Psychologin: Anerkennung neuer Gemeinschaften strenger überwachen
Die Psychologin Katharina Anna Fuchs hat zur Prävention von geistlichem Missbrauch strengere Kontrollmaßnahmen in der Kirche gefordert. Insbesondere die Gründung und Anerkennung neuer Gemeinschaften sollten von den Bischofs- und Ordensobernkonferenzen aufmerksamer überwacht werden, sagte Fuchs in einem Interview in der Januar-Ausgabe des Magazins "Neue Stadt". Ebenso sei es nötig, auf allen kirchlichen Ebenen schon bei der Auswahl und Schulung des geistlichen Personals "genauer hinzuschauen", um Missbrauch vorzubeugen. Daneben bedürfe es einer allgemeinen Sensibilisierung für die Problematik. "Denn je mehr das Problem anerkannt wird und Aufmerksamkeit erhält, umso eher fühlen sich Betroffene ermutigt zu sprechen", so die Psychologin wörtlich.
Fuchs erklärte, dass es für das Phänomen des geistlichen Missbrauchs im deutschen Sprachraum bisher keine einheitliche Definition gebe. Wenn eine Person "kontrollierenden, manipulierenden oder einschüchternden Einfluss auf eine Person oder Gruppe ausübt, die er begleitet oder für die er Verantwortung hat," könne allgemein von "geistigem Missbrauch" gesprochen werden. Die Besonderheit des geistlichen Missbrauchs bestehe darin, dass er in einem religiösen Zusammenhang geschehe und schwere spirituelle Schädigungen mit sich bringe. Geistliche Begleitpersonen würden ihre Manipulation in diesen Fällen häufig dadurch tarnen, dass sie sich gegenüber ihren Opfern als "Sprachrohr Gottes" ausgäben. Gleichzeitig würden sie von den Betroffenen aufgrund des geistigen Abhängigkeitsverhältnisses in dieser Rolle anerkannt. Als Anzeichen geistlichen Missbrauchs nannte Fuchs daher die Forderung nach absolutem Gehorsam und eine strenge "Insider-Outsider-Mentalität", die zur Isolation der Geschädigten von ihrem sozialen Umfeld führe.
Gefahr der strukturellen Begünstigung von Missbrauch
Besonders gefährdet für derartige Manipulationen seien "Menschen, die eher neu im Glauben stehen" sowie "Personen, die auf der Suche sind nach Halt und Sinn", sagte die Psychologin. Auf der Seite der Täter stünden häufig Menschen, die ein besonders charismatisches Auftreten hätten, aber auch solche, die nicht mit Macht umgehen könnten oder selbst missbraucht worden seien. Innerhalb geistlicher Gemeinschaft könnten die Mitglieder missbräuchliches Verhalten in ihren Reihen oft nicht mehr objektiv hinterfragen. "In Gemeinschaften können sich so ganze Systeme bilden, die Geistlichen Missbrauch unterstützen, auch ohne das absichtlich zu tun", so Fuchs
Die Psychologin forderte deshalb Außenstehende zu besonderer Aufmerksamkeit auf: "Alarmzeichen können sein, dass sich eine Person immer mehr isoliert oder den Kontakt abbricht; dass sich alles nur noch um die Gemeinschaft, ihre Führungsperson oder den geistlichen Begleiter dreht und das, was sonst passiert oder vorher im Leben geschehen ist, nicht mehr zählt". In gleicher Weise seien aber auch geistliche Begleitpersonen zur kritischen Selbstreflexion verpflichtet. Es gelte immer zu hinterfragen, ob man die religiösen Empfindungen des Gegenübers respektiere oder ihm seine eigenen religiösen Vorstellungen aufzuzwingen versuche. "Wer das berücksichtigt, reduziert die Gefahr, jemanden geistlich zu missbrauchen", so Fuchs.
Die 1984 geborene promovierte Psychologin ist seit 2012 als Dozentin am Institut für Psychologie der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom tätig. Das Magazin "Neue Stadt" wird von der Fokolar-Bewegung herausgegeben und erscheint in zweimonatlicher Ausgabe in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Fokolar-Bewegung wurde 1943 von der Italienerin Chiara Lubich gegründet und zählt heute rund 140.000 Mitglieder weltweit. Die geistliche Gemeinschaft setzt sich besonders für die ökumenische Bewegung und den interreligiösen Dialog ein. Ihr Name leitet sich vom italienischen "focoli" (etwa Herdfeuer) ab und soll auf die Wärme und Geborgenheit einer Familie hinweisen. (mfi)