Druck von Kirchen und Hilfswerken

Politik und Verbände streiten über Aufnahme von Flüchtlingen

Veröffentlicht am 12.09.2020 um 10:47 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria machen unter anderem Kirchen und Hilfswerke Druck, mehr Flüchtlinge aus dem Lager aufzunehmen. Unterdessen sicherte Innenminister Horst Seehofer Soforthilfe zu. Vielen ist das jedoch zu wenig.

  • Teilen:

Kirchen und Hilfswerke machen Druck auf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), mehr Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. So forderte das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ihn am Freitag auf, "eine wirklich große Zahl von Flüchtlingen aus Moria in Deutschland aufzunehmen und sie aus ihrer unvorstellbaren Not zu befreien". Die Bundesregierung müsse die Angebote der Bundesländer und Städte zur Aufnahme von Flüchtlingen aufgreifen.

Auch Hilfswerke wie Caritas, Diakonie und Pro Asyl hatten in einem Offenen Brief zu mehr Hilfe aufgerufen. Der Würzburger Bischof Franz Jung unterstützte einen Appell von Entwicklungsminister Gerd Müller, der die Aufnahme von 2.000 Flüchtlingen aus Moria fordert. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki betonte, Deutschland und Europa könnten mehr Hilfe anbieten. In den vergangenen Jahren habe sich gezeigt: "Wir in Deutschland, wir in Europa können Integration", so Woelki in einem Video auf seinem Facebook-Kanal. Auch Münsters Bischof Felix Genn betonte, Deutschland könnte mit Blick auf Angebote der Kommunen mehr Menschen aufnehmen. "Zugleich müssen besonders schutzbedürftige Personen auch in anderen europäischen Ländern in Sicherheit gebracht werden", sagte er im Wallfahrtsort Kevelaer.

Bistum Fulda will helfen

Das Bistum Fulda wird nach den Worten von Bischof Michael Gerber einen Beitrag zur Aufnahme von Schutzsuchenden von der griechischen Insel Lesbos leisten. "Sobald für das Land Hessen die konkrete Hilfe geplant wird, bringen wir uns ein, um Geflüchteten in ihrer Not zu helfen", so der Bischof. "Diese Bilder bewegen uns tief in unserer Seele."

Der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin unterstützt die Initiativen der Länder Berlin und Brandenburg zur Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und weiterer besonders schutzbedürftiger Geflüchteter. Es müsse "schnell und unbürokratisch" gehandelt werden, forderte die höchste Laienvertretung in Berlin. Dabei sei es besonders wichtig, "Familien nicht auseinanderzureißen und im Verbund aufzunehmen". In dem Beschluss verpflichtet sich der Katholikenrat, in den Kirchengemeinden um Unterstützer zu werben, "die die Aufnahme vor Ort erleichtern und die Integration begleiten". Das Gremium ruft die Bistumsleitung auf, sich für die Aufnahme von Geflüchteten in Kirche und Politik "aktiv einzusetzen".

Unterdessen sicherte Seehofer Soforthilfe für die betroffenen Flüchtlinge zu. Das Technische Hilfswerk sei bereits mit Zelten, Feldbetten und Schlafsäcken unterwegs. Zudem hätten mit Deutschland zehn Länder in Europa zugesagt, sich an der Aufnahme von 400 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu beteiligen. Von diesen wolle Deutschland rund 100 bis 150 Flüchtlinge aufnehmen, so Seehofer. Die EU-Kommission wolle am 30. September Vorschläge für eine gemeinsame Asylpolitik vorlegen. Vordringlich sei es aber, für die Familien auf Lesbos eine rasche Lösung zu finden.

Forderung: 5.000 Flüchtlinge aufnehmen

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, betonte, die Zeit sei vorbei, in der Europa auf eine gemeinsame Integrationspolitik verzichten könne. Es müsse nun dringend gehandelt werden. Schinas erklärte, die Vorschläge für eine gemeinsame Asylpolitik beruhten auf drei Maßnahmen. So sollten zum einen Abkommen mit den Transit- und Herkunftsländern der Flüchtlinge geschlossen werden, um möglichst die Situation vor Ort zu verbessern. Weiter solle der Schutz der EU-Außengrenzen verstärkt werden. Zudem solle "die Verantwortung für Asylverfahren gemeinsam geschultert werden". Gedacht sei dabei auch an ein Zentrum auf Lesbos, das ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der EU-Kommission und der griechischen Regierung sein solle. Dieses Zentrum könne eine "Blaupause für den weiteren Weg Europas" sein.

In einer Bundestagsdebatte zu dem Thema hatte unterdessen der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, Seehofer scharf angegriffen. "Ihr Agieren ist nicht christlich, es ist inhuman", sagte er bei einer Aktuellen Stunde zu den Konsequenzen aus dem Brand in Moria. Auch Abgeordnete der Grünen sowie der SPD hatten sich für eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt. Weiter hatten 16 Unions-Bundestagsabgeordnete in einem Offenen Brief an Seehofer die Aufnahme von 5.000 anerkannten Flüchtlingen vom griechischen Festland gefordert.

In der Nacht zu Mittwoch war im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ein Feuer ausgebrochen. Mehrere zeitgleiche Brände zerstörten das Lager, in dem rund 12.000 Menschen untergebracht waren, fast vollständig. Die Kirchen zeigte sich bestürzt. "Die Nachricht vom Feuer im Flüchtlingslager Moria darf niemanden, der in Politik und Kirche Verantwortung trägt, gleichgültig lassen. Alle Leidtragenden schließe ich in mein Gebet ein", sagte der Vorsitzende der Migrationskommission und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Stefan Heße. (mpl/KNA)

12.9., 13:45 Uhr: Ergänzt um dritten Absatz. 17 Uhr: Ergänzt um vierten Absatz. 13.9., 15:30 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme von Genn.