Mit Richter-Fenstern und Co.: Benediktinerabtei Tholey geht neue Wege
Im Zentrum des Ortes Tholey mit rund 2.200 Einwohnern lebt eine bunt zusammengesetzte Gruppe, darunter ein Seemann, zwei KfZ-Mechaniker, ein Historiker, ein Philosophieprofessor, ein Altenpfleger, ein Einzelhandelskaufmann, ein Zeitsoldat und ein Sternekoch. Zumindest waren sie das in ihrem "früherem Leben", wie sie selbst es nennen. Jetzt beschäftigen sie sich vorrangig damit, als Mönche Gott zu loben. Das Kloster in Tholey wurde 634 nach Christus erstmals urkundlich erwähnt und ist damit – soweit bekannt – das älteste Kloster auf deutschem Boden.
Die Benediktinerabtei liegt in einer ländlich geprägten Gegend mitten im Saarland. Bewegte Zeiten liegen hinter der Abtei. Zuletzt stand sie vor wenigen Jahren kurz vor dem Aus: alternde Gebäude, kaum finanzieller Spielraum und zugleich immer weniger Mönche. Ein Gebäudetrakt musste zeitweise geschlossen werden – zu teuer die Heizkosten. Als nur noch sieben Mönche im Konvent lebten, sollte das Kloster aufgelöst werden.
"Von ein paar Salatköpfen kann man nicht leben", sagt Abt Mauritius Choriol in Anspielung auf den Gemüsegarten der Mönche. Er trägt das Ordensgewand der Benediktiner aus grobem, schwarzem Stoff mit Kapuze und weiten Ärmeln, auf der Brust ein handgroßes Kreuz aus silbernem Metall, besetzt mit dunkelroten Steinen, das ihn als Klostervorsteher ausweist. Wie einige Mitbrüder kam der gebürtige Franzose nicht auf geradlinigem Weg ins Kloster.
Er arbeitete als Sternekoch, bevor er seinem Leben mit Mitte 20 eine grundlegend andere Richtung gab: Er trat den Benediktinern bei, lernte Deutsch, holte das Abi nach, lernte fürs Theologiestudium Griechisch, Hebräisch und Latein – und musste zugleich Zweifel überwinden. Denn Gott habe "kein Telefon geholt und gesagt, du bist berufen", sagt der 61-Jährige.
Das Kloster bietet heute zwölf Mönchen im Alter von 24 bis 75 Jahren ein Zuhause. Von ihrem Wohnhaus führt ein Weg an der Kirche links vorbei durch ein großes, schwarz lackiertes und mit Ranken verziertes Eisentor, auf dem oben in der Mitte ein goldfarbenes Kreuz über einer Krone prangt, in den weitläufigen Garten der Abtei. Zwischen Wiesen, Obstbäumen und Sträuchern stehen hier 36 Bienenvölker, in einer Ecke ein Stall mit den Kaninchen "Eva" und "Goliath". Weiter hinten, oberhalb eines Teiches, leben Hühner und ein Hahn.
Außerhalb der Gebetszeiten fährt Bruder Michael auf seinem Rasentraktor durch den Garten, Bruder Markus kümmert sich um die Bienen, Bruder Maurus versorgt die Kaninchen; dazwischen streift Abt Mauritius über das Gelände – beim Arbeiten gerne auch in Jeans und T-Shirt. Ein Teil der Brüder lebt zurückgezogen im Klausurbereich, andere suchen die Begegnung mit Gästen. Offizielle Gespräche übernimmt weitgehend der Abt.
Hier kocht der Abt persönlich
"Wir leben hier in einer Idylle, aber wir wissen auch, wie schwer das Leben sein kann und welches Elend es gibt", sagt Abt Mauritius. Das Gebet sei das Wichtigste für die Mönche, aber wer ausschließlich bete, könne den Blick für die Realität verlieren. Er erhoffe sich, dass das Beispiel der Mönche Besuchern vor Augen führe, wie wichtig Glaube, Liebe, die Natur und Respekt voreinander seien. Um Punkt 11.00 Uhr verschwindet er mit den Worten "ich muss in die Küche" Richtung Gästehaus. Seine Aufgaben als Abt halten ihn nicht davon ab, täglich für die Gemeinschaft und Gäste zu kochen – am liebsten ungestört.
