Thomas Großbölting untersucht sexualisierte Gewalt im Bistum Münster

Historiker zu Missbrauch: Bischöfliche Fürsorge galt lange nur Tätern

Veröffentlicht am 04.11.2020 um 11:32 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Münster ‐ Es gehe darum, "die priesterliche Existenz des Mitbruders zu erhalten" – verbunden mit der Vorstellung vom besonderen Wert des geweihten Priesters: Historiker Thomas Großbölting erläutert das Verhalten von Bistumsleitungen bei Missbrauchsfällen.

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Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting hat in seiner Forschung zu Missbrauch im Bistum Münster erste Charakteristika zum Vorgehen der Bistumsleitung herausgearbeitet. Die "bischöfliche Fürsorge" habe sich "lange Zeit immer zuerst auf den Täter" gerichtet, sagte der Historiker dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). "Dabei geht es darum, die priesterliche Existenz des Mitbruders zu erhalten." Dahinter stecke die Vorstellung vom besonderen Wert des geweihten Priesters.

"Diesen Status des Einzelnen", so der Wissenschaftler, gelte es für die Kirche "aufrechtzuerhalten, weil daran zugleich die Sakralität des Systems hängt"; dies sei "lange Zeit die Denke der Bistumsleitung" gewesen. Großbölting wörtlich: "Und ich vermute schwer, was wir für Münster feststellen, wird in Köln nicht anders gewesen sein."

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte am Freitag die Zusammenarbeit mit einer Münchner Kanzlei gestoppt, weil deren Studie über mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen angeblich methodisch fehlerhaft sei. Zudem beauftragte Woelki eine neue Sozietät mit der Untersuchung.

Großbölting: Missbrauch nicht nur mit Juristen aufarbeiten

Großbölting hingegen hält eine Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche nur durch Juristen für unzureichend. "Das ist eine eingeschränkte Sicht der Dinge, die für das Bemühen um Aufarbeitung nur einen kleinen Teil beiträgt." Das Kerngeschäft des Historikers bestehe darin, Vergangenheit aufzuarbeiten. "Da haben wir eine ganz andere Expertise als Juristen, die sich auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit menschlichen Verhaltens konzentrieren", so der Historiker.

Das auf zweieinhalb Jahre angelegte Forschungsprojekt an Großböltings früherer Wirkungsstätte an der Universität Münster wird nach seinen Angaben vom Bistum Münster mit 1,3 Millionen Euro finanziert. Daran arbeiten ein Kernteam aus vier Historikern und einer Ethnologin.

Zu der umstrittenen Frage nach Aussagen über noch lebende Verantwortungsträger verwies Großbölting auf "längst etablierte Standards", wie sie etwa im Stasi-Unterlagengesetz vorlägen. Auch hier sei es um ein doppeltes Interesse gegangen: dem Aufklärungsinteresse nachzukommen und zugleich die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren. Der Historiker kündigte an, Verantwortlichkeiten von "relativen Personen der Zeitgeschichte" wie Bischöfe, Generalvikare oder Personalchefs in seinem Gutachten klar zu benennen, gegebenenfalls verbunden mit deren eigenen Einlassungen. (tmg/KNA)