Pfarrer: Darum rege ich einen Bundesfriedensdienst an
Nach dem Abitur oder anderen Schulabschlüssen stehen Jugendliche vor der großen Frage, wie es weitergehen soll. Nicht wenige haben in jungen Jahren noch keine Vorstellung davon, wie der Rest ihres Lebens aussehen soll. Pfarrer Peter Stelten aus Dormagen hatte deshalb die Idee zu einem Bundesfriedensdienst: ein Jahr verpflichtend für alle.
Frage: Pfarrer Stelten, in Ihren Pfarrnachrichten reden Sie von einem Bundesfriedensdienst. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Stelten: Wenn ich in meinen Betrieb hier schaue, also unsere katholische Pfarrgemeinde, 15.000 Katholiken, 120 Angestellte, 400 Ehrenamtler, 400 Sänger – alle gehen auf dem Zahnfleisch. Es gibt wahnsinnig viele Ehrenamtler, die sich anstrengen. Und trotzdem habe ich das Gefühl: Das reicht nicht. Wenn ich einen Schritt weitergehe und etwa an Altenheime und Sportvereine denken, laufen auch die dort Tätigen am Limit.
Frage: Sie denken also, es gibt zu wenig Freiwillige und Ehrenamtliche?
Stelten: Ich glaube, es gibt viele Freiwillige. Aber darüber hinaus könnte es ein gesellschaftliches Anliegen sein zu sagen: Warum nicht alle? Mein zweiter Gedanke war, dass wir viel rumexperimentiert haben im Abitur mit G8 und G9. Jetzt sind die ersten Abiturienten 17. Hier gibt es Jugendliche, die nicht wissen, was sie machen sollen – auch mit 18 Jahren. Sie stehen vor einem Riesenangebot und sind dadurch völlig überfordert. Deshalb hatte ich die Idee, noch einmal etwas dazwischenzuschalten. Denn wir haben ja ein Berufsleben von bis zu 55 Jahren vor uns, wenn wir mit 67, 68 oder 69 oder noch später in Rente gehen. Geben wir jungen Menschen einfach noch einmal eine andere Art von nicht schulischer, sondern Lebensbildung oder -ausbildung mit.
Frage: Wie würde der Bundesfriedensdienst dann also aussehen und was ist der Unterschied zu den bereits bestehenden Modellen wie FSJ, FÖJ oder Bundesfreiwilligendienst?
Stelten: Der Bundesfriedensdienst wäre nach dem Schulabschluss für alle verpflichtend, sodass man von Kindestagen an weiß, dass das diese Zeit auf einen zukommt. Es wäre ein Jahr, das heißt einmal Weihnachten, einmal Ostern, einmal die Sommerferien, einmal Herbst, einmal Winter. Die Jugendlichen wären verpflichtet, dürften aber selbst überlegen und entscheiden, wo sie hingehen. Wobei natürlich auch immer ein Grund sein kann, dass jemand zum Beispiel krank ist und deshalb keinen Dienst absolvieren kann. Ausnahmen kann es natürlich auch geben.
Frage: In welchen Bereichen könnten die Jugendlichen diesen Bundesfriedensdienst absolvieren?
Stelten: Ich würde das ganz breit fächern. Eine Sektion des Bundesfriedensdienstes wäre die Bundeswehr. Darüber hinaus Altenheime, die Malteser, der Johanniter-Hilfsdienst, und andere Hilfsdienste, unter Umständen die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz. Oder auch eine Jugendbildungsstätte. Jede Kindertagesstätte müsste den Platz für einen Friedensdienstler ermöglichen. Das wäre allerdings nicht der Rückweg zur alten Sache mit Wehrdienst, Katastrophenschutz oder Zivildienst. Das wäre mir zu sehr rückwärtsgewandt, deshalb der neue Begriff. Frieden deshalb, weil es nicht nur der Frieden als Abwesenheit von Krieg ist, sondern es zudem um einen gesellschaftlichen und letztlich auch inneren Frieden geht. Ich möchte nicht von Friedens-Dienstleistenden sprechen, sondern da finde ich den österreichischen Begriff so schön: der Zivildiener. Ich finde, es könnte einer Gesellschaft guttun, nicht im Sinne eines Zwangs, sondern umgekehrt gedacht: Zu deiner Mensch- oder Lebensbildung gehört, etwas für die Allgemeinheit zu tun, denn du bist in aller Regel mit vielen Möglichkeiten und in Frieden aufgewachsen.
