Barrikaden der Verteidigung: 50 Jahre Priesterbruderschaft St. Pius X.
Vor fünfzig Jahren gründete Erzbischof Marcel Lefebvre die Priesterbruderschaft St. Pius X. Als Teil der konservativen Minderheit weigerte sich Lefebvre zunächst, einzelne Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils mitzutragen, die in seinen Augen die Kirche an den modernen Zeitgeist verrieten. Vor allem die Liturgiereform, die Erklärung über die Religionsfreiheit, das Dekret über die Ökumene und die Erklärung über den Dialog mit den Religionen waren für ihn mit seiner Vorstellung der katholischen Kirche unvereinbar. Im Laufe der Zeit ging er allerdings dazu über, dass gesamte Konzil abzulehnen. Schon zu Beginn polemisierte Erzbischof Levebvre gegen den Vorschlag der Kardinäle Achille Liénart und Josef Frings, die sich für eine Verschiebung der Besetzung der Kommissionen einsetzten, um mehr Zeit zu haben, mögliche Mitglieder besser kennenzulernen.
Darin sah Levebvre eine Verschwörung von Modernisten, eine Melange aus Würdenträgern und Freimaurern am Werk, die somit auf die Besetzung der Kommissionsmitglieder Einfluss nehmen wollten. Er war der Überzeugung, die Listen seien im Vorhinein schon festgelegt, was Yves Congar als falsch zurückwies. Bis heute pflegt die Priesterbruderschaft ein monarchistisches Kirchenbild, das letztlich den Staat in der Rolle sieht, für die Aufrechterhaltung der Glaubenswahrheit zu sorgen. Über den Rektor des Päpstlich Französischen Priesterseminars Henri le Floch, der selbst mit den Ideen des antidemokratischen Schriftstellers Charles Maurras nahestand, hatte er Kontakte zur monarchistisch-rechtsextremen "action française", aus deren Geist, so Yves Congar, sich manche Haltungen Levebvres erklären lassen.
Insbesondere mit "Dignitatis humanae" vollzog die katholische Kirche die Wende hin zu einer Versöhnung mit der demokratischen Staatsform. Nicht mehr die Wahrheit hat Rechte, die es von staatlicher Seite zu fördern gelte, sondern die Person als Rechtssubjekt. Für die Mehrheit der Konzilsväter wurde mit diesem Schritt der Blick auf die zwanglose, auf Überzeugung bauende Verkündigung der Wahrheit gelegt. Bis heute drückt sich für die Priesterbruderschaft in einer solchen Haltung der Ungeist der französischen Revolution aus, ein Geist, der sich in freimaurerischen zusammenhängen etabliert habe. Deshalb gehören die Bekämpfung und Antihaltung gegenüber jenem "Ungeist" der modernen Gesellschaft zur selbststabilisierenden Identität der Priesterbruderschaft.
Viel Kriegsrhetorik
Wie viele andere fundamentalistische Gemeinschaften lebt sie in einer negativen Symbiose mit der Moderne. Nicht umsonst wird immer wieder das kriegsrhetorische Bild der "Ecclesia militans" stark gemacht, die wahre Kirche, die sich im permanenten Kampfmodus befindet, um die Schätze zu verteidigen, die sie von Gott anvertraut zu wissen glaubt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Statuten dem Generaloberen der Priesterbruderschaft u.a. vorschreiben, dafür Sorge zu tragen, dass die Priesterbruderschaft nicht der Lauheit verfallen und dem Zeitgeist keine Zugeständnisse gemacht werden. Aus ihrer Sicht an erster Stelle steht indes die authentische Überlieferung und Bewahrung der (wahren) katholischen Tradition. Besonders wichtig, die sogenannte tridentinische Messe. "Es geht darum, die heilige Messe zu leben, indem man ganz in all diese Geheimnisse Eintritt, insbesondere in das Geheimnis der Liebe, dass sie enthält. Dies ist unvereinbar mit einem lauen, Menschenzentrierten, faden ökumenischen Glauben."
Der 1991 verstorbene Erzbischof Lefebvre spielt für die Gemeinschaft nach wie vor eine zentrale Rolle. Im aktuellen Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft wird deshalb offen für eine Heiligsprechung des Gründers plädiert. Am 24. September 2020 wurden anlässlich des 50. Jubiläums seine sterblichen Überreste in die Krypta von Ecône im schweizerischen Wallis, dem Stammsitz der Priesterbruderschaft, überführt. Dieser Vorgang wird die Verehrung erleichtern, was sich nach innen stabilisierend auswirken soll.
Zunächst war die Priesterbruderschaft von Rom anerkannt worden. Erst nachdem Erzbischof Lefebvre unerlaubt Priester weihte, entzog der Vatikan der Priesterbruderschaft die kirchliche Legitimation. Höhepunkt des Konfliktes war ihre Exkommunikation, die infolge von vier unerlaubten Bischofsweihen im Jahr 1988 folgte. Daraufhin gründete Papst Johannes Paul II unter dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger die Kommission "Ecclesia Dei", die den Dialog fortführen sollte. Papst Franziskus löste Anfang 2019 die Kommission auf und übergab die Verantwortlichkeiten direkt an die Glaubenskongregation. Über den vielschichtigen Verhandlungsprozess zwischen der Priesterbruderschaft und Rom ließe sich Vieles sagen. Höhepunkt des Annäherungsversuches war die von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2009 verkündete Aufhebung der Exkommunikation der unrechtmäßig geweihten Bischöfe. Benedikt musste daraufhin Versäumnisse einräumen, nachdem bekannt wurde, dass einer der vier Bischöfe offen den Holocaust leugnete.
