Warum Josef im Heiligen Land nur wenig verehrt wird
Der Lackmustest für Bibelfestigkeit besteht für manche darin, einmal aufzuzählen, wie viele Worte vom heiligen Josef überliefert sind. Eigentlich ist dieser Test ganz leicht zu bewältigen, dann tatsächlich sind vom heiligen Josef überhaupt keine Worte überliefert. Kein einziges Wort von ihm findet sich in der Überlieferung der kanonischen Evangelien. Freilich ist auch sein sonstiges Auftreten eher dezent: Überhaupt kommt er ja nur bei Matthäus und Lukas vor und selbst dort nur in der anfänglichen Kindheitserzählung. Für das restliche Leben Jesu scheint Josef keine große Rolle mehr zu spielen. Ob man daher annehmen darf, er sei schon sehr früh verstorben, ist bloße Spekulation.
Man kann die Frage aus dem Bibeltest übrigens auch anders formulieren: "Zählen Sie einmal auf, wie viele Orte ihnen im Heiligen Land einfallen, die mit dem heiligen Josef in Verbindung stehen!" Tatsächlich stellt sich auch hier sehr schnell Ernüchterung ein. Denn die Vielzahl an heiligen Stätten, die in irgendeiner Verbindung mit Josef stünden, gibt es nicht. Eigentlich kann man sie sehr gut an einer Hand abzählen. Und das ist durchaus erstaunlich. Immerhin ist Josef nicht eine beliebige Nebenfigur der Jesusgeschichte. Josef war, so wird es übereinstimmend überliefert, der Verlobte Mariens, vermutlich hat er sie später auch offiziell geheiratet. Maria wohnte mit Josef zusammen in Nazareth, auch Jesus ist in diesem Haushalt großgeworden. Auch wenn die Überlieferung der Evangelien durchaus mager ausfällt, hat Josef als Ziehvater für das Leben Jesu doch eine bedeutende Rolle gespielt. Nicht zuletzt auch seine besondere Beziehung zu Maria, mit der er nicht nur nach Betlehem reiste und die Widrigkeiten der Geburt durchstand, zeichnen Josef aus. Als Bauhandwerker war er auch für den Unterhalt der kleinen Familie zuständig. Aufgrund seiner besonderen Nähe zu Jesus nimmt Josef einen herausragenden Rang unter den Heiligen ein.
Verehrt werden andere
Umso mehr erstaunt es, dass Josef im Blick auf die Pilgerstätten im Heiligen Land durchaus schlecht wegkommt. Um seine Person haben sich keine Erinnerungsorte entwickelt, wie das zum Beispiel bei Maria der Fall war: Angefangen vom Haus ihrer Eltern Joachim und Anna bis hin zu ihrem Sterbe- und Begräbnisort gibt es eine reiche Vielfalt an Erinnerungsorten. Und auch im Hinblick auf weit unbedeutendere Persönlichkeiten der Heilsgeschichte hat es Josef wohl am schlechtesten erwischt. Sogar das mutmaßliche Grab des Jitro, der als Schwiegervater des Mose nur als Randgestalt im Exodusbuch auftritt, wird bis heute im Dorf Hittin am See Genesareth von den Drusen hoch verehrt.
Ob der Mangel an Josefs-Heiligtümern mit seiner zögernden Verehrung in der Frühzeit der noch jungen Kirche zusammenhängt, ist ungewiss. Zumindest in der Westkirche begann die Verehrung des heiligen Josef erst im neunten Jahrhundert, in der Ostkirche dagegen ist sie schon weit eher bezeugt. Jedenfalls darf nicht vorschnell von einer gesamtkirchlichen Praxis auf Herausbildung heiliger Orte im Heiligen Land geschlossen werden. Die Schlussfolgerung müsste entsprechend lauten, weil Josef erst sehr spät in der Kirche als herausragender Heiliger verehrt wurde, gibt es auch keine antiken Gedächtnisorte im Heiligen Land die seiner gedenken. Doch spätestens mit den Kreuzfahrern hätte die Josefs-Verehrung im Heiligen Land zunehmen müssen, da auch in der Kreuzfahrerzeit noch Kirchen an bedeutenden Wallfahrtsorten erbaut worden sind. Beispielhaft hierfür stehen die Basilika Sankt Anna nahe des Löwentors in Jerusalem oder die Kirchen auf dem Berg Tabor, welche an die Verklärung Jesu erinnern.
