Himmelklar – Der katholische Podcast

Journalist Delberg: Kann als Jude kein normales Leben führen

Veröffentlicht am 14.10.2020 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Nach wie vor sind Judenhass und Antisemitismus auch in Deutschland ein Thema. Der jüdische Journalist und Jurist Mike Samuel Delberg erklärt, dass er bis heute als Jude kein normales Leben führen könne. Eine Kippa trage er aber trotzdem ganz bewusst – und stolz.

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Mike Samuel Delberg ist Jude, Journalist und Jurist, tätig für die CDU Deutschlands und Aktivist für die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Er erzählt, wie er Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag, in Corona-Zeiten erlebt hat. Außerdem sagt er, er könne durch Judenhass und Antisemitismus auch in Deutschland bis heute kein normales Leben führen. Seine Kippa trägt Delberg ganz bewusst – und stolz.

Frage: Du bist nicht nur Journalist, Jurist und für die CDU Deutschlands tätig, sondern auch Aktivist für die Jüdische Gemeinde zu Berlin. Gerade war Jom Kippur der höchste Feiertag für euch, für Juden. Zehn Tage vorher fand das jüdische Neujahrsfest statt. Und das, klar, auch unter Einschränkungen durch die Corona-Pandemie – wie war es dieses Jahr?

Delberg: Man sagt ja jedes Jahr, dass das Fest etwas Besonderes ist. Aber das Fest war dieses Jahr wirklich etwas Besonderes. Die hohen Feiertage sind ja eigentlich die Zeit, wo Familien zusammenkommen und gemeinsam am Tisch sitzen und gemeinsam ins neue Jahr hinein feiern, Jom Kippur begehen, in sich gehen. Und dieses Jahr konnte man das nicht machen. Man konnte sich auch an der Synagoge nicht wirklich treffen. Meine Synagoge bei mir um die Ecke hat beispielsweise sehr kreativ eine Open-Air-Synagoge eröffnet, sodass man mit genug Abstand beten konnte. Also, alle mussten sich etwas anpassen, aber das hat diesen Feiertag auch irgendwie etwas besonders gemacht.

Frage: Gleichzeitig spielt ja Antisemitismus, Judenhass, immer wieder eine Rolle. Leider auch gerade in Deutschland. Vor eineinhalb Wochen gab es wieder ein schreckliches Beispiel dafür in Hamburg vor der Synagoge Hohe Weide. Da hat ein 21-Jähriger einen jüdischen Studenten angegriffen und mit einem Spaten am Kopf verletzt. Es war Laubhüttenfest. Was hat das mit dir gemacht?

Delberg: Ich weiß nicht, ob das schon etwas abgestumpft klingt. Aber irgendwie habe ich erwartet, dass so etwas passieren wird. Keine Frage haben wir uns in der Synagoge öfter gestellt, als wo es dieses Jahr passieren wird. Weil wir alle fest davon ausgegangen sind, dass etwas geschehen wird. Wir haben in Anführungsstrichen noch Glück gehabt, dass es nicht vergleichbar war mit dem Attentat von Halle. Aber das ist trotzdem schrecklich und gehört leider zur traurigen Normalität im Alltag eines Juden in Deutschland. Das sollte man nicht von der Hand weisen. Ich kenne keinen in meinem Umfeld, der sich nicht zehnmal umgucken muss, wenn er mit einer Kippa oder mit einer Mütze oder was auch immer auf dem Kopf aus dem Haus geht, weil er attackiert werden könnte aufgrund dessen, was er ist. Und das ist leider noch immer die Situation von uns Juden hier in Deutschland.

Bild: ©picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Die Tür der Synagoge in Halle im Juli 2020. Rund neun Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag sind die Spuren des versuchten Angriffs immer noch sichtbar.

Frage: Jetzt war ein jüdischer Student das Opfer. Du hast auch die Jüdische Studierendenunion von Deutschland mitgegründet. Hat dich das deswegen vielleicht nochmal anders berührt?

