Abt von Dormitio: Werden dieses Jahr wie die Apostel Pfingsten feiern
Erstmals erwähnte Kyrill von Jerusalem um 348 n.Chr. eine kleine Kirche auf dem heute südwestlich an die Altstadt angrenzenden christlichen Berg Zion. Hier hatten sich die Apostel versammelt und dem Pfingstereignis gedacht. Heute steht hier die Benediktinerabtei Dormitio. Bis heute ist es der Ort, an dem die lokale Kirche Jerusalems mit einer bunten Schar von Pilgern aus aller Welt die Ausgießung des Heiligen Geistes feiert. Jedes Jahr zelebriert der Lateinische Patriarch oder – wie in letzter Zeit – der Apostolische Administrator Erzbischof Pierbattista Pizzaballa an Pfingsten die Heilige Messe bei den deutschsprachigen Benediktinermönchen, die in einem Rosenblütenregen und einem Fest endet. Doch in Zeiten der weltweiten Pandemie wird Pfingsten auch am Entstehungsort des Christentums anders gefeiert. Katholisch.de hat mit dem Abt von Dormitio gesprochen.
Frage: Abt Bernhard Maria Alter, wie werden Sie und Ihr Konvent dieses Jahr das Pfingstfest auf dem Zion feiern?
Alter: Wir werden wie die ersten Apostel hinter verschlossenen Türen sein. Das Coronavirus und die sich daraus ergebenden Einschränkungen führen dazu, dass keine Pilger ins Land kommen können und selbst für die Christen vor Ort unsere Türen dieses Jahr geschlossen bleiben müssen. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich liebe jedes Jahr die Atmosphäre einer großen Völkerwallfahrt am Pfingstsonntag in unsere Abteikirche. Es ist immer ein großes Fest des Glaubens. Aber ich sage ganz ehrlich, dass wir dieses Jahr hinter verschlossenen Türen feiern müssen, ist nicht tragisch, sondern es erinnert uns an die Anfänge des Christentums. Wir werden wie die Apostel "im Gebet verharren" und um die Gaben des Heiligen Geistes für die ganze Kirche bitten. Aus der Kraft unseres Glaubens, stellvertretend für die Pilger und Gläubigen, die nicht kommen dürfen, rufen wir: "Veni, Sancte Spiritus" – "Komm Heiliger Geist"! Und nach dem Pfingstfest werden wir gestärkt durch die verschlossenen Türen wieder herausgehen.
Frage: Welche Bedeutung hat es für Sie, an dem Ort zu leben und zu beten, an dem die Tradition das Pfingstereignis verortet?
Alter: In den letzten Wochen ist es sehr leise geworden hier auf dem Berg Zion. Uns fehlen die vielen unterschiedlichen christlichen Pilgergruppen, die den Abendmahlsaal und unsere Kirche besuchen. Denn durch sie erlebten wir täglich die Bedeutung von Pfingsten. Es sind vor allem die kraftvollen, freudigen Gesänge orthodoxer Pilger, charismatischer Gruppen, von Pilgern aus Lateinamerika und Afrika oder freikirchlichen Gruppen, die auch in ihrer Lautstärke das Pfingsterlebnis erfahrbar werden lassen. Nirgendwo, auch nicht in Rom, erlebt man die frohe Vielfalt des Christentums so wie hier, wo die Kirche entstanden ist. Die Freude der Pilgergruppen, die den Herkunftsort des Christentums besuchen, ist eine besondere Verkündigung des Evangeliums. So ist der Berg Zion für mich ein Hoffnungsort der erneuten Aussendung zur Verkündigung der frohen Botschaft.
Frage: Ist also das Pfingstfest für Sie auch der Ruf nach Erneuerung in der Kirche?
Alter: Besonders in Europa, wo das Evangelium oft nicht mehr im Zentrum des Lebens steht, ist Pfingsten nun eine Zeit des Rufens um den Beistand des Heiligen Geistes. Wir leben in einer Zeit, in der das geistliche Leben zunehmend verschwindet. Der Heilige Geist ist nur noch die unbekannteste Person der Dreifaltigkeit – doch die Beziehung Gottes des Vaters zu Gott dem Sohn drückt sich gerade im Heiligen Geist aus, der die Kirche begeistert. Besonders heute bedürfen wir des Heiligen Geistes in unserer Verkündigung! Ich erinnere nur an die Pfingstpredigt des Petrus. In der Apostelgeschichte heißt es, dass er durch wenige Worte die Zuhörer doch "mitten ins Herz traf". Wie kann heute ein Jünger Jesu eine solche Überzeugungskraft haben, um Andere für Christus zu gewinnen, um sie zum Nachdenken zu bringen? Ich denke jetzt ist die Zeit des Heiligen Geistes. Wir müssen in der Kraft des Heiligen Geistes wirken.
Frage: Was bedeutet das konkret?
Alter: Der Apostel Paulus schreibt im Brief an die Römer, dass der Heilige Geist in uns und für uns betet, "der Geist selber tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern". Wir müssen ihn in unserer Welt zur Sprache bringen und zu seinem Resonanzkörper werden. Und das können wir, weil eine der Früchte des Heiligen Geistes ein Leben ohne Furcht ist – das Gute aus Liebe zu Christus tun, ganz natürlich, wie von selbst, aus Freude am Guten. Ein für mich bedeutendes Gebet stammt vom großen Kirchenlehrer Augustinus: "Atme in mir Heiliger Geist!" Der Heilige Geist ist der Leben schenkende Atem von uns Christen und der Kirche. Wunderbar ist das ins Bild gebracht in einer besonders im russischen Kulturkreis weitverbreiteten mystagogischen Karsamstagsikone. Sie trägt den Titel "Weine nicht über mich, oh Mutter. Ich werde leben!". Das sind die Worte Christi zu Maria, und man sieht ihn nach der Abnahme vom Kreuz im Grab stehen, ganz eng an seine Mutter angelehnt – fast so als ob sie ihm eine Mund-zu-Mund-Beatmung schenkt. In dieser Ikone ist Maria die Trägerin des Glaubens der Kirche und sie gibt ihrem Sohn nochmals den Atem des Lebens, so wie sie ihm das Leben in Bethlehem geschenkt hat. Der Glaube der Kirche ist der Weg zur Erfahrung des Heiligen Geistes.
Frage: Welche Rolle spielt der Heilige Geist in Ihrem Leben als Benediktinermönche?
Alter: Der Heilige Benedikt schreibt nur zweimal in seiner Regel über den Heiligen Geist – im 7. Kapitel "Über die Demut" und im 49. Kapitel "Über die Beobachtung der Fastenzeit". Allerdings sind diese Stellen von außerordentlicher Tragweite. Die erste Stelle, der Schluss des Demutskapitels, macht deutlich, dass das Ziel des Demutsweges die Geist-Erfahrung ist. Benedikt steht in einer alten Tradition, die von Makarios dem Ägypter bis hin zu Seraphim von Sarov reicht. Der Weg des Mönchs ist der Weg vom Kreuzträger zum Geistträger, wobei er als Geistträger auch immer Kreuzträger bleibt. Ein Logion aus der Märtyrerzeit lautete: "Gib Blut und empfange Geist!" Benedikt würde sagen: "Bringe dich selbst ganz ein in der Hingabe, um den Geist zu empfangen." Im 49. Kapitel fordert der Heilige Benedikt den Mönch dann dazu auf, in der Fastenzeit "über das ihm zugewiesene Maß hinaus in der Freude des Heiligen Geistes etwas als Opfer darzubringen". Die "Freude des Heiligen Geistes" ist zitiert nach 1 Thessalonicher 1,6, wo Paulus diese Freude der Betrübnis gegenüberstellt: "Ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt." Und dies ist eine Freude, die sich am Ostergeheimnis ausrichtet. Ich verstehe das Mönchsein als ein ständiges Suchen nach Gott, als ein Einüben in diese demütige Haltung Christi, die dann zur Glaubensfreude durch den Heiligen Geist führt.
Frage: Also führt der Weg zum Heiligen Geist ins Kloster?
Alter: In der Entwicklung des Christentums waren die Mönche die ersten Missionare. Klöster waren und sind der geistliche Ankerpunkt der Kirche. Zum Beispiel wirkten die Wüstenväter und Eremiten nicht nur durch einzelne Taten missionarisch, sondern durch ihr geistliches Leben. Das Mönchstum und damit die Klöster sind Keimzellen des spirituellen Lebens – man könnte auch sagen: Zentren des Glaubens. Die ersten Mönche wussten darum. Sie verstanden sich als Quellen, an denen die Menschen ihren Glauben stärken können. Ich wünsche mir, dass auch heute Klöster als Orte wirken, an denen – wie an Pfingsten – der Heilige Geist erfahrbar wird und beginnt durch uns Christen zu wirken.