20 war sie oft und gern gesehener Gast in der deutschen Poetry-Slam-Szene, brachte ihre Texte mit Witz und Leichtigkeit vor das Mikrofon. Schon ihre Mutter hatte ihr vorgelesen – für Gomringer ist diese Art der Vermittlung und Kommunikation bis heute ein zentraler Bestandteil des Literaturbetriebs. Sie spricht von einem Ritual: Der Text, die Vorleserin, das Publikum, alle gemeinsam in einem Raum – fast wie im Gottesdienst. Gleichzeitig findet sie auch Parallelen von ihr als lesender Autorin zur Rolle des Priesters: Sich als verwundbare Person vor ein Publikum stellen, sichtbar, ansprechbar und dem Urteil der Anwesenden ausgesetzt zu sein.
Tatsächlich bringt Gomringer durch ihre kirchliche Sozialisierung ein großes Gefühl für das Ritual mit – und kann es so brechen. "Eine kleine Variation in einem rituellen Ablauf hat die größte Wirkung", weiß sie. Sowohl bei ihren Performances als auch in ihren Texten greift sie mit zierlicher Finesse in altbekannte Strukturen ein. Bei ihr liebt Gott "Autos und das Fahren, fährt schon seit einer / nicht halbierten Ewigkeit immer um die Welt, / die ihn erschaffen." Außerdem hat Gott "beim Marketing auf keinen Fall geschlafen".
"Wenn der Scheue mutig wird, benutzt er Ironie"
Die Ironie hat sie von Heine abgeschaut, dessen Gedichte sie mit 16 Jahren auswendig lernte, um sich als Rezitatorin auf Hochzeiten und Beerdigungen etwas dazu zu verdienen. Und wie für Heine ist für Gomringer die Ironie auch ein Schutzraum, um Dinge anklingen zu lassen ohne sie auszusprechen. "Wenn der Scheue mutig wird, benutzt er Ironie", formuliert sie es. Mit dieser Ironie setzt sie ein Fragezeichen hinter Bilder, Bräuche und vermeintliche Gewissheiten, hinterfragt sie ohne sie abzutun. Mit diesem Mittel zieht sie aber auch Verbindungslinien – etwa zwischen Gebeten und Gedichten. "Viele Gedichte können Gebete sein, aber nicht alle Gebete sind Gedichte." Sie montiert klar erkennbare Gebete in ein Gedicht, hält sich von festen Formen aber sonst bewusst fern. So will sie auch weniger religiöse Leser erreichen.
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Dabei ist ihr wichtig, dass Religion eine bewusste Rolle spielt und nicht zum Requisit wird. "Dafür ist sie zu ernst", sagt sie. Denn ihr eigenes Bekenntnis trifft im Kulturbetrieb immer wieder auf Ablehnung und verursacht Irritationen. Als sie zusagte, Mitglied im Plenum des Synodalen Wegs zu werden, kostete sie das zwei Freundschaften. Viele Menschen in ihrer Generation seien ohne ein positives Verhältnis zur Religion aufgewachsen, erzählt sie. Wenn sie sich als Christin "oute", sehe sie in den Gesichtern der anderen den Vorwurf, sie arbeite "mit einer beinahe räuberischen Organisation" zusammen. Viele Festivalmacher oder Autoren wollten mit Religion nichts zu tun haben – ein Unding, findet sie. "Was ist mit Literatur aus Afrika oder Südamerika? Die ist tief vom Glauben durchdrungen. Die können wir nicht ausschließen." Auf der anderen Seite ist sie für manchen Kirchenmann dann doch eine sehr weltliche Frau. Bis zur Firmung hat sie es geschafft – die nächsten Sakramente werden aber auf sich warten lassen. Sie lebt in wilder Ehe, Trauung oder Taufe eines Kindes stehen nicht auf ihrem Lebensplan.
In den Synodalen Weg hat sie sich trotzdem gesetzt – auch wegen der Gegenwehr, die sie erfahren hat. Als schweigend und anteilnehmend beschreibt sie sich bei dem Treffen in Frankfurt. Im Auge des Sturms der Kirchenpolitik hat sie die Teilnehmer als bewusst zuhörend wahrgenommen – und ihre Berufung in das Gremium als Ehre und Vertrauensbeweis.
Nichts desto weniger nimmt sie sich selbst im Glauben wie in der Literatur als eine Isolierte wahr. Die Lyrik sei eine "uralte, sehr stabile, festgefügte Nische" – oft weitab von der großen Aufmerksamkeit oder umfänglichen Förderbudgets. Ähnliches gilt für die Religion. In die Schemata der verfassten Kirche mag sie nicht so recht passen, vielmehr ist sie auf einer persönlichen Suche nach Gott. Mit Jesus könne sie nicht so viel anfangen, der Zugang zum Höchsten interessiere sie mehr, sagt sie. Gleichzeitig habe sie stets Partner gehabt, die mit Religion nichts zu tun hatten. Also macht sie ihren Glauben mit sich selbst aus. Doch darüber müsse man sich nicht beklagen, findet sie. Der intellektuelle Konflikt gefalle ihr, auch zu Hause: "Es ist gut, jemanden zu haben, der spricht wie die Welt. Ich spreche wie eine Illustration in meiner Kinderbibel."