Delberg: Das sind junge Leute, die nichts anderes machen wollen, als sich miteinander zu treffen, eine gute Zeit zu verbringen. Und einigen Menschen kommt es in den Sinn, genau diesen Umstand auszunutzen, etwas Böses zu tun. Mir ist es egal, ob die Person jung oder alt gewesen ist. Aber das, was mich wirklich tief trifft, ist, dass irgendwo in unserer Gesellschaft noch ein tiefer, nicht überwundener Hass liegt. Und ich kann mir nicht erklären, woher er kommt. Gerade wenn man in einem politischen oder journalistischen Umfeld arbeitet, sind es nicht die Leute in unserem Umfeld. Ich kann nicht verstehen, wie jemand so werden kann, um sich gedrängt zu sehen, eine solche Tat zu begehen.

Frage: Ich verstehe es wirklich nicht. Wie kannst du dir das erklären?

Delberg: Leider musste ich mich schon relativ früh mit dieser Sache auseinandersetzen. Dadurch, dass man jüdisch geboren wird, ist man dem beinahe schon quasi ausgesetzt. In der frühesten Kindheit versteht man noch nicht, was es bedeutet, dass man auf dem Schulhof "Judenjagd" spielt. Später wird es einem doch dann ein bisschen deutlicher und man versteht, dass der Antisemitismus nicht DER Antisemitismus ist, sondern es gibt die verschiedensten Formen, die alle ihre eigenen Motivationen haben. Da gibt es den rechten Antisemitismus mit dem Sündenbockprinzip, wo Juden Untermenschen, Ratten, Ungeziefer seien. Es gibt den linken Antisemitismus, der beispielsweise sehr auf Israel gerichtet ist und versucht, uns die Legitimität der Existenz eines jüdischen Staates zu entziehen. Dann gibt es beispielsweise den islamistischen Antisemitismus, der wiederum aus einer anderen Ecke kommt. Und so haben die verschiedensten Gruppen von Menschen die verschiedensten Gründe, um Juden nicht mögen zu wollen. Ich sage es bewusst so. Weil man Gründe findet, um in irgendeiner Form ein Feindbild zu schaffen und das dann eben an den Juden auszuleben. Das ist leider seit vielen hundert Jahren so. Und es hat sich noch nicht in der Art geändert, als dass ich sagen kann, ich lebe als Jude ein normales Leben.

Frage: Der Student, das Opfer, hat eine Kippa getragen, war also ganz klar zu erkennen als Jude. Das machst du ja auch.

Delberg: Ja, ich habe ungefähr vor anderthalb Jahren entschieden, dass mir diese ewigen Ratschläge, wo ich keine Kippa tragen solle und wo Juden nicht hingehen sollten, zu viel wurden. Und deswegen habe ich gesagt: "Ich bin ein sehr stolzer und offen lebender jüdischer junger Mensch und ich möchte meine Kippa jetzt überall tragen. Ob es bei meiner Arbeit bei der CDU oder im Bundestag ist, oder beim Einkaufen im Supermarkt oder in meiner Umgebung." Und bis jetzt habe ich wirklich tolle Erfahrungen damit machen können. Ich persönlich habe beispielsweise keinen Antisemitismus in diesen anderthalb Jahren aufgrund des Tragens der Kippa erfahren müssen. Vielleicht gab es ein paar schräge Blicke und man hat hin und wieder doch mal irgendwie ein Getuschel gehört. Aber es ist jetzt niemand auf mich zugekommen und hat mir etwas angetan. Mag vielleicht daran liegen, dass ich jetzt nicht das klassische Opfer bin. Ich bin halt kein religiöser Jude. Ich habe keine Familie oder keine kleinen Kinder, die an meiner Hand laufen, während ich mit meiner Kippa auf der Straße bin. Trotz dessen ist es eine interessante Erfahrung und ich glaube, es ist wichtig zu sehen, dass jüdische Leute überall in unserer Gesellschaft vorhanden sind, auch wenn wir nicht so viele sind. Und nicht nur in den Geschichtsbüchern oder im Fernsehen.

Männer mit Kippa
Bild: ©KNA/Markus Nowak (Symbolbild)

Für Delberg zeigt das Tragen einer Kippa auch, dass es jüdische Menschen in der Gesellschaft gibt.

Frage: Was können wir verändern, damit Leben in Deutschland für jüdische Mitmenschen nicht mehr bedroht oder bedrohlich ist? damit sich niemand die Frage stellen muss, ob er oder sie mit der Familie in diesem Land leben können und wollen?

