Anhaltende Austritte könnten "soziale Temperatur" im Land senken

Kretschmann: Mitgliederschwund in den Kirchen macht mir Sorgen

Veröffentlicht am 13.07.2020 um 11:36 Uhr – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Die Kirchenaustrittszahlen in Deutschland steigen seit Jahren kontinuierlich. Angesichts dessen sorgt sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann um das soziale Klima im Land. Eine Entchristlichung beobachtet er aber nicht.

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Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht den Mitgliederschwund der großen Kirchen mit Sorge. Fortgesetzte Austritte könnten die "soziale Temperatur" im Land senken, sagte Kretschmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Menschliche Zuwendung lasse sich nicht gesetzlich regeln. So sei etwa die Hospizbewegung im kirchlichen Raum entstanden – "so was kann der Staat nicht einfach hervorbringen", betonte der Grünen-Politiker.

Eine Entchristlichung der Gesellschaft beobachtet Kretschmann, der auch kirchenpolitischer Sprecher der Landesregierung ist, derzeit aber nicht. Die Verfassung schütze die Menschenwürde, sozial Schwache und den Sonntag. Die Menschen im Land lebten christliche Werte: "Schauen Sie auf die mehrheitliche Einstellung zu Flüchtlingen, Minderheiten, Rassismus: Wann war eine Gesellschaft jemals so christlich wie unsere heute? Nie."

Kirche muss in sich verändernder Welt zurechtkommen

Für die Kirchen ist es nach Kretschmanns Einschätzung ein Problem, mit der sich verändernden Welt zurechtzukommen. "Von einem Gottesbild, das immer noch glaubt, Gott lenke die Welt, indem er alles steuert, muss man sich vielleicht mal radikal verabschieden", sagte der Katholik. Um das Entstehen eines Tsunamis oder der Corona-Krise zu erklären, brauche man keine überirdische Macht.

Der Ministerpräsident empfiehlt den Kirchen Reformen, die den Kern des christlichen Glaubens wieder freilegen. Die evangelische Kirche halte sich schon für reformiert, obwohl dieses Ereignis 500 Jahre zurückliege. In der katholischen Kirche gebe es Diskussionsverbote etwa zum Zölibat. Der christliche Glaube müsse jedoch jederzeit säkularen Menschen darstellbar sein.

Ende Juni veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) die Kirchenstatistik für 2019. Demnach waren die Gesamt-Austrittszahlen mit 272.771 Menschen bei der katholischen Kirche in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Insgesamt ist die Zahl der Katholiken in Deutschland demnach sogar um über 400.000 Menschen gesunken. Die Anzahl der Katholiken 2019 betrug 22.600.371 (2018: 23.002.128). Der Katholikenanteil an der Bevölkerung Deutschlands ging auf 27,2 Prozent zurück. 2018 waren noch 27,7 Prozent katholisch. Die evangelische Kirche verzeichnete rund 270.000 Austritte und damit 22,3 Prozent mehr als 2018. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage erwägen 30 Prozent der Katholiken in Deutschland einen Kirchenaustritt. (mal/epd)