Frühere Aachener Bistumsspitze: Missbrauchs-Studie ist fehlerhaft
Die Missbrauchsaufarbeitungen im Bistum Aachen stoßen bei Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) und dem früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76) auf Kritik. Von der mit einem Gutachten beauftragten Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erwarteten sie unberechtigte Schuldzuweisungen und kein faires Verfahren, sagten sie den "Aachener Nachrichten" (Montag). Unterdessen teilten die Rechtsanwälte mit, ihre Untersuchung über mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen am Donnerstag vorzustellen. Bischof Helmut Dieser und Generalvikar Andreas Frick würden dann zeitgleich mit den Medien erstmals von den Ergebnissen erfahren, wie die Sozietät am Montag in München mitteilte.
Bei der Untersuchung unter anderem von Personalakten geht es um mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen von 1965 bis 2019. Das Erzbistum Köln hatte die Veröffentlichung einer ähnlichen Expertise von WSW Ende Oktober wegen methodischer Mängel überraschend abgesagt. Die Kanzlei selbst bestreitet die Mängel.
Die Einwände mehrerer Strafrechtler an dem für Köln erarbeiteten Untersuchung könne er nachvollziehen, sagte von Holtum. Solange die Frage der Professionalität nicht geklärt sei, dürfte das Gutachten für Aachen auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht veröffentlicht werden. Die übersandten Protokolle der mit Mussinghoff und von Holtum geführten Interviews seien "unzulänglich und sehr fehlerhaft", führten die beiden Geistlichen aus. Die Zeitung zitiert ohne Namensnennung weitere Interviewte, die über "zum Teil katastrophale und haarsträubende Mängel" in den Protokollen berichteten. Trotz der Kritik hält das Bistum Aachen an der Veröffentlichung des WSW-Gutachtens fest, wie der amtierende Generalvikar Frick der Zeitung sagte.
Mussinghoff leitete die Diözese von 1995 bis 2015, während von Holtum von 1997 bis 2015 dort Verwaltungschef war. Der ehemalige Generalvikar bekundete die Ansicht, dass die damalige Bistumsleitung für die Betroffenen das Notwendige und Mögliche getan habe. Wenn sich aber herausstelle, "dass wir als damals Verantwortliche nach heutigem Kenntnisstand unsere Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen haben, müssen wir uns dem stellen", so der Geistliche.
"Hatten damals wenig Erfahrung im Umgang mit Missbrauchsfällen"
Von Holtum räumte ein, "dass wir damals wenig Erfahrung hatten im Umgang mit Missbrauchsfällen". Wie der Vatikan und die deutsche Ortskirche "haben wir erstmal lernen müssen". Ihm und Mussinghoff seien die ganze Dimension der Missbrauchsfälle nicht bewusst gewesen.
Der Altbischof erklärte: "Ich fühlte mich überfordert - vor allem mit Opfergesprächen." Die Kritik sei zutreffend, dass er nicht mit Geschädigten gesprochen habe. "Ich hätte mir nicht zugetraut, sachgemäß mit ihnen zu sprechen. Ich würde das auch keinem Bischof raten." 2011 sei eine Expertenkommission unter anderem mit den Missbrauchsbeauftragten sowie Psycho- und Traumatherapeuten eingerichtet worden.
Laut Mussinghoff hat sich der 2019 verstorbene Personalchef Heiner Schmitz weitgehend um die Missbrauchsfälle gekümmert. Beschuldigten seien Seelsorgetätigkeiten sofort untersagt worden, so von Holtum. Es habe klare Absprachen gegeben, wonach zunächst die Staatsanwaltschaft informiert und aktiv geworden sei, und dann das kirchliche Verfahren folgte. Zugleich habe die Bistumsspitze darauf achten müssen, dass mutmaßliche Täter nicht vorverurteilt werden. (tmg/KNA)
9.11., 13:45 Uhr: Ergänzt um weitere Details.