Mehr als fünf Jahre arbeitete er an dem Werk

Wie ein Diakon die Sixtinische Kapelle in seiner Heimat nachmalte

Veröffentlicht am 29.02.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Goring-by-Sea ‐ Die Sixtinische Kapelle gibt es nur in Rom? Nicht ganz. Ein Diakon hat das bekannte Deckengemälde Michelangelos in seiner Heimatkirche nachgemalt – und Einsatz wie Zeit investiert. Für ihn ein besonderer Dienst, der über das Künstlerische hinausgeht.

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Nach der Rückkehr erscheint die eigene Kirche dann doch etwas trist: "Wie ein Flugzeug-Hangar" habe das Gotteshaus ausgesehen, erzählt Gary Bevans in einem Erinnerungsfilm. Der Ständige Diakon aus dem südenglischen Goring-by-Sea kommt in den 1980er Jahren gerade von einer Pilgerfahrt nach Rom wieder, während der ihn besonders die ab 1508 von Michelangelo Buonarroti ausgemalte Decke der Sixtinischen Kapelle beeindruckt hatte. "So sollten alle Kirchen aussehen", findet der von der Renaissance begeisterte Diakon. Beim Anblick der weißen, gewölbten Decke seiner Heimatkirche, der "English Martyrs' Catholic Church" in Goring, kommt ihm dann eine Idee: Die Sixtina nach Sussex holen. Denn das gewölbte Dach in England hat ähnliche Dimensionen wie die Kirche in Rom.

Die Malerei ist für den umtriebigen Diakon bis zu diesem Zeitpunkt eine Freizeitbeschäftigung. Er ist ausgebildeter Schildermaler, eine Kunstschule hat er nie besucht. Die Alten Meister und die künstlerische Malerei sind sein Hobby. Trotz fehlendem professionellen Trainings will er sich an dem Großprojekt versuchen, Michelangelos Werk in einem Verhältnis 1:1,5 zu kopieren. Schnell wendet er sich mit der Idee an seinen Pfarrer. Nach Rücksprache mit dem Bischof darf Bevans 1987 beginnen.

Zunächst hat er den Plan, die Ausmalung zu Hause auf Platten zu malen, die dann in der Kirche angebracht werden. Doch das schlägt fehl. Deshalb arbeitet er bald vor Ort. Mit ein paar Helfern baut er sich – fast wie sein künstlerisches Vorbild 500 Jahre zuvor – ein mobiles Podest in die Kirche, auf dem eine kleine Werkstatt mit Pinseln, Farben und einigem mehr Platz findet. Die Arbeit fordert ihn vor allem am Anfang heraus. In der ersten Zeit kann er oft kaum länger als 20 Minuten am Stück arbeiten, so schwierig ist das Malen mit gestauchtem Nacken. Schmerzen hat er aber nach eigenen Angaben nie. Nach und nach kann er länger am Stück an seinem Wandbild arbeiten. Mithilfe vieler Bildbände studiert er die Werke und versucht, dem Original so nah wie möglich zu kommen.

Leuchtende Farben

Doch das Original verändert sich in dieser Zeit. Ab 1982 werden die Gemälde in Rom restauriert und Jahrhunderte aus Schmutz und Ruß entfernt. Darunter kommt eine bis dahin nicht gekannte leuchtende Farbigkeit der Renaissancemalereien zum Vorschein. Bevans nimmt sich das zu Herzen und überarbeitet seine Version: Auch hier sollen die Farben schillern wie vor 500 Jahren.

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Unermüdlich arbeitet der Diakon an seinem Projekt – ausschließlich in seiner Freizeit, ehrenamtlich und neben dem Familienleben: Er versteht sein Wirken als Gottesdienst. Alle drei Monate baut er sein Podest ab und zieht einige Meter weiter, um sich an den nächsten Abschnitt der Ausmalung zu machen. Dabei übernimmt er aus der Sixtina nicht nur die Ausmalung, sondern auch Architekturmerkmale. Denn im Gegensatz zum Original ist das Gebäude in Sussex kein italienisches Renaissancewerk aus dem 15. Jahrhundert, sondern ein schlichter Zweckbau des 20. Jahrhunderts. Deshalb bannt Bevans auch die Stuckverzierungen und Fenster mitsamt Bleiglas an die Wand.

Obwohl er das Original so gut wie möglich treffen will – ein paar Freiheiten erlaubt sich der Künstler doch. So bessert er Fehlstellen, die die Zeit an der Sixtina geschaffen hat, in seiner Fassung aus. Zudem baut er unter anderem das Wappen des damaligen Papstes Johannes Paul II. in das Bild ein. Denn schließlich ist die Idee ja bei einem Rombesuch während dessen Pontifikats entstanden. Im Laufe von fünfeinhalb Jahren entstehen so zwischen 300 und 400 Figuren – Bevans Liebling ist dabei die Darstellung des Propheten Joel.

Großes Interesse

Was der Diakon da in mühevoller Kleinarbeit macht, trifft im Ort auf viel Unterstützung und frohe Erwartung, erzählt der Künstler. Auch abseits des 8.000-Seelen-Ortes sorgt das Projekt für Aufsehen: Von nah und fern kommen Journalisten und Interessierte, um den Entstehungsprozess zu verfolgen. Buddhistische Mönche, ein orthodoxer Bischof, Gläubige wie Nichtgläubige sind darunter. Bevans freut vor allem, wenn wegen ihm Fernstehende wieder eine Kirche besuchen, mit ihm ins Gespräch kommen – und zum Teil sogar zum Glauben zurückfinden.

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Für ihn persönlich hat das Malen eine große spirituelle Dimension: "Mein eigener Glaube und meine Liebe zur Kirche haben sich vertieft und sind gewachsen", sagt er. Er hört bei der Arbeit gregorianische Choräle oder inspirierende Texte. Das Gebet ist sein ständiger Begleiter. "Ich tue das alles zur Ehre Gottes."

Am 5. November 1993 ist es dann so weit: In einem feierlichen Gottesdienst – zu dem sogar der Bischof kommt – wird die Vollendung der Ausmalung gefeiert. Für Bevans ein erhebender Moment, schließlich lässt ihm Papst Johannes Paul II. zu diesem Anlass auch den Orden "Pro Ecclesia et Pontifice" zukommen. Doch es endet auch ein Abschnitt seines Lebens: Die mobile Werkstatt gibt es nicht mehr.

Nach der zweiten Sixtina hätte er viele Aufträge aus aller Welt annehmen können, ähnliche Projekte anderswo anzugehen. Doch er lehnt ab. "Ich kehre zu meinem bescheidenen Leben mit meiner Familie zurück", sagt er. Bis heute arbeitet der Diakon in seiner Heimatgemeinde. Die Malerei hat ihn aber nicht losgelassen: Ikonen, Porträts und Landschaftsbilder aus seiner Hand kann man bei ihm bestellen oder in Auftrag geben. Sein großes Werk hat dabei aber nichts von seiner Anziehungskraft verloren: Jahr für Jahr kommen Tausende Menschen nach Sussex, um sich die zweite Sixtina einmal aus der Nähe anzusehen.

Von Christoph Paul Hartmann