50 Jahre "Tatort": Wenn der Pfarrer einen Mord gesteht
Deutschland, an einem Sonntagabend im Januar 1996, 20.15 Uhr, Tatortzeit: Eine Ordensfrau ist vom Glockenturm ihres Klosters in den Tod gestürzt. Die Düsseldorfer Kommissrare Flemming und Koch ermitteln – und am Ende der Folge "Heilig Blut" ist die Mörderin nicht außerhalb, sondern innerhalb des Klosters zu suchen. Knapp 20 Jahre später, im Jahr 2005 ermittelt der Kieler Kommissar Borowski "in der Unterwelt", wo ein katholischer Pfarrer die Schuld eines vermeintlichen Mörders auf sich nimmt, um das Beichtgeheimnis zu wahren: Wenn Sonntagabend das Verbrechen in die deutschen Wohnzimmer kommt, dann sind immer wieder auch Stoffe aus Kirche und Glaube dabei. Und der "Tatort" selbst hat einen solchen Kultstatus, dass der Schauspieler Ulrich Tukur, der Wiesbadener Kommissar, ihn einmal mit einer einer Kirche mit einer großen, gläubigen Gemeinde verglich – mit der bekannten Titelmelodie als symbolischem Glockenturm.
Ordensmann schreibt Buch "Treffpunkt Tatort"
Zu den eingefleischten Fans gehören selbstredend auch Kirchenleute. Die Begeisterung des Ordensmann Maurus Runge von der Abtei Königsmünster ging soweit, dass er 2015 sogar ein Buch über die Tatorte veröffentlicht hat. "Treffpunkt Tatort" heißt es, greift Folgen und Aspekte des Geschehens auf und erzählt, was ausgerechnet an den Geschichten über den Tod Mut fürs Leben machen kann. Sonntagsabends, wenn sich die Twittercommunity über die neueste Folge austauscht, kommentiert der Mönch bisweilen fleißig mit. Im Tatort werde über die "großen Themen menschlichen Lebens verhandelt", findet er. Solche Fragen von Vergebung, Schuld und Versöhnung fänden sich auch in der christlichen Spiritualität. Und andersherum sei auch in der Bibel nicht alles gut. "In den Büchern der Könige kommen menschliche Intrigen vor, die sich selbst der beste Tatort-Autor nicht ausdenken kann", findet Runge.
Vor einigen Jahren hat die Germanistin Claudia Stockinger in einer Studie nach religiösen Motiven in Tatort-Folgen gesucht – und einiges gefunden. Sie wertete rund 450 Folgen aus der Zeit zwischen 1970 und 2010 aus. Rund in der Hälfte davon gab es Formen von religiösen Anspielungen. In fast 15 Prozent wurden sogar explizit religiöse Rituale gezeigt. Von der Handlung in einem kirchlich-religiösen Umfeld, über Beerdigungen bis hin zu eher subtilen Anspielungen wie Kreuzen als Schmuck reicht die Palette. Die christlichen Konfessionen steht laut den Studienergebnissen dabei im Vordergrund; und der Katholizismus werde noch einmal häufiger thematisiert als der Protestantismus. Möglicherweise sei die evangelische Kirche das "weniger interessante Sujet", mutmaßt Stockinger jetzt zum 50-jährigen Tatortjubiläum in einem Interview mit den Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse.
Mit welcher Haltung die Tatorte zu Kirche und Glaube stehen, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Claudia Stockinger findet zwar, dass die Kommissarinnen und Kommissare persönlich meist auf einer Distanz zur Religion bestünden. Sie stellten ihr "das Faktum, den Beweis, die rationale Erklärung als Mehrwert entgegen". Insgesamt würden religiöse Themen aber ernsthaft ausgewogen dargestellt.
Anders sieht das die Theologin, Publizistin und Medienwissenschaftlerin Elisabeth Hurth. Nach ihrer Wahrnehmung wird Religion oft eher holzschnittartig und auf sensationsheischende Weise aufgegriffen. Kirche und Glaube seien in der Gesellschaft inzwischen derart auf dem Rückzug, dass sie für die Macher des Tatorts eine Art exotischen Stoff dienten, mit dem sich Zuschauer gewinnen ließen. Mit diesem Mechanismus erklärt Hurth auch den Erfolg der Fernsehserie "Um Himmels Willen" um das fiktive Kloster Kaltenthal. Die ARD gab jüngst bekannt, die beliebte Serie nach 20 Staffeln im kommenden Jahr einzustellen.
Jenseits der konkreten Handlungsebene bietet der Tatort auch auf der Meta-Ebene jede Menge Stoff für religiöse Interpretationen und Analogien: Die Aufklärung des Verbrechens als eine Art "Erlösung", das Vorhandensein des Bösen als Anspielung auf die Theodizee-Frage, das bisweilen ausbleibende Happy Ends als Parallele zu Zweifeln, die es auch im Glauben gibt: wer sich ein bisschen mit Kirchen und Glaube auseinandersetzt, für den liegen solche Analogien nahe.
Publizistin: Publikum erkennt religiöse Anspielungen nicht
Publizistin Hurth bezweifelt allerdings, dass auch das breite Publikum, das sich weniger für Religion interessiert, solche Andeutungen wahrnimmt. Ähnlich sei das, wenn bekannte Songs von Musiklegenden auf versteckte religiöse Anspielungen analysiert würden: "Man kann da sicherlich mit Recht viel hineininterpretieren, ich glaube nur, an sehr vielen Rezipienten geht das vorbei", sagt sie. Insofern dürfe die Rolle von Kirche und Glaube jenseits der manchmal etwas platten Darstellung nicht überinterpretiert werden, findet sie.
So oder so: Böses bis Teuflisches wird wohl auch heute im ersten Teil der Doppelfolge zum 50-jährigen Jubiläum wieder dabei sein. Um 20:15 Uhr ist wieder Krimizeit für die Tatort-"Gemeinde" in Deutschland – samt Erkennungsmelodie als Glockenturm.