Nach Kritik der Allgemeinen Rabbinerkonferenz an Herder-Bibel-Sonderheft

Rabbiner Homolka: Enteignung der Bibel kommt immer wieder vor

Veröffentlicht am 25.05.2020 um 13:08 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg/Potsdam ‐ Dass im Bibel-Sonderheft der "Herder Korrespondenz" keine jüdische Stimmte vorkam, löste Proteste der Rabbinerkonferenz aus. Die Bibel werde immer wieder von Christen vereinnahmt, sagt Walter Homolka – und ruft zum Dialog zwischen den Religionen auf.

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Der Rabbiner Walter Homolka hat die christliche Vereinnahmung der Bibel kritisiert. Wenn in einem Sonderheft zur Bibel christliche Theologen über die Hebräische Bibel sprächen, "ohne dass wir Juden selbst zu Wort kommen, empfinde ich das im Sinne der postkolonialen Theorie als Enterbung", sagte Homolka in einem Interview in der Juni-Ausgabe der "Herder Korrespondenz". Darin nimmt er Bezug auf die Kritik der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) am Bibel-Sonderheft der Zeitschrift. Die ARK monierte Ende April, dass im Heft "Die Bibel – Der unbekannte Beststeller" keine jüdische Stimme vorgekommen war. 

"Die christliche Bibel besteht zu vielleicht 70 Prozent aus dem Alten Testament, also der Hebräischen Bibel, dem Tanach. Dies ist der heilige Text für uns Juden und war auch der heilige Text, auf den sich die ersten Christen bezogen haben", so HomolkaDie Redaktion hätte daher sensibel sein und die Deutungshoheit des Judentums beachten müssen, wenn es um die hebräische Bibel gehe. "Diese Art der Enteignung kommt immer wieder vor." Über Jahrhunderte hinweg sei das Verhältnis des Christentums zum Judentum von Inbesitznahme und Entwertung des heiligen Textes der Juden geprägt gewesenDie Judenfeindschaft innerhalb des Christentums sei heute weitgehend dem Bemühen um Verstehen gewichen. "Aus meiner Erfahrung ist der Annäherungsprozess zwischen Juden und Christen aber kein einmaliger Vorgang, sondern ein immerwährender Prozess", so der Rabbiner. 

Jüdische Theologie müsse sichtbarer werden

Außerdem sei christliche Theologie in Deutschland "oft sehr insular", der Austausch mit jüdischer Theologie könne intensiver sein"Christlicherseits nutzt man lieber die ausgetretenen Pfade, anstatt Neuland zu betreten." Aber auch jüdische Theologen seien dabei gefordert, so Homolka. "In der Tat muss sich auch bei jüdischen Theologinnen und Theologen mehr und mehr noch das Bewusstsein durchsetzen, dass öffentliche Wirksamkeit nur durch Debatte und Beiträge zu erlangen ist", sagte er. "Es ist sicher richtig, das muss ich der Herder Korrespondenz zugutehalten, dass es nicht so einfach ist, jüdische Autoren zu finden." Man brauche mehr Sichtbarkeit der jüdischen Theologie. "Immerhin stehen über 700 christliche theologische Lehrstühle mit oft jahrhundertealter Tradition in Deutschland unseren fünf jüdischen Theologie-Professuren gegenüber. Wir werden also noch große Anstrengungen unternehmen müssen, um unseren Aufgaben innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und im Austausch mit anderen Religionsgemeinschaften gerecht werden zu können."  

Homolka forderte auch, sich aus jüdischer Perspektive mit Jesus zu beschäftigen. Christen müssten sich immer wieder vor Augen führen, dass Jesu Gedanken nur innerhalb eines jüdischen Kontexts richtig gedeutet werden könnten und "dass er keine eigene Religion stiften wollte. Schon gar nicht eine, die dann die Triebfeder geworden ist für eine Jahrhunderte währende Herabwürdigung, Demütigung und Entwertung des jüdischen Glaubens – der doch auch der Glaube Jesu war", so der Rabbiner.  

Walter Homolka war Landesrabbiner von Niedersachen und ist Universitätsprofessor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit. Außerdem ist er geschäftsführender Direktor der School of Jewish Theology der Universität Potsdam. (cbr)