Nach Einigung von Bischofskonferenz und Missbrauchsbeauftragtem

Missbrauch: Betroffenenbeirat kritisiert Vereinbarung zur Aufarbeitung

Veröffentlicht am 08.06.2020 um 13:02 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Opfer sexueller Gewalt in der katholischen Kirche kritisieren die Vereinbarung zwischen Kirche und Staat zur weiteren Aufarbeitung der kirchlichen Missbrauchsfälle. Der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln formulierte am Montag mehrere Forderungen.

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Der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln hat Kritik an der Ende April getroffenen Vereinbarung zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zur weiteren Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche geäußert. Zwar erkennt das Gremium in einer am Montag vom Erzbistum verbreiteten Stellungnahme an, dass mit Blick auf die Aufarbeitung "endlich eine Vereinbarung" zwischen Kirche und Staat vorliege, der alle Bischöfe zugestimmt hätten: "Es ist gut, dass es eine Vereinbarung gibt. Die katholische Kirche kann den Prozess der Aufarbeitung nicht mehr in allen Facetten gesichert dominieren. Aufarbeitung soll in den Diözesen nach vergleichbaren Standards folgen." Gleichzeitig bemängelt der Beirat jedoch, dass die Forderungen der Betroffenen mit der getroffenen Vereinbarung nicht erfüllt worden seien.

Unter anderem kritisiert das Gremium, dass die Kirche sich zwar mit der Vereinbarung "allem Anschein nach der Kontrolle durch die demokratisch verfasste Gesellschaft" unterwerfe, ihr gleichzeitig aber durch die Einigung "nun auch amtlich abgesegnet ein gewaltiges Mitspracherecht eingeräumt" werde. Hinzu komme, dass es auch künftig keine bundesweite Aufarbeitungskommission geben werde, sondern die 27 deutschen Bistümer jeweils ihr eigenes Aufarbeitungssetting gestalten könnten. "Es gibt noch nicht einmal die Garantie, dass bei diesem Prozess alle Bistümer mitmachen. Die Entscheidungsgewalt für den und in dem Aufarbeitungsprozess bleibt, wie wir es aus diesem Papier lesen, letztlich bei jedem (Erz-)Bischof", beklagt der Betroffenenbeirat. Weiter werde das Recht auf Akteneinsicht zwar erwähnt, allerdings nicht ausdrücklich Betroffenen zugesprochen.

"Die Kirche tut so, als gäbe es die Orden mit ihren zahllosen Tatorten nicht"

Darüber hinaus beklagt der Beirat in seiner Stellungnahme, dass die Orden mit ihren Internaten, Heimen und Schulen nicht in die getroffene Vereinbarung einbezogenen seien, obwohl das Papier den Eindruck erwecke, als spreche es für die Aufarbeitungsbereitschaft der Kirche insgesamt. "Die Kirche tut so, als gäbe es die Orden mit ihren zahllosen Tatorten nicht und die Orden gerieren sich, als würden Grundgesetz, Rechtstaat und Kirchenrecht für sie nicht gelten", so das Gremium wörtlich. Entsetzt sei man zudem über den vorgeschlagenen Zeitplan der Aufarbeitung. Zehn Jahre nach dem "Missbrauchstsunami" von 2010 sollten weitere fünf Jahre vergehen, bis Ergebnisse vorlägen.

Der Betroffenenbeirat fordert in seiner Stellungnahme Transparenz bei der Auswahl der Mitglieder der Missbrauchskommissionen, eine verbriefte Akteneinsicht für Betroffene sowie verbindliche Zeitvorgaben für den Start der Kommissionen, deren Tagungsrhythmus und die Präsentation erster Ergebnisse. Ferner äußert sich der Beirat auch zur Frage der Entschädigungen. Aufarbeitung ohne Entschädigung sei wie ein Geständnis ohne Folgen. Von der Notwendigkeit der Entschädigungen im mittleren sechststelligen Euro-Bereich für lebenslange Missbrauchsfolgen und für die strukturelle Ermöglichung des Missbrauchs dürfe das Bemühen um Aufarbeitung nicht ablenken.

Erste Vereinbarung iher Art in Deutschland

Als erste Institution in Deutschland hatte die katholische Kirche Ende April mit dem bei der Bundesregierung angesiedelten Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs eine Vereinbarung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch abgeschlossen. Demnach soll es in allen 27 Bistümern künftig eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung geben. Darin sollen Vertreter des Bistums, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Betroffene sitzen. Die Kommissionen sollen sich auch mit jenen Fällen befassen, die wegen Verjährung oder Tod nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Neben einer quantitativen Erhebung von Fällen soll es auch darum gehen, wie die Verantwortlichen mit Tätern und Betroffenen umgegangen sind. Auch sollen Strukturen benannt werden, die Missbrauch ermöglicht oder begünstigt haben. Vorgesehen ist zudem eine überdiözesane Zusammenarbeit. Die Deutsche Bischofskonferenz soll dazu eine Geschäftsstelle einrichten.

Das Erzbistum Köln hatte Ende 2018 als eines der ersten Bistümer einen Betroffenenbeirat für Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche eingerichtet. Aufgabe des Beirats ist es, zur Weiterentwicklung des Umgangs mit Fragen sexualisierter Gewalt im Erzbistum einen Beitrag zu leisten. Das Gremium besteht aus zwölf Mitgliedern, die Missbrauch erfahren haben. (stz)