Experten über den Umgang mit dem Verlust eines Angehörigen

Warum Trauer einen Ort braucht

Veröffentlicht am 06.12.2020 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Den Toten sehen, den vielleicht schon kalten Körper anfassen: Was möglicherweise zunächst nach einer Horrorvorstellung klingt, kann für Angehörige auf lange Frist hilfreich sein. Wie Trauer gelingen kann, darüber hat katholisch.de mit Seelsorgern gesprochen.

  • Teilen:

Als die ältere Dame erfährt, dass ihr Sohn in den USA bei einem Verkehrsunfall gestorben ist, ist klar: bei seiner Beerdigung kann sie nicht dabei sein. Aus gesundheitlichen Gründen sei ein Langstreckenflug einfach nicht drin, sagen die Ärzte. Die Seniorin ist verzweifelt. "Sie hatte weder die Leiche noch das Grab des Sohnes gesehen. Daher fiel es ihr umso schwerer, wirklich zu erfassen, dass ihr Sohn tot ist", erzählt Christoph Seidl, Diözesanbeauftragter für Hospiz- und Trauerpastoral im Bistum Regensburg. Etwas in der Seniorin wollte die ohnehin schon so unglaubliche Nachricht einfach nicht akzeptieren.

Den Toten noch einmal sehen, ihn anfassen

Sich von dem verstorbenen Angehörigen zu verabschieden, ist laut Experten ein sehr wichtiger Schritt im Trauerprozess. Auch, wenn es zunächst brutal klingen mag: Den Toten noch einmal zu sehen, ihn vielleicht sogar anzufassen und die Kälte des Körpers zu spüren, – all das hilft, den Tod zu begreifen, sagt Conny Kehrbaum, Trauerbegleiterin bei den Maltesern: "Sonst besteht die Gefahr, dass der Trauerprozess gar nicht richtig in Gang kommt." Es hilft Menschen, den Tod mit mehreren Sinnen zu begreifen. Nicht umsonst spürten viele Angehörigen bei einem Verlust aus sich selbst heraus diesen Impuls, sagt Verena Maria Kitz, Leiterin des Zentrums für Trauerseelsorge im Bistum Limburg: "Ich will ihn nochmal sehen", diesen Satz hören Trauerbegleiter wie sie sehr häufig.

Wenn es dagegen etwa nach einem Flugzeugsabsturz keine Leiche gibt oder der Köper eines vermissten oder verschütteten Menschen nicht gefunden wird, ist es oft besonders schwer für die Angehörigen. Nicht umsonst entstehen an Orten von Katastrophen wie einem Amoklauf wie von selbst Trauerorte, indem Menschen ein ganzes Meer an Blumen oder Fotos der Verstorbenen an die Unglücksstelle legen. "Trauer braucht einen konkreten Ausdruck, sie sollte nicht nur einfach in den Menschen 'herumwabern'", erklärt Christoph Seidl.

Ein mit blumen geschmückter Sarg und Urnen für die Beisetzung der Asche Verstorbener stehen sich gegenüber.
Bild: ©katholisch.de/KNA/Violetstar/Fotolia.com

Immer mehr Menschen in Deutschland lassen sich in einer Urne beisetzen, immer weniger in einem Sarg.

Für Angehörige stellt sich die Frage, wie sie mit ihren Lieben auch über den Tod hinaus verbunden und in Kontakt bleiben könnten. "Dafür braucht es einen inneren Ort in der Seele des Menschen, aber eben auch einen äußeren Ort – und der ist das Grab", erklärt Conny Kehrbaum. Ist das nicht vorhanden, fehlt ein wichtiger Baustein der Trauerarbeit. In 1990er Jahren beispielsweise, als verstorbene Sternenkinder noch als Klinikabfall galten, litten die Eltern oft sehr darunter, dass ihr totes Baby einfach verschwand. Heute gibt auch für diese Kinder Grabstätten auf Friedhöfen.

Auch schon anonyme Bestattungen, die nicht kenntlich machen, wo auf dem Friedhof sich die Urne des Toten befindet, machen bisweilen Probleme. Christoph Seidl erinnert sich noch gut, wie sehr eine Angehörige darunter litt, dass sie nicht wusste, wo genau sich die Urne des gerade beigesetzten Verstorbenen befand. Dabei handeln viele Menschen aus guter Absicht, wenn sie sich für ein anonymes Grab entscheiden: "Sie wollen ihren Verwandten nach dem Tod nicht die Arbeit und Kosten einer aufwändigen Grabpflege aufbürden", weiß Verena Maria Kitz. "Das gilt umso mehr, wenn die Familie über die ganze Republik verstreut ist."

Die Experten empfehlen, schon zu Lebzeiten mit den Angehörigen über die Art der Bestattung zu sprechen. Bei unterschiedlichen Vorstellungen kann ein Gespräch zu einem Kompromiss führen. Conny Kehrbaum kennt das Beispiel einer Familie, bei sich die Mutter für später einmal gut eine Seebestattung hätte vorstellen können. Doch als ihre Kinder das erfuhren, kam lautstarker Protest – und sie überdachte ihre Vorstellungen noch einmal.

Player wird geladen ...
Video: © Bistum Eichstätt

Trauer braucht ihren Platz. In der Kirche fällt vielen da zuerst der Friedhof ein – in Nürnberg gibt es noch einen weiteren Ansatz.

Menschen, die unter dem nicht vorhandenen Grab ihrer Angehörigen leiden, können sich aber andere Trauerorte zu schaffen: ein Kreuz im Garten zum Beispiel oder eine Trauerecke mit dem Foto eines Angehörigen und einer Kerze. Auch mit anderen Menschen über den Verstorbenen zu sprechen und so Erinnerungen zu teilen, kann helfen - oder eine Trauergruppe mit Menschen zu bilden, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben.

Gegen Trauer hilft keine Tablette

In der Trauerkirche St Michael in Frankfurt denken Verena Maria Kitz und ihre Kollegen auch darüber nach, bei einer künftigen Umgestaltung einen eigenen Bereich für Menschen schaffen, die sonst eben keinen Ort für ihre Trauer hätten.

Welche Methode man auch immer wählt: Unter dem Strich ist es wichtig, sich dem Trauerprozess zu stellen. Trauer müsse durchlebt werden, da sind sich die Experten einig – nur dann könne sie bewältigt und damit auch überwunden werden. "Nicht umsonst heißt es ja 'Trauerarbeit'. Gegen Trauer hilft keine Tablette, sondern die muss aktiv bewältigt werden", sagt Christoph Seidl. Die Erinnerung an den Verstorbenen werde auch dann immer Teil des Lebens bleiben. Der Schmerz lasse aber nach – und das Leben könne trotz des Verlusts wieder erfüllt weitergehen.

Von Gabriele Höfling