Delberg: Zunächst einmal aufstehen, den Mund aufmachen, wenn man etwas hört, was antisemitisch ist. Es kommt oftmals vor, dass Leute nicht eingreifen, wenn etwas passiert, oder wenn ein dummer Spruch fällt, der teilweise in die Kategorie "antisemitisch" gehört. Das wird oft einfach kommentarlos belächelt in einem solchen Moment. Da fängt es schon an. Der Antisemitismus beginnt nicht erst, wenn ein Täter mit einer Waffe bewaffnet in eine Synagoge stürmt, sondern er beginnt viel, viel früher. Und zwar genau mit solchen kleinen Aktionen, mit den Dingen, die gesagt werden, aber nicht gesagt werden sollten. Wenn wir da anfangen, etwas sensibler zu sein und uns vor allen Dingen um die andere Person, die neben uns ist, unabhängig davon, ob sie jüdisch ist oder einer anderen Minderheit angehört, ein bisschen mehr zu kümmern und aufzustehen, wenn etwas Unrechtes passiert, dann ist auf jeden Fall schon viel getan.

Frage: Der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein hat sich gewünscht, dass die Polizei den jüdischen Kalender kennt und weiß, wann sie Juden und Synagogen schützen sollte. Hilft das?

Delberg: Auf jeden Fall! Leider ist es auch hier traurige Realität, dass Polizeischutz auch zu unserem Alltag gehört. Ich kann mich noch erinnern, als ich hier in der jüdischen Gemeinde Berlin aufgewachsen und ins Jugendzentrum oder in die Synagoge gegangen bin. Wir kannten teilweise schon die Polizisten beim Namen. Sie waren so sehr ein Teil unseres Alltags, dass es normal war, den Polizisten, der da vor der Synagoge steht, zu kennen und zu grüßen. Dass das nicht normal ist, ist mir erst ein bisschen später bewusst geworden. Nichtsdestotrotz ist es wichtig. Leider ist man noch immer bedroht, wenn man offen jüdisch ist. Und vor jeder jüdischen Einrichtung, zumindest vor jeder, die es beantragt oder darum bittet, sollte auf jeden Fall Polizeischutz stehen.

Frage: Und meinst du, du erlebst es noch, dass das nicht mehr nötig sein wird?

Delberg: Das ist mein täglicher politischer Antrieb. Das ist das, was ich wirklich seit jungen Jahren mache. Denn Juden sind genauso wie Christen, wie Atheisten, wie Muslime ganz normale Menschen und ein ganz normaler Teil unserer Gesellschaft. Und diese Denkweise ist noch nicht überall angekommen. Ich hoffe natürlich, dass wir es auch zu meinen Lebzeiten schaffen, dieses Umdenken hier zu bewegen.

Frage: Du kümmerst dich auch um die Online-Kommunikation und die digitale Strategie für die CDU. Was hat sich da in der Arbeit durch die Corona-Pandemie für dich geändert?

Delberg: Natürlich hat sich sowohl im Bundestag als auch bei uns in der Bundesgeschäftsstelle viel verändert. Zunächst einmal Homeoffice – es ist auch für uns eine neue Sache gewesen, die erstaunlich gut funktioniert bei der CDU. Und natürlich muss man mehr kommunizieren. Gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, dass die richtigen Informationen nach außen gelangen. Fake News sind ein großes Übel, was auch teilweise zu Antisemitismus in dieser ganzen Phase geführt hat. Man hat ja die ganzen Gerüchte gehört, die Juden seien wieder mit ihren Weltbanken oder Weltregierungen daran schuld, dass die kleinen Menschen klein gehalten werden, besonders in dieser Krise. Angela Merkel und Bill Gates sind ja sowieso jüdisch, wenn man Attila Hildmann glaubt. All diese Sachen kommen natürlich hoch und wir versuchen, dem entgegenzuwirken, um die richtigen Information nach außen zu geben, um Panik zu mindern und dafür zu sorgen, dass die Leute Bescheid wissen, und zwar so viel, wie wir wissen.

Frage: Was bringt dir bei all dem Hoffnung?

Delberg: Die Mitmenschen um uns herum! ich habe in dieser Corona-Phase gesehen, wie hilfsbereit meine Nachbarn sein können, wie hilfsbereit dieses Land sein kann, wie achtsam man wirklich miteinander umgehen kann. Leider hat das jetzt nicht ganz bis zum Ende gehalten, aber das hat mir gezeigt, dass im wichtigen und im richtigen Moment unsere Gesellschaft zusammenhalten kann.

Von Katharina Geiger

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