So werden Heilige zu Schutzpatronen
Cyber-Apostel, Geek Gottes, Patron des Internets: Carlo Acutis hatte schon viele Beinamen, ehe er am Samstag in Assisi seliggesprochen wurde. Der mit 15 Jahren gestorbene Italiener, der während seines kurzen Lebens durch seine eucharistische Frömmigkeit aufgefallen ist, wird als einer der möglichen Schutzpatrone des Internets gehandelt – schließlich ist er der erste und einzige zur Ehre der Altäre erhobene Mensch, von dem selbst geschriebener Computercode überliefert ist: Die von ihm gestaltete Webseite über eucharistische Wunder ist immer noch online.
Mit der Seligsprechung gestattet die Kirche seine Verehrung. Bestimmte Zuständigkeiten legt sie damit noch nicht fest. In seiner Predigt würdigte Kardinal Agostino Vallini Acutis zwar als vorbildlich in seiner Nutzung des Netzes: "Carlo hat das Internet im Dienst des Evangeliums genutzt, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen", so der emeritierte Kardinalvikar des Bistums Rom. Einen offiziellen Schutzpatron hat das Internet aber mit der Seligsprechung noch nicht – und dabei wäre Carlo Acutis auch nur einer von mehreren Kandidaten: Insbesondere der heilige Isidor von Sevilla kann schon einen deutlich älteren Anspruch auf das Internet-Patronat erheben, ohne jedoch je offiziell dazu ernannt worden zu sein.
Die Liturgiekongregation ist für Patrone zuständig
Die Regeln der Kirche für Schutzpatrone sind eher unbekannt – und sie decken die meisten Fälle gar nicht ab. 1973 hat die Liturgiekongregation mit dem Dokument "De patronis constituendis" Normen für die Zuteilung von Patronaten erlassen. Zu diesem Zeitpunkt – nach der Liturgiereform, aber vor dem Inkrafttreten des Kirchenrechts von 1983 – hatte das Kirchenrecht noch einen Kanon zu Patronen (can. 1287 CIC/1917). In Übereinstimmung mit dieser Norm gehen auch die Regeln der Kongregation davon aus, dass es Patrone für Orte, Gemeinschaften und juristische Personen gibt. Von Krankheiten, Widerfahrnissen, Sachen und Tieren ist dort nicht die Rede. Heute regelt der Codex Iuris Canonici nur noch das Patronat einer Kirche, indem es festlegt, dass jede Kirche einen Titel haben muss.
Das Dokument von 1973 sieht ein dreistufiges Verfahren vor: Zuerst wählen die betroffenen Menschen (beispielsweise die Gläubigen in einer Region) sich einen Heiligen (und nur in Ausnahmefällen einen Seligen). Diese Wahl muss die zuständige kirchliche Obrigkeit dann approbieren – der Bischof für seine Diözese, die Bischofskonferenz für ein Land, eine Region oder eine Kirchenprovinz, die zuständigen Oberen oder Gremien für Orden und andere Gemeinschaften, und schließlich der Heilige Stuhl für die Weltkirche. Die Liturgiekongregation ist dann im dritten Schritt dafür zuständig, den korrekten Verfahrensablauf und die Bestellung zum Patron zu bestätigen.
Viele Patrone entstammen der Tradition
Tatsächlich dürften die meisten Patronate aber nicht nach diesem Verfahren, sondern wie bei Isidors Internetzuständigkeit aus der Tradition der Gläubigen heraus entstanden sein. Die Zuständigkeit ist dabei mehr oder weniger naheliegend: Regionale Heilige aufgrund ihrer Herkunft, Schutzpatrone gegen Krankheiten und andere Widerfahrnisse aufgrund eigener Krankheiten oder eines besonderen Martyriums – die heilige Agatha ist etwas für Brustleiden zuständig –, und manchmal auch nur, weil der Name passend scheint: Die Wiederentdeckung der heiligen Corona als Fürsprecherin gegen Seuchen ist ein aktuelles Beispiel dafür.
Der Unterschied zwischen offiziell bestellten und aus der Tradition erwachsenen Patronen liegt vor allem in der Liturgie: Die Gedenktage der Patrone sind in den jeweiligen Regionen oder Gemeinschaften im liturgischen Kalender herausgehoben. Auch das regelt die Liturgiekongregation in ihren Normen. Patronatsfeste haben als "Eigenhochfeste" oder "Eigenfeste" dort, wo der Patron zuständig ist, einen höheren Rang als anderswo, wo der entsprechende Gedenktag oft nicht in der Liturgie begangen wird, weil ein anderer Gedenktag oder ein anderes Fest vom Kalender geboten ist. So wird am 10. Oktober in der ganzen Stadt Bonn nicht der Gedenktag des heiligen Gereon und seiner Gefährten begangen, sondern das Eigenhochfest der Stadtpatrone Cassius und Florentius.
