Robert Sarah: Traditionstreuer Querkopf und Gegenpol zu Franziskus
Einen Monat nach seiner Wahl besuchte Papst Franziskus das Jugendgefängnis Casal del Marmo in Rom, um zwölf Insassen die Füße zu waschen. Zwei von ihnen waren Frauen, zwei Muslime. In beiden Fällen war es das erste Mal, dass ein Papst ihnen während der traditionellen Feierlichkeiten am Gründonnerstag die Füße wusch.
Im Dezember 2014 fragte Franziskus dann den damals von ihm frisch ernannten Präfekten für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Kardinal Robert Sarah, nach Änderungen des Gründonnerstagsritus, um Frauen mit einzubeziehen. So sollte das Ritual der Fußwaschung "vollumfänglich die Bedeutung dieser Geste Jesu beim letzten Abendmahl" ausdrücken.
Der Prälat aus dem westafrikanischen Guinea brauchte dann aber mehr als ein Jahr, um ein 370 Wörter umfassendes Dekret für diese Änderung aufzusetzen. Sogar nach dessen Veröffentlichung betonte Kardinal Sarah, dass Priester "nicht verpflichtet" seien, Frauen die Füße zu waschen.
Diese Episode zeigt die sehr unterschiedlichen Kirchenbilder von Franziskus und Sarah. Der Papst hat immer wieder die Barmherzigkeit Gottes betont; er sieht die Kirche als Feldlazarett, das die leidende Menschheit mit offenen Armen empfängt. Dabei bezieht er sich auf Johannes: "Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat" (Joh 3,16). Der Liturgiepräfekt hingegen sieht die Kirche unter Beschuss, gegen den sie sich verteidigen muss. Auch er gründet seine Sicht auf Johannes: "Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt" (Joh 15,19).
Ein Wunsch von Benedikt XVI.
In Rom erzählt man sich, dass Sarahs Ernennung noch auf einen Wunsch Benedikts XVI. zurückgeht, den Franziskus aus Pflichtgefühl erfüllte. Wenn Sarah mit Vollendung des 75. Lebensjahres dem Papst nun seinen Rücktritt anbieten muss, ist es sehr wahrscheinlich, dass Franziskus diesen in den nächsten Monaten annimmt – immerhin hatte Sarah seinen Posten auch fünf Jahre inne.
Selbst im Ruhestandsalter wird Sarah dann die Traditionalisten und Konservativen in der Kirche repräsentieren. Er hat ein weitreichendes Netzwerk vor allem in der französisch- und englischsprachigen Welt. Nicht wenige dort sehen ihn als nächsten Papst. Der Kardinal besticht durch seine asketische Statur und seine Spiritualität, die Mystik mit der unbeugsamen Verteidigung der traditionellen Kirchenlehre verbindet.
Würde er im nächsten Konklave gewählt, würde er kaum den hemdsärmeligen, unprätentiösen Stil seines lateinamerikanischen Vorgängers übernehmen, sondern wahrscheinlich als neotraditionalistischer Pontifex geradezu "regieren". Bei Signierstunden grüßen ihn Anhänger bereits jetzt auf Knien durch einen Kuss auf den Ring.
Eine Parallel-Autorität
In seiner Zeit als Präfekt hat sich Sarah bereits als eine Art Parallel-Autorität zum Papst etabliert; sei es durch, Reisen, Vorträge oder Bücher. Dabei kritisiert er Franziskus nicht direkt, repräsentiert aber dennoch ein alternatives Leitungsmodell für die Kirche – wodurch er den Pontifex dann indirekt doch kritisiert. Daneben hat er für Klagen über Franziskus immer ein offenes Ohr und teilt einige dieser Sorgen, wiewohl er sehr auf seine Wortwahl achtet. Attacken auf den Papst unterstützt er nicht, verhindert sie jedoch ebensowenig.
Auf der anderen Seite umgeht Franziskus den Kardinal und arbeitet enger mit dessen Stellvertreter, dem britischen Erzbischof Arthur Roche, zusammen, der kirchenpolitisch eher den Ausgleich sucht. Zudem hat Franziskus bereits zahlreiche neue Mitarbeiter für Sarah eingestellt, die alle Franzikus' Kirchenvision teilen.
Verbindungen zu Viganò
Sarah wird zwar nicht müde, seine Loyalität zu Franziskus zu betonen. Zuletzt kam aber seine enge Verbindung zum ehemaligen US-Nuntius Carlo Maria Viganò ans Licht, der Franziskus 2018 medienwirksam zum Rücktritt aufgefordert hatte. Viganò versuchte, Sarah zur Unterzeichnung eines Manifests zu bewegen, in dem das Coronavirus als "Vorwand" bezeichnet wird, um Katholiken vom Messbesuch abzuhalten und "eine neue Weltordnung" einzusetzen. Nachdem Sarah zunächst seine Unterstützung bekundet hatte, distanzierte er sich kurz darauf.
