Wenig geliebte Nationalkirche: Brüssels Koekelberg-Basilika wird 50
Sie ist das größte Gebäude im Art-Deco-Stil weltweit – und flächenmäßig die fünftgrößte klassische Kirche der Welt nach dem Petersdom in Rom, der Marienbasilika im ivorischen Yamoussoukro, der St. Paul's Cathedral in London und der Kathedrale von Florenz. Aber so richtig warm sind die Belgier mit ihrer Nationalbasilika auf dem Brüsseler Koekelberg nicht geworden. Daran hat sich auch 50 Jahre nach ihrer Fertigstellung am 11. November 1970 nicht viel geändert.
An Pathos jedenfalls hat es in den Jahrzehnten der Errichtung nicht gefehlt – eher an Begeisterung und einer echten Bestimmung. Der Bauherr, König Leopold II. (1865-1909), ging nicht nur als "Schlächter des Kongo" in die Geschichte ein, den er unter hohen Opfern der dortigen Bevölkerung als seinen "Privatbesitz" wirtschaftlich ausbeuten ließ. Seine so gewonnenen Reichtümer steckte er zu großen Teilen in eine regelrechte Bauwut, mit der er seine Hauptstadt Brüssel zu einem zweiten Paris machen wollte. Die großen Boulevards in Ober- und Unterstadt, der Jubelpark mit seinem Triumphbogen und viele weitere Repräsentationsbauten zeugen davon.
Auf dem Koekelberg im Nordwesten Brüssels stand damals nichts als eine historische Windmühle aus dem 16. Jahrhundert. Zum 75. Jahrestag der belgischen Unabhängigkeit 1905 wollte Leopold dort ein Pantheon für die berühmten Belgier errichten lassen. Doch bei der Bevölkerung stieß das Projekt auf wenig Zustimmung. Ein Besuch in Paris 1902 begeisterte den König dann für Frankreichs schneeweiße Nationalbasilika Sacre-Coeur auf dem Montmartre-Hügel, die – der Frömmigkeit der Zeit folgend – dem "heiligsten Herzen Jesu" geweiht war.
Beim Tod des Königs nur ein Fundament
Eine Nationalkirche also. Eine riesige und perfekte neugotische Kathedrale gab Leopold bei dem Architekten Pierre Langerock in Auftrag – und legte im Oktober 1905 selbst noch den Grundstein. Doch mehr als die Ausschachtung und einige Fundamente waren noch nicht fertig, als der König 1909 starb und der Erste Weltkrieg die Arbeiten zum Stillstand brachte.
1920, vor 100 Jahren, wurde der flämische Architekt Albert Van Huffel aus Gent mit einer Neuplanung beauftragt, vor allem um die horrenden Baukosten zu verringern. Van Huffel entschied sich für einen Ziegelbau im damals zeitgemäßen Art-Deco-Stil mit kubischen und zackigen Elementen. Zehn Kapellen sollte Belgiens Nationalkirche haben: für jede der neuen Provinzen des Landes – plus den Kongo.
Zum 30. Jahrestag der Grundsteinlegung fand – mit Sondergenehmigung von Papst Pius XI. – eine provisorische Weihe des Torsos an den Frieden statt. Ein weiterer Weltkrieg und stete Finanzierungsnot standen vor einer zweiten, pompösen Weihe im Jahr 1951. Sie dauerte zwei Tage, auch weil angesichts der Riesenhaftigkeit des Gebäudes nicht alle Wände an einem Tag mit Weihwasser besprengt werden konnten.
Ideologisch schwieriges Fahrwasser bei der Weihe
1969/70, in ideologisch schwierigen Fahrwassern, war die National- und Friedensbasilika zum Heiligsten Herzen Jesu endgültig vollendet. Als ultimatives Fest der Fertigstellung wurde das 25-jährige Amtsjubiläum des Brüsseler Kardinals Leo Suenens (1904-1996) festgesetzt – der freilich einer der liberalsten Kirchenvertreter beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gewesen und nicht gerade als Freund pompöser Frömmigkeitsarchitektur bekannt war.
Und eigentlich steht sie bis heute so da: preisgekrönt für ihren außergewöhnlichen Stil, multifunktional mit zwei eingebauten Museen, Touristeninfo und Ausstellungsräumen für Kulturveranstaltungen – aber doch bei aller Würde recht abweisend und abseits des städtischen Geschehens. Das matte Gelb, Beige und Sandbraun des mit glasierter Tonerde (Terrakotta) verkleideten Innenraums tragen zu einer eher unterkühlten Atmosphäre bei.
Die Kuppel ist 93 Meter hoch, die Außenmauern 164 Meter, das Hauptschiff 141 Meter lang, bei 107 Meter Breite im Querschiff; von der Aussichtsplattform eine schicke Aussicht auf Belgiens Hauptstadt und das Umland - soweit die technischen Daten. Ansonsten ist die Koekelberg-Basilika Pfarrkirche für vier Stadtbezirke – und ein gigantischer, stiller Gebetsort für den Frieden. Nicht, dass das wenig wäre.