Für die derartige offizielle Ernennung gibt es in der Kirchengeschichte einige Beispiele. Vor allem im 19. Jahrhundert ernannten die Päpste viele Patrone, bekannte und weniger bekannte: Joseph als Patron der Weltkirche, Thomas von Aquin für die Universitäten, Petrus Claver für die Mission der Schwarzen, Paschal Baylon für die Eucharistischen Kongresse, Birgitta für Schweden und einige mehr. Camillus von Lellis wurde sogar von drei Päpsten beauftragt: 1886 von Leo XIII. für die Kranken und Krankenhäuser, 1930 von Pius XI. für die Pflegenden und, ganz kleinteilig, von Paul VI. 1974 zum Patron der italienischen militärischen Gesundheitsdienste.
Große und kleine Zuständigkeiten
Noch Johannes Paul II. hat einige neue Patrone ernannt, so etwa Thomas Morus zum Schutzherrn der Politiker und drei Frauen – Edith Stein, Birgitta von Schweden und Katharina von Siena – zu Co-Patroninnen Europas. Von Benedikt XVI. und Franziskus sind bisher keine derartigen Deklarationen bekannt. Allenfalls indirekt hat Franziskus seinem eigenen Namenspatron ein weiteres Patronat zugesprochen: In seiner Umweltenzyklika Laudato si' nennt er Franz von Assisi Patron "all derer, die im Bereich der Ökologie forschen und arbeiten".
Die Form, in der Päpste Patronate festlegen, ist immer ähnlich: Entweder als kurzes Apostolisches Schreiben, als Breve, oder als Motu Proprio würdigen die Päpste die Heiligen und ihr Wirken, stellen Verbindungen zwischen den Patronen und ihrem neuen Zuständigkeitsgebiet her, um dann mit einer mehr oder weniger konstanten Formel zu schließen: Auf die Deklaration "ich ernenne und erkläre N. N. zum himmlischen Patron" folgt die Erlaubnis, dem neuen Patron "alle Ehren und liturgischen Privilegien zu erweisen, die den Patronen zustehen". Bei Thomas Morus lautete diese Formel zum Beispiel so: "Nach reiflicher Überlegung gebe ich daher gern dem an mich gerichteten Ersuchen statt und ernenne und erkläre den heiligen Thomas Morus zum himmlischen Patron der Regierenden und der Politiker. Gleichzeitig gewähre ich, ihm alle Ehren und liturgischen Privilegien zu erweisen, die den Patronen von Berufsständen zustehen."
Werden Heilige zu Patronen von Regionen oder religiösen Gemeinschaften ernannt, ist klar, was mit "liturgischen Ehren" gemeint ist – das steht in den Regeln von 1973. Für Patrone von Berufsständen ist dort dagegen nicht definiert, was damit gemeint ist. Der Kirchenrechtler Laurentius Eschlböck, der an der Benediktinerhochschule Sant Anselmo lehrt, interpretiert Patronate für Berufsgruppen so, dass sie relevant für als kirchliche Vereine anerkannte und organisierte Berufsverbände sind: "Politiker (Thomas Morus), Zeitungsredakteure (Franz von Sales), Radiomoderatoren (Jeanne d’Arc) oder EU-Parlamentarier (Maria) könnten und müssten nach der kirchlichen Bestätigung die liturgischen Feiern so begehen, wie im Dokument festgelegt", erklärt der Benediktiner. Tatsächlich hat sich beispielsweise die Gesellschaft katholischer Publizisten, ein Verband katholischer Medienschaffender, dem Patronat von Franz von Sales unterstellt, und dürfte damit seinen Gedenktag als Eigenfest begehen.
Zieht das Internet mit dem Fernsehen gleich?
Mit Blick auf das Internet bleibt die Frage, ob es überhaupt realistisch ist, dass einer technischen Sache ein Patron zugeordnet wird. Auch dafür gibt es Präzedenzfälle. "Dass auch Dingen ein Schutzpatron zur Seite zugesellt wurde, zeigt das Bedürfnis, weltliche Dinge der Fürsprache von Heiligen bei Gott anheim zu geben", erläutert Pater Laurentius. Während das Patronat der heiligen Veronika für die Fotografie aufgrund des Schweißtuchs, das sie Jesus während seines Kreuzwegs gereicht hatte, wohl keine offizielle päpstliche Grundlage hat, kann Clara von Assisi dagegen ganz offiziell das Fernsehen zu ihren Zuständigkeiten zählen: Pius XII. beauftragte sie 1958 damit. Auch er benutzt die übliche Formel, dass ihr alle üblichen Ehren und liturgischen Privilegien zukommen sollen, ohne zu erläutern, wie und für wen das in der kirchlichen Alltagspraxis (und Festtagspraxis) umgesetzt werden soll.
Das Internet bleibt vorerst noch ohne (offiziellen) Patron – sowohl Isidor als auch Carlo Acutis sind aber schon jetzt auf einem guten Weg in die engere Auswahl: Die (für Internetverhältnisse sehr lange) über zwanzigjährige Tradition des spätantiken Heiligen und die große Aufmerksamkeit und Begeisterung für den spätmodernen Seligen sind beste Voraussetzung, um bald auch amtlich zum Internet-Patron bestellt zu werden – wenn es der Papst so will.