Kirchenmann der Zwischentöne: Speyers Bischof Wiesemann wird 60
Als Karl-Heinz Wiesemann mit gerade mal 47 als Bischof von Speyer eingeführt wurde, war er Deutschlands jüngster Ortsbischof. Nun, zum 60. Geburtstag am Samstag, gehört er zum dienstältesten Drittel der katholischen Oberhirten.
Unverändert ist, dass der gebürtige Westfale trotz seiner Aufgabenfülle bundesweit wenig Schlagzeilen macht. Das kommt nicht von ungefähr, denn ihm sind die Debatten in Kirche und Gesellschaft meist "zu laut und zu hysterisch". Er liebt mehr "die nachdenklichen Töne". Der musikalisch Hochbegabte will nicht nur die Melodie erkennen, sondern auch Ober-, Unter- und Zwischentöne hören.
Wiesemann will neu und anders denken lernen, weil er glaubt, dass "das Handwerkszeug von früher heute nicht mehr funktioniert". Patentrezepte dekretiert er nicht, auch weil er sich selbst als Suchenden sieht. Er will eine spirituelle und dienende Kirche, die von innen ausstrahlen soll: "Wenn das gelingt, kann eine neue Vision entstehen, die uns heute fehlt."
Ein geteiltes Bischofshaus
Was das heißt, zeigt Wiesemann selbst: Angrenzend an seine Wohnräume im u-förmigen, 1704 erbauten barocken Gebäudekomplex an der Westseite des Domplatzes wohnt seit Jahren eine somalische Flüchtlingsfamilie. Eine Muslima mit acht Kindern und ihren Eltern.
Sie und der Bischof teilen sich nicht Bad oder Küche, aber sie leben Wand an Wand unter einem Dach, neben Wiesemanns Wohnung und über der Privatkapelle mit Sakristei. Auch beim Gottesdienst hört er, "dass Leben im Haus ist. Und zwar auf eine ganz angenehme Art und Weise". Turbulentes Familienleben ist für ihn normal; er wuchs mit mehreren Geschwistern auf.
„Kleinstaatliches Denken hilft nicht.“
Wechsel und Veränderung stehen auch im Bistum an. Es gibt in der Pfalz immer weniger Priester und Laientheologen, Ressourcen schwinden. Diesen Wandel will er nicht isoliert vorantreiben, sondern plädiert für Zusammenarbeit, um in der Bischofskonferenz Perspektiven zu entwickeln: "Kleinstaatliches Denken hilft nicht."
Veränderungsdruck durch Corona
Verstärkt wird der Veränderungsdruck durch die Pandemie, deren langfristige Folgen "wir kaum erahnen können". Covid-19 bedeute für Kirchen und Gesellschaft einen historischen Einschnitt, so Wiesemann. Ein einfaches Zurück zur vorherigen Normalität werde es nach der Krise nicht geben. Notwendig sei vielmehr "eine Neubestimmung unseres konkreten Auftrags für die Menschen unserer Zeit".
In seinem Bistum hat Wiesemann die Zahl von 346 Pfarreien auf 70 reduziert - ein "gewaltiger Umbruch". Wesentlich waren ihm dabei Transparenz und offene Kommunikation. Auch in der Bischofskonferenz zeigt sich Wiesemann als Mensch, der unterschiedliche Sichtweisen zusammenführen kann. So hielt er es früher als Jugendbischof und als Chef der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in der Bundesrepublik, und so hält er es heute in der von ihm geleiteten Glaubenskommission.
Ein Herzensanliegen ist ihm die Ökumene. Das liegt auch daran, dass Wiesemann aus einer protestantisch geprägten Region Westfalens stammt. Ihm ist wichtig, das Gespräch der Kirchen nicht auf den katholisch-evangelischen Dialog zu reduzieren - "ein deutsches Phänomen" -, sondern beispielsweise auch die orthodoxe Christen im Blick zu behalten.
Die Suche nach Synergien
Wiesemann spricht sich dafür aus, theologische Fragen, insbesondere die nach Sakramenten und kirchlichen Ämtern, "ökumenisch sensibel zu diskutieren". Mit Blick auf Sparzwänge im Bistum und in der Landeskirche der Pfalz schaut der Bischof ebenso wie sein evangelisches Pendant Christian Schad, wie sich die Kirchen "noch stärker verzahnen lassen. Wo gibt es Synergien, damit die Christen der Pfalz und im Saarpfalzkreis stärker präsent bleiben können?"
Wiesemanns freundliche, manchmal selbstironische, immer unprätentiöse Art kommt bei den Menschen an. Das war auch so, als er die Beisetzungsfeierlichkeiten für Altkanzler Helmut Kohl im salischen Kaiserdom leitete. Ihm gelang es, Kohls politische Verdienste zu würdigen, aber auch die schwierige familiäre Situation anzusprechen, ohne dass es verletzend klang. Es war die Ansprache des Mannes mit der Harfe im Bischofswappen, der sich Zeit nimmt "für die Feinheit der seelischen Töne".