2008 veranlasste das drohende Aus der Abtei die Mönche, für ihr Kloster zu kämpfen. Unterstützung erhielten sie von verschiedener Seite: Eine wohlhabende Familie ermöglichte mit Millionenspenden die umfassende Renovierung der Abtei und der frühgotischen Kirche. Unerwartet stiftete zudem der Künstler Gerhard Richter drei Chorfenster für die Kirche – was neben der Aufmerksamkeit für die Abtei bald wohl auch Touristen anlocken wird.
Die Richter-Fenster sind jeweils rund zwei Meter breit und neun Meter hoch und zeigen abstrakte, orientalisch wirkende Motive in den Farben rot, blau und gelb. Sie basieren auf einem Gemälde, das der Künstler mehrfach digital bearbeitete. Wenn die Kirche mit den neuen Fenstern im September eröffnet, wirft morgens die Sonne Licht durch Richters Fenster in den Innenraum.
Die weiteren 34 Fenster entwarf auf Wunsch der Mönche die muslimische Künstlerin Mahbuba Maqsoodi. Im Gegensatz zu Richters abstrakten Formen zeigen ihre Fenster leuchtend bunt Figuren, darunter Ordensgründer Benedikt von Nursia, Hildegard von Bingen oder biblische Erzählungen wie die Vertreibung aus dem Paradies. Sie sollen möglichst konkret Geschichten erzählen.
Frischer Wind durch Neuzugänge
Frischen Wind und Zuversicht für das Kloster bringen auch Neuzugänge, darunter der 24-jährige Bruder Maurus. Nach einem Jahr als Novize verpflichtete er sich im Frühjahr für zunächst drei Jahre, in denen er überlegt, ob er endgültig eintreten wird. Er spricht von "Liebe auf den ersten Blick" – obwohl die anderen Mitbrüder deutlich älter sind. Der Altersunterschied störe ihn nicht, sagt er. "Ich würde mir aber jemanden in meinem Alter wünschen, den ähnliche Fragen beschäftigen."
Auch Bruder Wendelinus (48) hat in der Abtei unlängst eine Heimat gefunden. Der Historiker legte im vergangenen Jahr die ewigen Gelübde ab und beginnt nun im Anschluss ans Studium das praktisches Jahr als Priester. Die Gemeinschaft in Tholey überzeugte ihn durch ihre Vielfalt, die er "Geschenk und Herausforderung zugleich" nennt. Bei allen Unterschieden eine die Brüder die Bereitschaft, den neuen Kurs mitzutragen und Gewohnheiten in Frage zu stellen. Das bedeutet für die Mönche wohl vor allem, weniger zurückgezogen als bislang zu leben und ihr Gelände mit Besuchern zu teilen.
Die neuen Kirchenfenster sollen Gäste einladen, mit den Mönchen ins Gespräch zu kommen – über Kunst, den Glauben, das Leben. Manche Brüder werden sich im neuen Klosterladen oder dem Besucherzentrum engagieren. "Wir nehmen den Aufbruch auch als Chance zum Mitgestalten und um Talente zu entfalten", sagt Bruder Wendelinus.
Dass die Abtei an einem Wendepunkt steht, wird im Garten erkennbar: In einer Ecke des Parks entsteht das neue Besucherzentrum. Ein Drittel des Geländes soll ab Herbst für Gäste zugänglich sein, zwei Drittel den Mönchen vorbehalten. "Wir schauen nicht ängstlich in die Zukunft, aber mit vielen Fragezeichen", so sieht es Abt Mauritius. Das Geschenk der Fenster verpflichte den Konvent. Für die Mönche gelte es nun, ihr zurückgezogenes Gebetsleben und erwartete Besucherströme unter einen Hut zu bekommen.