Vor 20 Jahren sprach Johannes Paul II. seine historische Vergebungsbitte

Als der Papst die Schuld aus 2.000 Jahren Kirchengeschichte eingestand

Veröffentlicht am 12.03.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Es war eine der bildhaftesten Initiativen des Papstes zur Jahrtausendwende: Mit einem "Mea culpa" bat Johannes Paul II. am 12. März 2000 um Vergebung für Versäumnisse der Kirche und Fehler ihrer Gläubigen. Dafür gab es jedoch auch viel Kritik.

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Es war ein schlichtes Fürbittgebet, aber es war einer der Höhepunkte des Heiligen Jahres 2000. In einem nüchternen Zeremoniell sprach Papst Johannes Paul II. zu Beginn der Fastenzeit ein Schuldbekenntnis und eine Vergebungsbitte für Sünden von Katholiken in der Geschichte. Im Namen der Kirche entschuldigte er sich vor Gott für Fehlleistungen von Gläubigen gegen Toleranz, Ökumene, gegen Frieden und Menschenrechte, gegen die Würde der Frau.

Besonders eindringlich war das Schuldbekenntnis im Verhältnis zu den Juden: "Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes.

Katholiken hätten allzu oft der "Logik der Gewalt" nachgegeben

Es war eine große prophetische Geste des Papstes und ein bedeutsamer Akt der Kirche am Beginn des dritten Jahrtausends. Die Vergebungsbitte war kein Tribunal, keine große Abrechnung mit einzelnen Personen, Gruppen oder Ideen. Es fiel kein Name, es gab keinen Hinweis auf Inquisition, Hexenverbrennung, Kreuzzüge oder Galilei.

Der Papst und sieben Kurienkardinäle – unter ihnen Joseph Ratzinger von der Glaubenskongregation und der langjährige "Krisenminister" Roger Etchegaray – sprachen grundsätzlich von "Methoden der Intoleranz", zu denen Gläubige beim Einsatz für die Wahrheit griffen. Sie beklagten, dass Katholiken statt der von Gott gewünschten Einheit Gegensätze und Spaltungen geschaffen hätten. Dass sie allzu oft der "Logik der Gewalt" nachgegeben, Stämme und Völker diskriminiert, ihre Kulturen und religiösen Traditionen verachtet und ihre Rechte verletzt hätten. Sie riefen zu Versöhnung, Reue, Umkehr und Neuanfang auf.

Bild: ©KNA (Archivbild)

Mit einer Bußprozession durch die Heilige Pforte im Petersdom begann Papst Johannes Paul II. am 12. März 2000 die Zeremonie, die in die Geschichte eingehen sollte.

Die Zeremonie begann mit einer Bußprozession durch die Heilige Pforte und einem Gebet an der Pieta Michelangelos. Der fast 80-jährige, von Krankheit gezeichnete Papst ließ sich auf einer fahrbaren Plattform schieben. Die siebenteilige Vergebungsbitte erfolgte vor einem alten Holzkruzifix. Die Kurienvertreter trugen die Fehler vor, der Papst schloss eine Vergebungsbitte mit einem Besserungsgelöbnis an.

Nach jeder Fürbitte ertönte der Bittruf "Kyrie eleison"; dabei wurde vor dem Kreuz ein Licht entzündet. Am Ende des Gebets umarmte und küsste der Papst das Kruzifix zum Zeichen der Reue. In seiner Predigt stellte Johannes Paul II. klar: Auch wo man nicht persönliche Verantwortung trage, "tragen wir in uns" aufgrund der Verbundenheit der Christen im mystischen Leib Christi "die Last der Irrtümer und Schuld der Vorfahren".

"Tag der Vergebung" markiete Übergang "vom Absolutismus zur Demut"

Das "Mea culpa" galt als revolutionär. Kirchenleute und Medien lobten den Mut des Papstes, der in einer "demütigen, nichts fordernden, einseitigen Geste um Vergebung" bat. Der "Tag der Vergebung" markiere den "endgültigen Übergang vom Triumphalismus zum Nachdenken, vom Absolutismus zur Demut".

Aber es gab auch Bedenken gegen die Initiative, die der Papst schon 1994 ins Gespräch gebracht hatte. Man könne kirchliches Handeln früherer Epochen nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen, meinten Kritiker. Fremde Sünden könne man nicht bereuen; man dürfe sich nicht zum Richter über frühere Gläubige aufschwingen. Man könne nicht anderen an die Brust schlagen, die längst tot sind. Zudem wäre ein solches Schuldbekenntnis möglichen Missdeutungen und Manipulationen ausgesetzt. Ein reuiger Papst könnte Christen in islamischen Ländern angreifbar machen.

Gläubige an der Klagemauer in Jerusalem.
Bild: ©picture alliance / Bildagentur Huber (Archivbild)

Den Text seiner Vergebungsbitte schob Papst Johannes Paul II. bei einer Pilgerreise in eine Spalte der Klagemauer in Jerusalem.

Vor allem aber bleibe die Frage, wie man zwischen den Verfehlungen einzelner Menschen und der Heiligkeit der Kirche klar unterscheiden könne, hieß es. Auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, die Kirche gestehe mit dem "Mea culpa" eine Fehlbarkeit ihrer Lehrentscheidungen ein.

Der Vatikan schaltete Experten ein; Theologen aus aller Welt berieten über Chancen und Risiken eines solchen Bußakts. Zu besonders komplexen Themen wie Inquisition oder Judenverfolgung wurden hochkarätige Fachtagungen zusammengerufen. Zuletzt prüfte die Internationale Theologenkommission in einem 40-seitigen Grundsatzpapier ("Erinnern und Versöhnen"), warum und in welcher Form die Kirche um Vergebung für vergangene Verfehlungen bitten könne.

Vergebungsbitte solle Beginn der eigenen Bekehrung für die heutigen Christen sein

Schließlich gaben die Theologen unter Ratzinger Grünes Licht: Die Vergebungsbitte stärke die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Welt. Sie sei kein "Tribunal über die Sünden der Vergangenheit", sondern sollte der Beginn der eigenen Bekehrung für die heutigen Christen sein. Freilich müsse neben der objektiven Schuld auch das viele Gute gesehen werden, das Gott durch die Kirche in 2.000 Jahren gewirkt habe.

Eine Fortsetzung und konkrete Umsetzung erfuhr der "Tag des Vergebens" genau zwei Wochen später – in Jerusalem. Zum Abschluss seiner Pilgerreise schob Johannes Paul II. an der Klagemauer den Text seiner Vergebungsbitte in eine Spalte zwischen den antiken Steinquadern.

Von Johannes Schidelko (KNA)