Kölner Priester über #blacklivesmatter und weiße Katholikenräte

Pfarrer Thillainathan: "Der Schwarze stirbt zuerst"

Veröffentlicht am 18.06.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Welt diskutiert über Rassismus. In den sozialen Medien tut sie das unter dem Hashtag #blacklivesmatter. Aber reicht das? Der Kölner Priester Regamy Thillainathan glaubt das nicht. Im Gastbeitrag auf katholisch.de stellt er Fragen, die zur Haltungsänderung führen sollen – auch in der Kirche.

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Schon als Jugendlicher habe ich eines aus Horrorfilmen gelernt: Der Schwarze, lustig und mit Stereotypen überfrachtet, stirbt als einer der Ersten. Rassismus prägt nicht selten die Filmlandschaft. Filme sind nicht nur Kunst. Sie zeigen die Kultur einer jeden Generation und spiegeln die zeitgenössische Gesellschaft wider. In Amerika und in unserem Land diskutieren wir, ob der Film "Vom Winde verweht" weiter auf Streamingdiensten angeboten werden darf. Was wir kaum reflektieren ist, dass die Verbannung eines einzelnen Filmes unser Problem mit Rassismus nicht lösen wird. Das Streichen des Wortes "Rasse" aus dem Grundgesetz oder (kirchlichen) Liedern allein wird es genauso wenig.

Nicht, so lange schwarze Menschen und PoC (People of Color) in den Filmen, Firmen, Parteien, kirchlichen Verbänden und Institutionen nur Sidekicks sind: Diversity-Dekorationen zur Beruhigung des weißen Gewissens. Die Realität ist: Schon seit vielen Jahren hat mehr als jeder vierte Katholik bzw. jede vierte Katholikin in Deutschland einen internationalen, weltkirchlichen Hintergrund – Tendenz steigend!

Spiegelt sich das in unserer Kirche wider? Gerade jetzt müssen wir uns diese Frage gefallen lassen. Der Synodale Weg, der die Katholische Kirche in Deutschland auf die Zukunft hin ausrichten soll, hat an internationaler Diversity letztlich zwei Delegierte vom Bundespastoralrat der Katholiken anderer Muttersprache, eine indische Ordensschwester vorzuweisen – und einen ukrainischen Exarchen. Das Präsidium könnte weißer nicht sein. Nicht nur dort: Wo sind die schwarzen Menschen und PoC in den Vorständen des BDKJ und den Katholikenräten?

Kein Betteln um Almosen der Privilegierten

Ich will nicht anklagen und bettle hier nicht um Almosen der Privilegierten. Ich will darauf hinweisen, dass mit voreiligen Schönheitsreparaturen nichts verändert werden kann. Auch in unserer Kirche nicht.

Instagram-Posts mit #blacklivesmatter und #whiteprivilege sind nett gemeint und zeugen von der Bereitschaft des Aufbegehrens. Aber auch sie allein werden die Welt nicht verändern. Erinnern Sie sich an den Hype um den abendlichen Applaus für Pflegekräfte in der Coronakrise? Der Hype ist vorbei. An der Situation der Pflegekräfte hat sich nichts gebessert. Wenn die Rassismusdebatte etwas bewirken soll, dann muss das Digitale ins Analoge übersetzt werden: Dann müssen aus gutgemeinten Forderungen eigene Haltungsänderungen folgen.

Ich möchte die folgenden Fragen aufwerfen, die eine eigene Haltungsänderung unterstützen können:

Will ich nur voreilige Scheinlösungen? Geht es um die Sache selbst oder will ich mein Gewissen beruhigen? Debatten über unsere Sprache sind gut und wichtig. Aber sie allein lösen unser Problem nicht.

Falls ich auf sozialen Medien protestiere und aufbegehre: Habe ich während der Karnevalstage 2020 der zehn Menschen gedacht, die aus rassistischen Motiven von einem Rechtsextremisten vor unserer Haustür ermordet wurden? Was ist jetzt anders? Geht es mir um einen Hype, den ich bedienen will? Oder geht es mir sogar eher um Selbstprofilierung? Das eigene Verhalten in der Vergangenheit zu beobachten, hilft dabei, Rückschlüsse für mein künftiges Medienverhalten zu ziehen.

Demo gegen Rassismus
Bild: ©picture alliance/ZUMAPRESS.com/Ringo Chiu

Ein Demonstrant hält ein Schild mit den Worten "Black Lives Matter" hoch. Im Hintergrund weht eine US-Flagge.

Schiebe ich die Verantwortung für eine Systemveränderung auf Institutionen ab? Die anderen sollen es richten: PolitikerInnen, Bistümer, Landeskirchen usw. Was ist mit den Gruppen und Verbänden, in denen ich selbst aktiv bin? Kann ich nicht vor Ort selbst etwas anstoßen? Warum warte ich, bis sich andere bewegen? Wo werde ich Zeugin oder Zeuge von Scherzen auf Kosten anderer Ethnien?

Wo ermögliche ich schwarzen Menschen und PoC Eingang in die deutsche Theologie und die kirchliche Debatte? Gehe ich nicht wie selbstverständlich davon aus, dass die Welt auf unsere deutschen (weißen) Impulse wartet? Die theologischen Diskurse in Deutschland lassen oft in anderen Ländern den Gedanken aufkeimen, dass wir Deutschen davon ausgehen, der Nabel der Welt zu sein.

Haben die Theologiestudierenden in Deutschland in ihrem Studium je etwas von der indischen Philosophie erfahren (immerhin eine der ältesten philosophischen Traditionen der Welt)? Oder etwas über die indigenen Theologien gelernt? Kennen sie nur die feministische Theologie oder kennen sie auch die Mujerista-Theologie und die Womanistische Theologie? Hört die Vielfalt da auf, wo sie unsere Komfortzone übersteigt? Ich selbst konnte all diese Gedankenkonstrukte und Strömungen erst durch meine Auslandsstudien kennenlernen. Das darf keine Norm sein. Bescheidenheit und die Bereitschaft, vom Anderen zu Lernen, würden der deutschen Theologie helfen, rassistische Überlegenheitsphantasien zu überwinden.

Eine zutiefst christliche Überzeugung

Meine ich, die Probleme der schwarzen Menschen oder PoC schon zu kennen und für sie sprechen zu müssen? Weiße Männer und weiße Frauen, die anprangern, dass nur weiße Männer in unserer Welt etwas zu sagen haben, bleiben Weiße.

Liebe Community, es ist schön und gut, dass Ihr die Ungerechtigkeit anprangert – aber nehmt den Betroffenen nicht die Stimme. Entmündigt sie nicht, indem Ihr sie übertönt. Nutzt die Rassismusdebatte nicht, um Eure eigenen Interessen und Ziele voranzubringen. Hört den Betroffenen zu und lasst sie (für sich) sprechen. Werdet ihre Verstärker, nicht ihre Stimmen.

Die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde hat es einmal treffend formuliert: "Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit diese Unterschiede zu erkennen, zu akzeptieren und zu feiern." Die Verschiedenheit der Menschen, die sich einander ergänzen, sind in unserer Gottesebenbildlichkeit begründet. Das ist unsere zutiefst christliche Überzeugung. In einem Leib mit vielen Gliedern darf es nicht immer der lustige Schwarze sein, der zuerst stirbt.

Von Regamy Thillainathan

Zur Person

Regamy Thillainathan (*21.04.1982) ist seit 2015 Direktor der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln.