Erzdiözese will Strukturen neu ordnen

Erzbistum Köln: Bis 2030 soll es nur noch 50 bis 60 Großpfarreien geben

Veröffentlicht am 30.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Im größten deutschen Bistum stehen weitreichende Veränderungen an: Die Zahl der Pfarreien soll deutlich gesenkt werden, die Rollen neu verteilt werden. Ein Prozess mit Herausforderungen und Tücken.

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"Das wird unbequem." Markus Hofmann spricht so sonor und sachlich, wie man es von ihm gewohnt ist. "Jede Veränderung ist ein Stück weit unbequem", schiebt der Kölner Generalvikar noch nach. Hofmann weiß, wie weitreichend und damit auch in vielerlei Hinsicht "unbequem" die Veränderungen sind, die er gerade vorgestellt hat: Denn im Erzbistum Köln soll es 2030 nur noch zwischen 50 und 60 Pfarreien geben – momentan sind es noch mehr als 500. Organisiert sind die auch heute schon in übergeordneten Einheiten, die in Köln "Seelsorgebereiche" genannt werden. Doch auch davon gibt es 180.

Das Erzbistum will jetzt das Großreinemachen: Die Seelsorgebereiche werden verschwinden, es gibt nur noch Pfarreien und Gemeinden. Gemeinden sind für die Diözese Orte, an denen Menschen gemeinsam glauben – das kann, muss aber nicht eine Kirche sein; auch sogenannte Kirchorte wie Kindergärten, Krankenhäuser sind möglich. Dagegen ist die Pfarrei eine übergeordnete Instanz, die nicht zuletzt auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Letztverantwortung trägt.

Die gewünschte Klarheit der Begriffe, die die Bistumsverantwortlichen immer wieder betonen, überrascht nicht: In Köln legt man nicht erst seit der jüngsten Vatikan-Instruktion großen Wert darauf, nicht am Kirchenrecht vorbei zu arbeiten. Hier wird kein Paragraf gedehnt, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Stattdessen ändern sich die Gewichtungen der Organisationsformen. Wo heute noch viele Katholiken die Pfarrei mehr oder weniger um die Ecke haben, wird der Weg in Zukunft länger werden – durch die relative Katholikendichte des Rheinlands werden die Entfernungen verglichen mit anderen Diözesen aber wohl nicht allzu groß. Dafür ergeben sich durch die überregionaleren Strukturen neue Möglichkeiten von Leitung und Verantwortung: Die Pfarreien werden – ganz im Sinne des Kirchenrechts – auch in Zukunft von einem Pfarrer geleitet, der ein Pastoralteam um sich hat. Doch die Gläubigen werden mit den Instanzen der Pfarrei wohl in Zukunft weniger zu tun haben als mit den lokaler gedachten Gemeinden. Diese Gemeinden sollen von "Teams von Verantwortlichen" organisiert werden, also ehrenamtlichen Laien. Voraussetzung für diese Position ist die Firmung die Einzelnen übernehmen ihre Leitungsaufgabe zeitlich befristet, angedacht sind vier Jahre. Sicher eine kluge Entscheidung, hat die Forschung doch stets bestätigt, dass sich Menschen der Gegenwart einfacher für ein Engagement gewinnen lassen, wenn ein klares Ende abzusehen ist. Im Herbst dieses Jahres beginnt die Pilotphase.

Nur noch halb so viele Kirchenmitglieder

Dass selbst Deutschlands mitgliederstärkste und finanziell komfortabel aufgestellte Diözese einen solch radikalen Schritt wagt, mag nur auf den ersten Blick überraschen: Dem urban und säkular geprägten Erzbistum gehen Mitglieder wie Mitarbeiter verloren: Bei beiden Gruppen soll sich die Zahl in den kommenden Jahren halbieren. Sind es heute 1,91 Millionen Katholiken, sollen es 2060 nur noch 1,03 Millionen sein. Zum Vergleich: 1990 waren es noch knapp 2,5 Millionen. Selbst in ländlicheren Regionen schwindet die Zahl der Gottesdienstbesucher. Gleichzeitig sieht sich die Diözese in naher Zukunft einer Finanzierungslücke ausgesetzt: 2030 werden dem Generalvikariat wegen fehlender Kirchensteuereinnahmen etwa 100 Millionen Euro fehlen. Der Handlungsdruck scheint also groß, es Bistümern wie Freiburg oder Trier gleichzutun und einen großen Schnitt zu machen. Die größeren Pfarreien sollen den Verwaltungsaufwand reduzieren und gleichzeitig durch die kleinteiligen Gemeinden für mehr Nähe zu den Menschen sorgen.

Bild: ©KNA/Henning Schoon

"Jede Veränderung ist ein Stück weit unbequem", weiß der Kölner Generalvikar Markus Hofmann.

Wer einen Blick in die Pläne aus Köln wirft merkt allerdings gleich, dass man sich dort das Vorgehen anderer Bistümer genau angesehen hat und es nun selbst reibungsloser über die Bühne bekommen will: In Trier machte man sich unter anderem angreifbar, weil die geplante Pfarreireform als ein großes Paket geschnürt wurde – eine Priestergruppe legte dagegen erfolgreich Beschwerde beim Vatikan ein. Die jüngste Pfarreien-Instruktion des Vatikan, obwohl schon im Pontifikat von Benedikt XVI. projektiert, gilt nicht zuletzt als Antwort auf den "großen Wurf", der in Trier versucht wurde.

In Köln geht man deshalb deutlich kleinteiliger bei der Errichtung der neuen Pfarreien vor: Zunächst wird zentral ein Vorschlag für die Grenzen der neuen Pfarreien erarbeitet. Der soll sich an lokalen Gegebenheiten wie Stadt oder Land, Personalsituation und den vorhandenen Einrichtungen orientieren. Dieser Entwurf geht dann an die Gremien vor Ort: Ein Findungsteam aus Mitgliedern des Pastoralteams, Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat sowie Vertretern der Jugend sieht sich das Papier gemeinsam mit dem leitenden Pfarrer und dem zuständigen Dechanten an und kann Vorschläge für Änderungen machen. Das letzte Wort hat am Ende aber Kardinal Rainer Maria Woelki. Wann wo eine neue Pfarrei entsteht, richtet sich unter anderem danach, wann Priester in Rente gehen. In Köln entstehen die neuen Pfarreien also nach und nach und nicht wie in Trier zu festgelegten Stichtagen. Die Gebilde werden sich entsprechen dem Vorgehen außerdem in ihrer Größe unterscheiden. So sollen die Einheiten in ländlichen Gebieten kleiner sein als in der Stadt, damit die Wege der Gläubigen zur Sonntagsmesse nicht zu lang werden.

Ziel: Die integrierte Seelsorge

Im Erzbistum betont man häufig, dass es bei der neue Pfarreistruktur nicht nur um organisatorische Fragen geht, sondern um einen geistlichen Prozess. Durch die größeren Einzelgebilde soll es eine bessere Vernetzung einzelner Akteure und dadurch eine integrierte Seelsorge geben. Ein Beispiel: In Pfarrei A gibt es einen großen Kindergarten und eine Grundschule, der Stadtteil ist durch junge Familien geprägt. Einen Stadtteil weiter leben in Pfarrei B viele ältere Menschen, vor allem in einem dortigen Altenheim. Durch die Verbindung beider Pfarreien in einer neuen Großpfarrei sollen Familien und Senioren miteinander in Verbindung kommen und so voneinander profitieren. Durch Ansprechpartner für unterschiedliche Zielgruppen sollen alle Gruppen zu ihrem Recht kommen, sich aber durch die territoriale Verbindung miteinander vernetzen. Dabei soll durchaus toleriert werden, wenn es in einer Pfarrei ähnliche Angebote gibt, etwa zwei Jugendkirchen. Pluralität soll Platz haben, heißt es aus Köln.

Allerdings stehen bei den großen Pfarreien nach der Startphase auch ökonomische Überlegungen auf der Agenda. Denn dass es nicht bei der momentan großen Zahl von Kirchen bleiben kann, ist klar. Wie viele und welche Gebäude erhalten bleiben, hängt künftig verstärkt davon ab, wie viel Engagement es gibt.

Bild: ©KNA/Lars Berg

Das Erzbistum ist im Hinblick auf Engagierte sowohl ambitioniert wie auch optimistisch.

Hier liegt ein Knackpunkt der Reform: Das Erzbistum ist im Hinblick auf Engagierte sowohl ambitioniert wie auch optimistisch. So sollen alle Gemeinden von Ehrenamtlern koordiniert werden, unterstützt von eigenen Engagementförderern in den Pfarreien. Die Frage ist allerdings, ob sich so viele Engagierte finden, um die bisher von den deutlich kleineren Pfarreien gemanagten Aufgaben zu übernehmen. Erfahrungen etwa aus dem Bistum Essen zeigen, dass es unter anderem von der Sozialstruktur abhängt, wie viele Ehrenamtliche es gibt. In bürgerlich-mittelständisch geprägten Vierteln ist das seltener ein Problem, hier hat etwa die Gemeinde um die St.-Barbara-Kirche im Duisburger Stadtteil Röttgersbach schon vor Jahren ein ehrenamtliches Gemeindeleitungssystem auf die Beine gestellt. Problematisch wird das in Gegenden mit einer weniger finanzkräftigeren Bevölkerung. Dort ist es generell schwieriger, Menschen für ehrenamtliches Engagement zu gewinnen. Hier sollen laut den Plänen aus Köln die Pfarreien aktiv werden und verhindern, dass es zu weißen Flecken auf der pastoralen Landkarte kommt. Erfolg ungewiss.

Mit Widerstand ist zu rechnen

Ebenso ungewiss ist die gewünschte Vernetzung der einzelnen Aktiven. Erfahrungsgemäß ist bei der Auflösung und Neuformung von Pfarreien mit Widerstand zu rechnen, die Beharrungskräfte sind stark. Möglich, dass sich Ehrenamtliche eher abwenden, als in einem von ihnen als monströs groß wahrgenommenen System weiterzuarbeiten.

Die Pfarreireform ist Teil des "Pastoralen Zukunftsweges" im Erzbistum Köln. Angestoßen durch den Fastenhirtenbrief Woelkis 2016 haben sich Arbeitsgruppen gebildet und es fanden lokale Foren in den Seelsorgebereichen statt. Seit 2018 wird ganz gezielt an einer neuen Struktur der Diözese gearbeitet, die im Herbst wiederum in lokalen Foren vorgestellt werden soll. Bistumsvertreter betonen immer wieder, wie viele Menschen sich beteiligt haben. So sollen etwa durch eine Online-Umfrage und lokale Veranstaltungen über 10.000 Menschen im aktuellen Arbeitsschritt erreicht worden sein. Bis zur Erstellung eines Zielbildes im Herbst sollen es über 20.000 sein. Damit reagiert das Erzbistum wohl auf Kritik insbesondere aus den Pfarreigremien, so wurde etwa beim diesjährigen Neujahrsempfang des Katholikenausschusses eine größere Beteiligungsgerechtigkeit angemahnt.

Es sind große Schritte, die das Erzbistum Köln gehen will. Wie in anderen Bistümern auch wird der Weg bis zu einer größeren Struktur der Kirche lang und auf Widerstand stoßen. Es kommt nun darauf an, wie die Katholiken die Beteiligungsmöglichkeiten nutzen und wie die Einwände vor Ort in die zentralen Planungen aufgenommen werden.

Von Christoph Paul Hartmann