Schneider: Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen "denkbar"
Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hält ärztlich assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen für vorstellbar. Er halte es für "denkbar, dass unsere Einrichtungen es Bewohnerinnen und Bewohnern nicht verwehren, wenn sie in einer extremen Situation einen ärztlich assistierten Suizid begehen wollen." Er könne sich vorstellen, dass auch bei kirchlichen Stellen eine qualifizierte Beratung zum Thema Selbsttötung angeboten werde, sagte Schneider dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Schneider hatte in der politischen Debatte über das gesetzliche Verbot der organisierten Sterbehilfe 2015 noch die Position der evangelischen Kirche vertreten, die Suizidassistenz ablehnt. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr dieses Gesetz gekippt. Führende Protestanten, darunter Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, hatten sich in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in der vergangenen Woche für die Möglichkeit der Suizidassistenz auch in kirchlichen Einrichtungen ausgesprochen.
"Absolutes theologisches 'Nein'" sei falsch
Schneider sagte dazu, ein "absolutes theologisches 'Nein'" halte er auch für falsch. "Aber ich kann auch nicht einfach 'Ja' zu dieser Frage sagen!" Er halte es für selbstverständlich, dass der Respekt vor dem freien Willen des einzelnen Menschen auch in kirchlichen und diakonischen Häusern gewahrt werde. Es sei schon jetzt der Fall, dass es zu vielen Hilfestellungen beim Sterben komme, die durchaus als assistierte Sterbehilfe verstanden werden könnten: "Palliative Sedierung" sei schon jetzt möglich, auch der Verzicht auf Essen und/oder Trinken und deren Abfederung.
Aus der katholischen Kirche hatte es nach dem Gastbeitrag der Theologen deutliche Kritik an deren Forderungen gegeben. Für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) sagte Sprecher Matthias Kopp: "Respekt vor der Selbstbestimmung bedeutet in diesen Situationen gerade nicht, den Wunsch oder die Entscheidung zum Suizid unhinterfragt hinzunehmen oder den Suizid als normale Form des Sterbens auszuweisen." Die Bischöfe seien daher der Überzeugung, dass die Ermöglichung des assistierten Suizids nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen sei, die Suizidwünsche entwickeln oder Suizidabsichten hätten. Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, lehnte die Forderungen ab und befürchtete dadurch eine "Belastung" für die Ökumene.
Schneider war von November 2010 bis November 2014 EKD-Ratsvorsitzender und damit höchster Repräsentant der EKD. Er gab sein Amt vorzeitig auf, weil seine Ehefrau Anne an Brustkrebs erkrankt war. Die jüngste seiner drei Töchter starb im Februar 2005 an Leukämie. Anne und Nikolaus Schneider wurden als Ehepaar bekannt, weil sie in der politischen Debatte um das Verbot organisierter Sterbehilfe öffentlich eine Kontroverse austrugen. Anne Schneider plädiert nach wie vor für das Recht auf ärztlich assistierten Suizid. (tmg/epd)