Wer Josef nun dennoch im Heiligen Land auf die Spur kommen möchte, der sollte damit am Besten in Nazareth beginnen. Hier hat Josef gemäß der Kindheitsgeschichte bei Lukas zusammen mit seiner Verlobten Maria gewohnt. Sehr prominent erinnert die mächtige Verkündigungsbasilika daran, wie der Engel Gabriel Maria die Botschaft brachte, sie solle den Sohn Gottes empfangen. In der Unterkirche der Basilika wird daher auch eine Felsgrotte gezeigt, in der sich die Verkündigung zugetragen haben soll. Eine Inschrift an einem Altar drückt dies so aus: "Verbum caro hic factum est – Hier ist das Wort Fleisch geworden". Der Ort der Verkündigung ist natürlich nicht nur mit Maria, sondern auch mit Josef verbunden. Immerhin haben wohl beide hier zusammen gelebt. Auch wenn das Andenken an den heiligen Josef hier nicht explizit gepflegt wird, ist man ihm hier doch zumindest ziemlich nahe.
Wohl auch deshalb wurde schon in Kreuzfahrerzeit eine zweite Kirche in Nazareth errichtet, die noch heute ausdrücklich dem heiligen Josef geweiht ist. Sie befindet sich nur unweit der Verkündigungsbasilika und wurde in den Jahren 1911 bis 1914 von Franziskanern auf den Fundamenten der Kreuzfahrerkirche erbaut. Sehr wahrscheinlich ist, dass es schon eine sehr alte Josefstradition in Nazareth gab, die bereits von den frühen Christen gepflegt worden ist. Schon der Pilgerreisende Arkulf berichtet um 680 von einer Kirche in Nazareth, die jenen Ort markiert, an dem "einst unser Herr und Erlöser aufgezogen wurde." Ob diese jedoch schon an der Stelle der heutigen Josefskirche stand, ist ungewiss. In der Kirche jedenfalls kann man in eine Krypta hinabsteigen, in der sich Überreste von einem alten, judenchristlichen Taufbecken befinden. Noch ein Stockwerk tiefer trifft man auf Grotten und Zisternen, die im antiken Nazareth zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt wurden. Ob sich hier wirklich die Werkstatt des heiligen Josef befand, wie oft vorgegeben wird, ist freilich höchst ungewiss. Dennoch weist die Kirche auf eine sehr alte Josefstradition hin, die hier in Nazareth vielleicht schon in urchristlicher Zeit beheimatet war.
Das Grab des heiligen Josefs?
Eine zweite Spur führt – und wie sollte es auch anders sein – nach Betlehem. Auch hier befindet man sich, zumindest nach dem Bericht des Evangelisten Lukas, auf sicherem Boden, wenn man die Fährte des heiligen Josef verfolgt. Dass Josef aus dem Haus David stammte ist bei Lukas und Matthäus bezeugt, ob Josef jedoch noch verwandtschaftliche Beziehungen in die alte Davidsstadt Betlehem hatte, bleibt im Dunkeln. Die Geburt Jesu, bei der Josef anwesend war, hat sich jedenfalls dem lukanischen Weihnachtsevangelium zufolge hier zugetragen. Doch auch in der Geburtsbasilika findet man keinen expliziten Hinweis auf Josef. Eine kleine Erinnerung an ihn bewahrt die sogenannte "Milchgrotte", die sich in einer der kleinen Gassen Betlehems nur unweit der Geburtskirche befindet. Die Legende besagt, Maria habe sich hier vor den Soldaten des Herodes versteckt. Josef habe sie gedrängt, noch schnell das Kind zu stillen, bevor sie die Flucht vor dem grausamen Klientelkönig ergreifen müssten. Dabei sei ein Tropfen Muttermilch auf einen Stein gefallen, der sich weiß färbte. Die heilige Stätte ist jedenfalls seit langer Zeit hochverehrt, bereits im siebten Jahrhundert sind Reliquien des Steins in Spanien nachgewiesen.
Die dritte und letzte Spur führt wieder nach Nazareth zurück, hier schließt sich der Lebenskreis des Josef. Unweit der Verkündigungsbasilika befindet sich ein Gästehaus, das von den Sisters of Nazareth betrieben wird. Im 19. Jahrhundert fand man eine Grabanlage, die wohl aus der Zeit Jesu stammte. Beim Kauf des Hauses hieß es im Volksmund das "Haus des Gerechten"; im Laufe der Zeit hat sich der Name vor allem mit dem Grab verbunden. Da es im Matthäusevangelium heißt, Josef sei gerecht gewesen und habe Maria durch eine Auflösung der Verlobung nicht bloßstellen wollen, hat man dieses Grab mit Josef in Verbindung gebracht. Obwohl eine Identifikation natürlich unmöglich ist, ist es doch ein schöner Ort, um dem Leben und Sterben des heiligen Josef zu gedenken.