Auch Holocaustleugner in den Reihen
Seitdem 2018 Pater Davide Pagliarani das Amt des Generaloberen bekleidet, scheint eine Annäherung in weitere Ferne zu rücken; trotz mancher Gesten von Papst Franziskus. Hartnäckig weigert er sich, die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils anzuerkennen, vor allem die Legitimität der Neuen Messe. Papst Franziskus selbst, der gemeinsam mit anderen Weltreligionen den Kampf gegen Krieg, Hungersnöte und Umweltkatastrophen stärken möchte, sieht der Generalobere äußerst kritisch. Nicht die Menschenliebe sei der Schlüssel zur Interpretation des Evangeliums, so Pagliarani im Mitteilungsblatt vom November, sondern das Evangelium sei das Licht zur Erleuchtung der Menschheit. Die universelle Geschwisterlichkeit sei eine Idee liberalen, naturalistischen und freimaurerischen Ursprungs. Zu Recht betont der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück 2019 in der NZZ, es sei ein positives Signal, wenn der Papst allmählich die Geduld verliere und die Glaubenskongregation nun die weiteren Verhandlungen führen wird. „Die Kongregation wacht über das Erbe des Konzils und wird dies nicht leichtfertig als Verhandlungsmasse zur Disposition stellen.“
Doch sind es nicht allein die Piusbrüder, die das Zweite Vatikanum infrage stellen. Im aktuellen Mitteilungsblatt zeigt sich Pater Davide Pegliarani erfreut darüber, dass römisch-katholische Kirchenobere wie der Weihbischof Athanasius Schneider oder Erzbischof Carlo Maria Viganò offen zentrale Beschlüsse des Konzils in Frage stellen. In einem Interview mit dem Sender "katholisch.tv" von "Kirche in Not" betont Schneider, dass das Konzil aufgrund eines Minderwertigkeitskomplexes statt Christus in die Welt getragen zu haben, die modernen Denk- und Handlungsweisen in die Kirche hinein gelassen habe. In seinem 2019 veröffentlichten Interview-Buch "Christus vincit" widmet er der Priesterbruderschaft St. Pius X. ein eigenes Kapitel. Veröffentlicht wurde das Buch an den Festtagen von Pius X. und Gregor des Großen. Ob das Zufall ist oder nicht sei dahingestellt, es bleibt jedenfalls bezeichnend, dass auf dem Klappentext des Buches u.a. Grußworte der Kardinäle Robert Sarah und Raymond Leo Burkes zu lesen sind. In einer Stellungnahme vom Juni 2020 fordert Viganò, die Erklärung "Dignitatis Humanae" über die Religionsfreiheit ganz fallen zu lassen. Er fragt darüber hinaus, ob es nicht grundsätzlich besser sei, das ganze Konzil zu vergessen; die Gefahren von Verwirrung, Missverständnis und Zweideutigkeit seien schlichtweg zu groß.
Geist gegen die Moderne
Der Geist der Verteidigung des Glaubens gegen die Moderne, die Marcel Lefebvre mit seiner Priesterbruderschaft kultivieren wollte, bleibt für die rechten Fliehkräfte innerhalb der katholischen Kirche offensichtlich ein verführerischer Magnet. 1976 noch warnte die Deutsche Bischofskonferenz in einer Erklärung in Fulda davor, mit Schlagworten wie "Protestantisierung der katholischen Kirche" zu operieren (damals explizit bezogen auf die Priesterbruderschaft St. Pius X.), da dies zu einer Vergiftung der Atmosphäre in der Kirche führen würde. Mit unsachlichen Schlagworten wie Modernismus, Demokratisierung, Protestanisierung oder Zeitgeist zu operieren, gehört nicht nur zur "Grundtugend" der Priesterbruderschaft. Letztlich drückt darin ein Geist des Selbstschutzes aus, der keinen Spielraum lässt, sich durch neue Erfahrungen irritieren zu lassen, genau das, was das Aggiornamento Johannes XXIII. eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Die Priesterbruderschaft hält ihren eigenen Blick für den einzig theologisch richtigen und geriert sich gar als elitär-avantgardistische Kraft der Zukunft der Kirche. Der Dominikaner und Konzilsteilnehmer Yves Congar nennt vier Haltungen der Priesterbruderschaft, die einem versöhnlichen Miteinander diametral entgegenstehen: erstens, ein abwertendes Etikett gegenüber inhaltlichen Gegnern; zweitens, Verwendung von globalen Begriffen zur Diskreditierung des Gegners; drittens, eine streitsüchtige Rechthaberei; viertens, die Gegnerschaft sei Teil eines Komplottes von böswilligen (jüdisch-freimaurerisch oder kommunistischen Kräften).
Es bleibt zu hoffen, dass eine Theologie der Mitte, die sowohl weiß, wo sie herkommt, als auch die Notwendigkeit einer Vergegenwärtigung des Glaubens sieht, nicht auseinandergerissen wird und sich die rechte Flanke wieder einem "Katholizismus des Syllabus" (Yves Congar) annähert. Ein wichtiger Maßstab für eine solche Theologie der Mitte ist und bleibt die vollständige Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils, legt man es nun eher konservativ oder eher progressiv aus. Die Priesterbruderschaft markiert eine theologische und kirchenpolitische Sackgasse, in die hineinzuschielen das vielgestaltige Erbe der Tradition vollends verraten würde, dessen Rezeption den Blick nicht eng, sondern weit werden lassen sollte.
Der Autor
Johannes Lorenz ist Studienleiter für Weltanschauungsfragen und Lebenskunst an der Katholischen Akademie Rabanus Maurus/Haus am Dom sowie Weltanschauungsbeauftragter des Bistums Limburg.