Frage: Wo würden Sie in Zusammenhang dessen die Rolle der Kirche sehen?
Stelten: Wir wären auch Anbieter. Wir sind ja einer von vielen gesellschaftlichen Ideengebern.
Frage: Gäbe es dann also zum Beispiel aushelfende Küster im Bundesfriedensdienst?
Stelten: Ich würde es etwas darüberlegen. Ich würde sagen: Jede katholische Gemeinde bietet eine Stelle an und muss sie auch finanzieren oder mit dem Staat zusammen mitfinanzieren. Dann lebt der quasi in der Gemeinde mit. Er wird von dem Pfarrer, Verwaltungsleiter oder denen, die für ihn zuständig sind, betreut, damit er nicht nur ein Jahr lang am Kopierer steht oder nur Hilfsdienste verichtet. Sondern er würde mitmachen beim Pfarrfest, beim Aufbauen des Fronleichnamsaltares – wo er eben gebraucht wird. Er würde bei der Krankenkommunion mitgehen oder den Pfarrer fahren, weil dieser alt ist und kein Auto mehr fahren kann. In anderen katholischen Einrichtungen, wie einer Kita, einem Altenheim oder Krankenhaus würde er einfach mitmachen. Zum Beispiel könnte er am Empfang sitzen – das muss keine ausgebildete Krankenschwester tun.
Frage: Was denken Sie, würde ein Bundesfriedensdienst bezwecken?
Stelten: Das Dienen würde einen besseren Ruf bekommen. Im Englischen sagt man "service". Im Deutschen hat der Begriff dienen so ein Geschmäckle; das hat etwas mit unserer Geschichte zu tun. Vielleicht gäbe es eine Art Rehabilitation der Aussage "Ich diene". Denn im Idealfall würde man dabei der Gemeinschaft, letztlich der eigenen Entwicklung und im religiösen Kontext natürlich Gott dienen. So können Jugendliche der Gemeinschaft, der Gesellschaft, dem Land in gewisser Weise auch etwas zurückgeben. Das muss man auch heranbilden; da kommt nicht jeder Mensch von selbst drauf.
Zudem würde es die Milieus noch einmal in Verbindung bringen, die sonst keine Berührungspunkte haben. Da ist dann der gute Abiturient mit 1,2-Abiturnote aus gutem Hause: Mama Rechtsanwältin, Papa Richter. Wenn er dann tatsächlich mal in einen sozialen Brennpunkt in eine Essensausgabe geht, kommt er nach Hause und sagt: "Ich habe etwas für mein Leben gelernt." Oder umgekehrt: Der Junge aus einer bildungsfernen Schicht geht in ein Hospiz nach Israel und sagt dasselbe. So mancher Jugendlicher kommt verwandelt zurück – oder findet sogar seine Berufung. Das habe ich in meiner Pfarrei schon einige Male erlebt.
Frage: Eine Entlastung wären solche Friedensdienstler sicherlich auch.
Stelten: Ja, aber es geht nicht um die billigen Arbeitsplätze nach dem Motto: Jetzt lösen wir unsere Probleme im Altenheim. Sondern es wäre eine Hilfe für diejenigen, die da arbeiten, wenn ein Friedensdienstler mal eine Stunde bei einem alten Herrn sitzt, der früher gerne Zeitung gelesen hat, es jetzt aber nicht mehr kann. Er würde in dieser einen Stunde so viel von dem alten Herrn über das Leben lernen. Der Mann würde seine Hand auf die Schulter des Jungen oder Mädchens legen und sagen: "Danke, dass Sie mir vorgelesen haben." Und das sind Erfahrungen, die mit ins Leben hineingehen.
Frage: Sehen Sie die Kirche in einer Rolle, dass sie sich in solchen Belangen besonders stark machen müsste?
Stelten: Das Evangelium war immer etwas außerhalb der Spur. Es ist und war immer politisch. In gewisser Weise darf man ja auch mal etwas aufmischen. Das geht nicht immer nur über den Synodalen Weg oder über pastorale Zukunftswege. Nicht falsch verstehen: Natürlich bedarf es auch innerhalb der Kirche Diskussion und Diskurse – keine Frage. Aber muss da jetzt unsere ganze Energie rein gehen?