Als der Papst ein paar Monate zuvor sein nachsynodales Schreiben im Nachgang der Amazonas-Synode vorbereitete, bei der Bischöfe die Weihe verheirateter Männer forderten, veröffentlichte Sarah ein Buch, das den Status quo des priesterlichen Zölibats verteidigte. Zunächst führte das Buch Benedikt XVI. als Co-Autor. Doch als die Veröffentlichung medialen Wirbel auslöste, ließ der emeritierte Papst klarstellen, nur einen Aufsatz beigesteuert zu haben und seinen Namen aus der Autorenzeile entfernen. Diese Episode wurde als Versuch gewertet, Einfluss auf die Dynamiken der Amazonas-Synode zu nehmen.
Obwohl er der erste Liturge des Heiligen Stuhls ist, steht Sarah den Liturgiereformen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil skeptisch gegenüber – so findet er etwa, die Kirche sei "ziemlich brachial und ohne jede Vorbereitung von einer Liturgie zur anderen übergegangen". Dagegen hat der Papst die nachkonziliaren Reformen stets als irreversibel bezeichnet und den Ortskirchen mehr Eigenverantwortung etwa bei der Übersetzung liturgischer Texte gegeben.
Zwischenfälle mit Franziskus
Die Auseinandersetzung um die Fußwaschung für Frauen war dabei nicht der einzige Zwischenfall zwischen Papst und Präfekt. Franziskus musste Sarah öffentlich korrigieren, als der empfahl, alle Messen "ad orientem", also mit dem Rücken zur Gemeinde zu feiern. Gleiches geschah, als Sarah bei der Frage der Übersetzung von liturgischen Texten die Beziehung zwischen Vatikan und Ortskirchen etwa mit der eines Vaters, der die Hausaufgaben seines Kindes kontrolliert, verglich.
Abseits der Kurienpolitik hat Robert Sarah eine bemerkenswerte Vorgeschichte. Er wuchs in einer Lehmhütte in einer abgelegenen, bergigen Buschregion Guineas auf – sein Heimatort hat nur etwa 1000 Einwohner. Ursprünglich war seine Familie gar nicht christlich, der Vater ließ sich und seinen Sohn taufen, als der gerade einmal zwei Jahre alt war. Mit elf Jahren trat Sarah ins Priesterseminar ein und studierte nach seiner Weihe in Rom und Jerusalem.
Als Erzbischof von von Guineas Hauptstadt Conakry zeigte er unter dem autoritär regierenden Präsidenten Sékou Touré und dessen Nachfolger Lansana Conté enormen Mut, indem er Misswirtschaft und die Vernachlässigung der Armen durch Touré anprangerte.
"Ich bewundere Kardinal Sarah seit meiner Zeit in Conakry sehr", erzählte mir einmal der ehemalige päpstliche Nuntius Guineas, Erzbischof Alberto Bottari de Castello. "Er ist ein Mann des Gebets und von großem humanitären wie pastoralen Reichtum."
Viele Ämter in Rom
2001 wurde Sarah nach Rom berufen, wo er seitdem eine Reihe von Ämtern innehatte. In dieser Zeit erwarb er sich mit seinen reaktionären Ansichten eine gewisse Reputation in der ewigen Stadt. Seine Wortwahl kann dabei durchaus apokalyptisch sein, was so manchen Beobachter verstört. Während der Familiensynode 2015 befand er, die "westlichen Homosexualitäts- und Abtreibungsideologien sowie der islamische Fanatismus" seien "fast wie zwei apokalyptische Bestien" und verglich sie mit Nationalsozialismus und Kommunismus. Weiterhin will er nicht, dass Gebete von Smartphones oder Tablets abgelesen werden, weil es "unwürdig" sei, diese Geräte "entweihen das Gebet". Menschen, die mit ihm arbeiten sagen, dass er sich in Rom einsam fühlt und sich anstatt von den theologischen Traditionen und Erfahrungen aus Afrika lieber von Europäern beeinflussen lässt.
Was wird nun aus Sarah? Selbst wenn Franziskus seinen altersbedingten Rücktritt annimmt, wird er der Held mancher Katholiken bleiben, sich in die Debatte einschalten und für eine Art "Alternativ-Lehre" stehen.
Für Franziskus steht dagegen im Vordergrund, Pedanterie in Sachen Liturgie, Dogmatik und Ansehen der Kirche zu vermeiden. In seinen Augen verwenden manche Katholiken "viel Zeit und Energie auf diese Dinge, anstatt sich vom Heiligen Geist auf den Weg der Liebe leiten zu lassen, die Schönheit und Freude des Evangeliums zu verbreiten sowie die Verlorenen in der unermesslichen nach Christus dürstenden Menge zu finden und sich um sie zu kümmern."
Das Renommee einer ausgefeilten Liturgie konzentriert sich mehr auf den Priester als auf das Volk und die Verführung einer als Theologie verkleideten politischen Ideologie sind Versuchungen für die Kirche. Franziskus hat wiederholt davor gewarnt, in diese beiden Fallen zu tappen.